In 102 Meter Tiefe auf dem Grund des Überlinger Sees finden Taucher vor einigen Wochen die Leiche. Wo es fünf Grad kalt und sonst rund um die Uhr stockfinster ist, offenbart sich ihnen im Licht ihrer Scheinwerfer ein auf dem Bauch liegender Mensch, teilweise von Sediment bedeckt, bekleidet mit Jacke, kurzer Hose und Schuhen.
Nachdem die Taucher ihren Fund gemeldet haben, schickt die Wasserschutzpolizei ihren Tauchroboter nach unten. Dessen verschwommen-grünliche Bilder bestätigen: Da unten liegt eine Leiche. Wer das ist, und wie lange sie dort schon liegt – unbekannt. Für die spätere Bergung markiert eine Boje die Fundstelle.
Schweizer Polizeitaucher müssen runtergehen
Die Taucher der hiesigen Wasserschutzpolizei dürfen nicht bergen. Alles tiefer als 40 Meter ist für sie tabu. Darum bitten die Behörden um Amtshilfe aus der Schweiz. Die speziell für große Tiefen ausgebildeten und ausgerüsteten Polizeitaucher aus dem Kanton Zürich müssen nach unten gehen.
Dass vom Fund bis zur Bergung Wochen vergehen, liegt daran, dass einige Räder ineinandergreifen müssen. Die Taucher aus der Schweiz, die deutschen Wasserschutzpolizisten, die das Boot und den Tauchroboter stellen, Gerichtsmediziner aus Ulm und Ermittler der heimischen Polizei verabreden sich für Freitagmorgen am Überlinger Tauchplatz Liebesinsel. Möglichst, bevor es Scharen von Touristen an und auf den See zieht.
„Du hast sie doch nicht alle!“
Der Einsatz am Freitagmorgen bleibt trotzdem nicht unbemerkt. „Du hast sie doch nicht alle! Ich wohne hier!“, ruft eine morgendliche Schwimmerin einem Beamten empört zu, der sie vom Kabel des Tauchroboters fernhalten will. „Geheimnisse vor der Öffentlichkeit“ wittert eine Passantin angesichts von Absperrung und Sichtschutz, hinter dem die Gerichtsmedizinerin die Leiche ein erstes Mal in Augenschein nehmen will. Diese und andere Szenen zeigen: Polizisten im Einsatz brauchen ein dickes Fell, auch am malerischen Überlinger Seeufer. In der jüngeren Vergangenheit habe sich in dieser Hinsicht einiges verschoben, eher nicht zum Guten, bestätigt Oliver Weißflog, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Ravensburg.
Frühmorgens lässt die Wasserschutzpolizei ihren Tauchroboter hinab, sodass er die Fundstelle ausleuchtet. Die beiden Schweizer Taucher bereiten sich derweil am Ufer vor: Dekompressionsstopps planen, Einsatz absprechen, Ausrüstung prüfen. Dann fahren sie hinaus – und sind nach wenigen Minuten in 102 Meter Tiefe angekommen. Später, fürs Auftauchen, werden sie viel länger brauchen.

Mit dem Tragekorb in die Tiefe
Mit in die Tiefe nehmen sie einen orangefarbenen Tragekorb mit einer daran befestigten Plane. Auf den Korb betten sie den Leichnam und sichern ihn mit dem Plastiktuch. Während sich die Taucher an den Aufstieg machen, bringt das Polizeiboot den Tragekorb ans Ufer.
Dort wartet schon Constanze Nieß, die die Staatsanwaltschaft mit dem Fall betraut hat. Für die erfahrene, unlängst aus Hessen hergezogene Rechtsmedizinerin ist dies einer von vielen ungeklärten Todesfällen, aber der erste am Bodensee. In welchem Zustand der Leichnam ans Ufer kommen und welche Antworten er geben wird, sie kann es nicht einmal ahnen. Eine „Black Box“ sei das, sagt Nieß, während das Boot sich dem Ufer nähert.

Erste Hinweise auf die Identität
Dort angekommen, stellen die Polizeibeamten den Tragekorb hinter dem Sichtschutz ab, wo Nieß und ihr Team für eine „Inaugenscheinnahme“ warten: In welchem Zustand ist der Körper? Gibt es Spuren von Gewaltanwendung? Erste Hinweise auf die „Liegezeit“ und damit den Todeszeitpunkt? Oder, das wäre hilfreich, findet sich in der Kleidung ein Ausweis? Für später am Tag sind eine Computertomografie und eine Obduktion angesetzt.
Möglicherweise kann die Polizei demnächst einen Namen von ihrer Liste der 103 Vermissten streichen. Ob es so kommt, wird sich in einigen Tagen zeigen. Weißflog sagt, es hätten sich erste Hinweise gefunden, aber identifiziert sei der Leichnam noch nicht.