Eigentlich kennt man das ja: Es gibt Straßen, die einen Ort, eine Stadt bekannt machen. In Berlin ist das zum Beispiel der Kudamm oder in Paris der Champs Élysées. In Vilsingen ist es der Einzigartigkeit wegen eben die Müllerstraße. Denn in den fünf Häusern, deren Hofeinfahrten in die Müllerstraße münden, leben ausschließlich Angehörige der Großfamilie Müller. Die Straße ist eine Privatstraße, deren Unterhalt sich die Familienmitglieder teilen. Der Name ist aber offiziell. Damit steht fest: Die Müllers in Vilsingen sind die einzige Familie weit und breit, die eine eigene Straße besitzt und die damit völlig in Familienhand ist.

Der Stammbaum beweist es – die Familie Müller ist ein alteingesessenes Vilsinger Geschlecht.
Der Stammbaum beweist es – die Familie Müller ist ein alteingesessenes Vilsinger Geschlecht. | Bild: Hermann-Peter Steinmüller

Wichtiger Geburtshelfer der Müllerstraße war der damalige Bürgermeister Heinrich Güntner. Der inzwischen 77 Jahre alte Ex-Rathauschef war von 1965 bis 1975 letzter Bürgermeister der selbstständigen Gemeinde Vilsingen. Er berichtet: "Bis Anfang der 70er Jahre gab es in Vilsingen keine eigentlichen Straßennamen. Die Häuser waren durchnummeriert. Auf der Adresse stand anstatt der Straße eben nur Haus Nr. 15." Wie gesagt, das war bis zum Anfang der 70er Jahre so. Dann hielt die Verwaltungsmoderne Einzug in die damals noch überwiegend landwirtschaftlich geprägte Gemeinde. Das Dorf bekam Straßennamen. Das war Planungsarbeit vom Feinsten, an die sich Güntner noch gut erinnert.

Auch Lucy gehört zur Vilsinger Müllerstraße.
Auch Lucy gehört zur Vilsinger Müllerstraße. | Bild: Hermann-Peter Steinmüller

Am Anfang der späteren Müllerstraße stand und steht noch immer das Haus Müllerstraße 1. Hier residierte Emil Müller. Er war Mesner, Posthalter, Schneider und Besitzer von zwei Kühen und sechs Eseln. Aber er nannte auch Grund und Boden sein eigen und er verteilte seinen Besitz in Form von Bauplätzen an seine Söhne. Das war damals schon voll im Gang. Der ehemalige Bürgermeister erinnert sich: "Im Volksmund hieß die Straße mit den Müller-Häusern zu dieser Zeit schon Müllerstraße." Im Zuge der Straßenbenennungen lag es wohl irgendwie in der Luft, dann auch die Müllerstraße öffentlich zur Müllerstraße zu machen. Weil sich die inzwischen fünf Häuser und die Straße alle auf dem Gelände von Emil Müller befinden, ist die Straße bis heute eine private Einrichtung. Sie endet als Sackgasse. Die Müllers haben somit alles unter Kontrolle. Doch dazu später.

In der Müllerstraße in Vilsingen wohnen ausschließlich Mitglieder der dörflichen Großfamilie Müller.
In der Müllerstraße in Vilsingen wohnen ausschließlich Mitglieder der dörflichen Großfamilie Müller. | Bild: Hermann-Peter Steinmüller

Weder Teer noch Gehwege bedecken und säumen die fast 150 Meter lange und vier Meter breite Straße. Die Müllers sind konservativ und schwäbisch sparsam. Ihre Straße hat eine Kiesdecke, die wenn notwendig in Eigenleistung der Müllers erneuert wird. Konrad Müller: "Im vergangenen Frühjahr war es wieder soweit. Wir haben alle die Ärmel hochgekrempelt. Jeder von uns hat sich zu gleichen Teilen an den Materialkosten beteiligt." Private Straßenlaternen gibt es auch keine. Nur ganz am Anfang der Straße spendet eine Laterne späten Heimkehrern milden Schein. Aber, so Konrad Müller, das ist ein kommunaler Lichtspender. Ob die eine Lichtquelle genügt? Seine Frau Georgine hat da entsprechende Zweifel. Aber auch sie kann seit Jahrzehnten gut ohne nächtlichen Lichtschein vor der Haustür leben.

Sandra Müller, Hauswirtschafterin: "Ich wohne seit 20 Jahren in der Müllerstraße und schätze die innerörtliche Abgeschiedenheit sehr."
Sandra Müller, Hauswirtschafterin: "Ich wohne seit 20 Jahren in der Müllerstraße und schätze die innerörtliche Abgeschiedenheit sehr."

