Christel Köhle-Hezinger eröffnete ihren Vortrag mit einem Bonmot: „Die Kirche kennt 14 Nothelfer. Wir brauchen nur einen!“ Sie begrüßte zu der „Ersatzveranstaltung“ mit dem Thema „Heimat – Fremde – Welt: Neue Fragen an ein altes Thema“ im Kapitelsaal Kloster Inzigkofen am Freitagabend zahlreiche Zuhörer. Doch weshalb Ersatzveranstaltung? Als Auftakt zur Hauptversammlung des Fördervereins Volkshochschule Inzigkofen war ursprünglich das Benefizkonzert „Lieder und Songs mit Gabriele Guder und Christel Huck“ vorgesehen gewesen, das aber wegen Krankheit abgesagt werden musste.
Die renommierte Kulturwissenschaftlerin und Vorsitzende des Fördervereins füllte ihr Amt als Nothelferin mit einem unterhaltsamen und faktenreichen Vortrag über den Bedeutungswandel des ideologisch belasteten Begriffs Heimat und seine neue Aktualität. Die gut 50 Zuhörer genossen den Ersatzkaffee offensichtlich ohne Verlustgefühl und beteiligten sich lebhaft an der anschließenden Diskussion.
Köhle-Hezinger wies gleich eingangs darauf hin, dass der Begriff „Heimat“ in ihrem Vortrag aus kulturwissenschaftlicher Sicht betrachtet werde und nicht als politischer Begriff diskutiert werden solle. Aber auch aus wissenschaftlicher Perspektive lasse sich erklären, warum das „Tabu-Thema, das Ideologie-, Reiz-, Widergänger- und Tröster-Thema“ nach dem Verwendungsverdikt in den 70er-Jahren wieder an Attraktivität gewinne. Der Generationenwechsel zusammen mit der Flüchtlingskrise fokussiere die Heimat erneut als Wert. Der Begriff selbst schmiege sich eng an das Attribut „nostalgisch“, das ursprünglich „heimwehkrank“ bedeute. Der Heimat gegenüber stehe die Fremde, wobei diese Fremde kulturhistorisch immer auch mit Leid assoziiert gewesen sei.
Bei der anschließenden Näherung an Begriff, Verständnis und Verwendung kolorierte die Referentin das Konzept mit zahlreichen mundartsprachlichen Beispielen. „Dem sei Sproache hat koi Hoimat“ etwa als Stigmatisierung des Fremden. Auch wenn Heimatverbundenheit in den vergangenen Jahrhunderten als positives soziales Merkmal galt, wurde dennoch eine gewisse Weltkenntnis verlangt und deren Abwesenheit mit „Der ist nie nauskomme“ stigmatisiert. Die genealogische Verortung des Individuums in der sozialen Gruppe war bedeutsam und wurde bei Kindern gern mit „Wem g'hörsch denn du?“ erfragt, wobei auffalle, dass für die Antwort nur patriarchale Abstammungslinien gültig waren. Die „Landkarte im Kopf“ von der nächsten Umgebung mit den dabei verwendeten Richtungsadverbien sowie abwertende Bezeichnungen für die Bewohner von Nachbardörfern dokumentiere das intuitive Heimatkonzept.
Immer wieder streifte Köhle-Hezingers Vortrag brisante Phänomene der aktuellen politischen Diskussion. So etwa lasse sich der frühere „Fremdenhass“ einer Dorfgemeinschaft aus den knappen wirtschaftlichen Ressourcen erklären. Denn diese Gemeinschaft war auch für die Armenfürsorge zuständig und trachtete aufgrund der stark begrenzten Mittel danach, „vorbeugend Folgelasten abzuwehren“.
Trotz der Nähe zu den aktuellen politischen Streitthemen verblieben die anschließenden Fragen der Zuhörer im individuellen und kultursoziologischen Bereich und dokumentierten eher Unsicherheiten bei der Begriffsverwendung sowie die Sehnsucht, Heimat für sich adressieren zu können.