Wie wichtig ist das Schweizer Rahmenabkommen für die Region?
Sehr wichtig, weil es für unseren Nachbarn sehr wichtig ist: Wenn es der Schweiz gut geht, geht es auch uns gut. Die Schweiz und die EU dürfen sich nicht ineinander verbeißen, sie müssen eine Lösung finden, beide brauchen einander. Die enge Vernetzung unserer Wirtschaft ist schon heute Alltag. Diese enge Vernetzung will keiner aufgeben, die Schweiz nicht und die EU erst recht nicht.
Warum geht es dennoch nicht voran?
Beide Parteien wissen, dass es für beide vorteilhaft ist, das Rahmenabkommen abzuschließen. Sie drohen sich zwar wechselseitig mit dem Scheitern der Verhandlungen, aber beide wissen auch, dass sie verlieren würden, wenn es nicht zum Abschluss käme. Und dass dabei immer auch auf den Brexit geschielt wird und umgekehrt, ist kein Geheimnis. Das ergibt die momentane Pattsituation.
Was macht Sie da so sicher?
Das sieht man daran, dass der Streit auf kleinerer Flamme geführt wird. Unter dem Tisch versetzt man sich gegenseitig kleine Nadelstiche, gerade weil oben auf dem Tisch eben einmal eine Lösung liegen sollte.
Was für Nadelstiche meinen Sie?
Zum Beispiel die nicht gewährte Verlängerung der Börsenäquivalenz, mit der die EU bislang die Gleichwertigkeit des Regulierungssystems der Schweizer Börse anerkannt hat. Diese Anerkennung hat die EU nicht mehr verlängert, obwohl sie kaum Zweifel am Rechtsrahmen der Schweiz haben dürfte. Die Botschaft ist erkennbar eine andere. Die Schweiz hat mit einer Notfallverordnung reagiert, mit der unterbunden werden kann, dass Schweizer Aktien in der EU gehandelt werden dürfen.
Und das zeigt den eigentlichen Verhandlungswillen?
Ja. Es wird erkennbar mit eher kleinkalibrigen Handfeuerwaffen geschossen, eben weil keiner die Bombe zünden will. Das ist letztlich eine gute Nachricht. Weil es ein Zeichen dafür ist, dass keiner die Verhandlungen wirklich abbrechen will.
Was wären die Folgen eines Nichtzustandekommens?
Das ist keine Option. Das Gebäude der bilateralen Verträge ist in den vergangenen 25 Jahren aufgebaut worden und hat beiden Seiten enorm genutzt. Es wird nicht dazu kommen, es zum Einsturz zu bringen. Ich halte das nicht einmal hypothetisch für möglich. Hinter den immer wieder diskutierten Sachfragen liegt eine psychologische Ebene.
Eine psychologische Ebene?
Es gibt zwei Begriffe, die eine Rolle spielen: Der autonome Nachvollzug bezeichnet in der Schweiz den Vorgang der Übernahme von EU-Recht. Der Begriff zeigt, wie wichtig es der Schweiz ist, zu betonen, dass sie das freiwillig tut. Das ist etwa so, wie wenn man zuverlässig und aus Einsicht rechts fährt, aber die Straßenverkehrsordnung als solche nicht anerkennen will. Diese gefühlte Unabhängigkeit ist für die Schweiz gleichermaßen identitätsstiftend wie auch ihre psychologische Achillesferse. Der zweite Begriff ist der vom fremden Richter: Dabei geht es um die Frage, wer bei der Auslegung gemeinsamen Rechts das letzte Wort hat. Wenn das dafür vorgesehene Streitbeilegungsverfahren keine Lösung bringt, soll das der Europäische Gerichtshof sein. Das ist für die Schweiz eine schwierige Vorstellung, wenn fremde Richter darüber entscheiden, welches Recht in ihrem Land gilt. Beides bestimmt die innenpolitische Debatte.
Inwiefern?
Auf diesem Pferd reitet die SVP. Sie sagt im Kern, die Schweiz verkaufe ihre Autonomie. Da geht es dann an die Schweizer Seele. Der Binnenmarkt kann aber nur funktionieren, wenn es einheitliche Regeln gibt. Und wer an diesem Markt teilhaben will, kommt an der Anerkennung dieser Regeln nicht vorbei.