Die Privatstraße hat allerdings einen Nachteil: Im Winter müssen die Müllers die Schneeberge selbst bewältigen. Doch auch das bringt keine Probleme. Streit wegen der Straße, weiß Konrad Müller, habe es noch nie gegeben.

Der älteste Müller, einer der Söhne von Emil Müller, wohnt im Haus Nummer 5. Leo Müller ist mit seinen 82 Jahren noch "fit im Kopf", wie er stolz seinen Gesundheitszustand auf einen griffigen Nenner bringt. Sein Sohn züchtet Koikarpfen. Opa Müller fühlt sich bei sommerlicher Hitze am Rande des großen Fischteichs vor dem Haus recht wohl. Er kennt aber seine Handlungsgrenzen: "Füttern darf ich die Fische nicht, das macht der Sohn persönlich." Ansonsten ist Leo Müller am Alltagsgeschehen im Dorf interessiert. Tägliche Zeitungslektüre und viele soziale Kontakte helfen ihm dabei. Natürlich schaut auch die Familie nach ihm.

Gerhard Sauter, Feuerwehr-Gerätewart: "Ich schätze die Ruhe im letzten Haus am Ende der Sackgasse. Wir wohnen hier seit 17 Jahren."
Gerhard Sauter, Feuerwehr-Gerätewart: "Ich schätze die Ruhe im letzten Haus am Ende der Sackgasse. Wir wohnen hier seit 17 Jahren." | Bild: Hermann-Peter Steinmüller

Und hier kommt die erwähnte Kontrolle zum Tragen. Wenn jemand in die Müllerstraße einfährt, bleibt er in der Sackgasse hängen. Er muss den gleichen Weg zurückfahren. Das bleibt nicht unbemerkt. Natürlich kennt man sich, wie Florian Fischer beschreibt. Fischer stammt aus dem Haus Nummer 1. Seine Mutter ist eine geborene Müller. Sie sagt: Bei aller Liebe zur Tradition wäre ihr der Doppelname Müller-Fischer zu lang gewesen. Ihr Sohn Florian beschreibt es so: "Wenn ein Auto vorbeifährt, sehe ich aus es dem Fenster. Jedes fremde Auto fällt sofort auf."

Tatjana Sauter (25), Studentin: "Im Dorf und doch abgelegen. Wenn wir Party machen stört das keinen!"
Tatjana Sauter (25), Studentin: "Im Dorf und doch abgelegen. Wenn wir Party machen stört das keinen!"

Wer wohnt wo in der Müllerstraße?

Die Müllerstraße beginnt logischerweise oben in Höhe der Schmiedgasse mit dem Haus Nummer 2. dem früheren Wohnhaus von Emil Müller (1908-1986) und seiner Frau Martina (1908-1997). Hier wohnt jetzt sein jüngster Sohn Peter, der inzwischen 65 Jahre alt ist. Er lebt in seinem Geburtshaus mit Ehefrau Helene. Die drei Kinder sind inzwischen weggezogen. Die Nummer 1 liegt auf der anderen Straßenseite schon etwas weiter in der Müllerstraße. Hier lebt Hermann Müller, der drittälteste Sohn von Emil und Martina, mit seiner Frau Renate Müller. Die Kinder sind Regina, Florian und Carmen Fischer. Die Fischers sind zwar schon ausgezogen, haben aber noch eine Wohnung in der Nummer eins.

Im Schatten am Karpfenteich fühlt sich Leo Müller bei sommerlicher Hitze besonders wohl.
Im Schatten am Karpfenteich fühlt sich Leo Müller bei sommerlicher Hitze besonders wohl. | Bild: Hermann-Peter Steinmüller

In der Müllerstraße 3 haben Konrad Müller, ebenfalls ein Sohn von Emil Müller, und seine Frau Georgine das Sagen. Ihr Nachbar im Haus Nummer 5 ist Leo Müller. Der älteste Sohn von Emil und Martina ist inzwischen 82 Jahre alt. Der Witwer wohnt in dem Haus zusammen mit seinem Sohn Michael und Schwiegertochter Sandra. Im letzten Haus, der Nummer 7, ist Martin Müller zu Hause. Er ist mit inzwischen 80 Jahren der zweitälteste Sohn von Emil Müller. Er teilt das Haus mit Adoptivtochter Jutta Sauter, ihrem Mann Gerhard und den inzwischen erwachsenen Kindern Tatjana und Erik. (hps)

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