Für Guido Wolf ist der Besuch in Schaffhausen eine Rückkehr. Schon als Landtagspräsident hatte er die Staatskanzler in der malerischen Altstadt besucht – um die „enge Nachbarschaft“ zwischen Baden-Württemberg und dem Schweizer Nachbarkanton zu pflegen, betont er. An diesem Tag ist Wolf in seiner Funktion als Minister für europäische Angelegenheiten hier, um mit Regierungspräsident Ernst Landolt über bilaterale Projekte zu sprechen.
Zukunft der Region
Was trocken klingt, hat für die Region beidseits der Grenze große Bedeutung: Das Schweizer Rahmenabkommen mit der EU tritt nicht nur auf der Stelle – vorerst ist kein Vorankommen in Sicht. In der Schweiz wird im Oktober gewählt, die Regierung in Bern sieht derzeit keine Zustimmung für das Abkommen bei der Bevölkerung, selbst wenn der Bundesrat zustimmen würde.
Der Vertrag soll für Rechtssicherheit sorgen, der Schweiz den Zugang zum EU-Binnenmarkt weiterhin ermöglichen, gleichzeitig aber bislang mühsame Anpassungsprozesse durch eine sogenannte dynamische Rechtsübernahme ersetzen. Die Schweiz müsste demnach Anpassungen der Regeln durch die EU übernehmen. Wenn sie das nicht will, soll ein Schiedsgericht entscheiden – kommt es zu keiner Einigung oder ist EU-Rechtsauslegung gefragt, muss der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entscheiden. Beides bedrückt die Eidgenossen, die sich nicht „fremdbestimmen“ lassen wollen.
Gute Miene zum bösen Spiel
An diesem sonnigen Septembermorgen bemühen sich beide Seiten um gute Miene zum bösen Spiel. Während das Verhältnis zwischen Bern und Brüssel derzeit eher an winterliche Eiszeit erinnert, betonen Minister Wolf und Regierungspräsident Landolt „die freundschaftliche Beziehung“. „Es ist essenziell, dass wir gut zusammenarbeiten“, betont Landolt.
Dabei gehe es um mehr als die wirtschaftlichen Beziehungen. Die aber sind intensiv: Der Handel mit der Schweiz sei so wichtig wie der mit China, sagt Wolf. „Wir werden uns mit Vehemenz dafür einsetzen, dass wir bei der Unterzeichnung des Rahmenabkommens vorankommen“, fügt Wolf hinzu.
Monatlich schlage er in Brüssel in der Landesvertretung Baden-Württembergs auf, um „dafür zu werben, mehr Verständnis für die Schweizer Seite aufzubringen und ihren Besonderheiten Rechnung zu tragen“. Es dürfte „auf keinen Fall“ eine Dynamik aufkommen, „die die Schweiz und die EU weiter auseinanderbringt“, warnt er.
Brexit-Debakel drückt auf Beziehungen mit der Schweiz
Wolf fürchtet, dass die EU sich derzeit von den Unsicherheiten des drohenden bevorstehenden Brexit leiten lässt. „Der Brexit ist außer Kontrolle geraten“, meint Wolf: „Aber das ist mit den Verhandlungen mit der Schweiz in keiner Weise vergleichbar“, stellt er klar. Die Gespräche sollten daher unabhängig von dem Austritt Großbritanniens, der für Ende Oktober geplant ist, geführt werden, fordert er.
Ende vergangenen Jahres waren die Verhandlungen um das Rahmenabkommen abgeschlossen worden. Die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament gaben ihre Zustimmung zu dem Vertrag, der die gut 120 Einzelverträge mit der Schweiz bündeln und modernisieren soll. Doch überraschend erbat sich die Schweizer Bundesregierung schließlich Bedenkzeit, konsultierte Unternehmen und Gewerkschaften.
Verzögerungstaktik aus Bern
Bis Ende Juni sollte Bern Brüssel grünes Licht geben – doch die Frist verstrich unverrichteter Dinge. Als Reaktion verlängerte die EU die sogenannte Börsenäquivalenz mit der Schweiz nicht mehr, die die Gleichwertigkeit der eidgenössischen Börse mit dem Wertpapierhandel der EU festschrieb. Bern reagierte wiederum mit dem Verbot des Handels Schweizer Wertpapiere bei EU-Börsen.
Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker machte immer wieder deutlich, dass Präzisierungen von Formulierungen im Rahmenabkommen möglich seien, jedoch keine Neuverhandlungen. Aussenminister Ignazio Cassis reagierte im August resigniert: Eine Einigung „mit der aktuellen Kommission wäre ein Wunder“.
Wolf wirbt für mehr Zeit
So werden beide Seiten abwarten müssen – im Oktober wählen dei Schweizer ein neues Parlament, im November wird die neue Kommission unter Ursula von der Leyen voraussichtlich ihre Arbeit aufnehmen. „Wir wollen, dass die Schweiz Zeit bekommt“, fordert Wolf daher: „Dass der Druck aus dem Kessel genommen wird und wir zu einer Form der Zusammenarbeit kommen, die beide Seiten mittragen können“.
Gäubahn und Hochrheinverbindung
Das Thema ist gefühlt fast so alt wie die Verbindung zwischen beiden Regionen. Beim Treffen von Europaminister Guido Wolf mit Vertretern des Kantons Schaffhausen ging es auch um Verkehrsprojekte, die sowohl dem Kanton als auch dem Land am Herzen liegen, aber seit langem nicht vorankommen: die Gäubahn und die Hochrheinverbindung. Darüber sind Baden-Württemberg und das Kanton Schaffhausen übereingekommen:
- Gäubahn: Minister Wolf ist Vorsitzender des Interessenverbands Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn: Vieles sei schon auf den Weg gebracht worden, betont er. Für den ersten Ausbauabschnitt einer Doppelspur zwischen Horb und Neckarhausen könnten die Ausschreibungen vorbereitet werden, damit stehe der Baubeginn absehbar bevor. Beim Bund seien im Verkehrswegeplan 550 Millionen Euro hinterlegt. „Wir sind weiter denn je“, sagt Wolf, „aber wir brauchen noch sehr viel mehr Tempo, um zur Realisierung der Gäubahnstrecke zu kommen“.
- Hochrheinstrecke: Die Verbindung zwischen Basel über Schaffhausen, Kreuzlingen, Konstanz bis nach St. Gallen soll elektrifiziert werden. Die Strecke ist auch im Interesse des Kantons Schaffhausen und der anderen an der Strecke liegenden Kantone, betont Regierungspräsident Landolt: „Schlussendlich liegt es an Bern und Berlin, aber wenn wir uns dort entsprechend einbringen und Druck machen“, könne man gemeinsam etwas erreichen. Ziel ist es, Anschlüsse im Halbstundentakt zu schaffen. Der Umfang der Baukosten belaufe sich auf 286 Millionen Euro, Finanzierungsverträge seien zwischen allen Beteiligten verhandelt worden, so Minister Wolf. Sie sollen am 30. September unterzeichnet werden. 2027 soll die Verbindung in Betrieb gehen. (mim)