Am 24. Februar 2022 marschierten russische Truppen in der Ukraine ein. Wie viel Leid, Verlust und Ängste ein Krieg für Menschen darstellt, können Andreas Bücheler und Eric Gröner aus Hausen am Andelsbach nachempfinden. Die beiden Männer haben sich im vergangenen Jahr intensiv mit den Ereignissen im Zweiten Weltkrieg in ihrer Heimatgemeinde Hausen am Andelsbach auseinandergesetzt. Hausen am Andelsbach ist ein Teilort der Gemeinde Krauchenwies und zählt aktuell 786 Einwohner.
Einmarsch und Besetzung

Eine Besetzung erfuhr auch die Einwohnerschaft von Hausen am Andelsbach am 25. April 1945 mit dem Einmarsch französischer Einheiten. Bis zum 8. Juli 1945 blieben die aus Frankreich stammenden Soldaten. Dann löste ein marokkanisches Bataillon die Franzosen ab. Die Besatzungstruppen führten eine Inventurliste mit dem Bestand jedes Hauses. Nutztiere, Lebensmittel, Waffen, Radioapparate und Elektrogeräte mussten freiwillig abgegeben werden. Die Bürger versteckten teilweise Waffen unter dem Mist, Tiere in anderen Ställen, anderenorts wurde eine zweite Wand eingezogen, um das verbliebene Hab und Gut vor den Augen der Besatzer zu verbergen. Ab 22 Uhr herrschte Ausgangssperre. Wer die Ausgangssperre missachtete, musste am nachfolgenden Tag zum Verhör im Rathaus erscheinen und seinen Verstoß begründen. „Die Leute aus Hausen hatten dementsprechend sehr viel Respekt vor den Franzosen“, gibt Bücheler an. Es gab eine Gruppe von Jugendlichen die gegen die Besatzer rebellierte und es sich zur Mutprobe machte, die Ausgangssperre zu missachten. Wurden sie erwischt, landeten sie bis zum nächsten Tag in der Gefängniszelle im Kellerraum des Schul-und Rathauses. „Die Zelle gab‘s noch lange bis zum Umbau des Gebäudes. An den Wänden hatten sich einstige Insassen verewigt“, erinnert sich Eric Gröner.
Unterstützung von der Bevölkerung
Viele weitere Lebens-und Schicksalsgeschichten trugen die „Geschichtsbewahrer“ zusammen und erfuhren bei ihren Recherchen zum aktuellen Projekt wieder viel Unterstützung aus der heimischen Bevölkerung. „Jeder, der historisches Material findet, denkt mittlerweile an uns. Der Kulturzirkel Hausen hat uns beispielsweise Interviews von 1993 zur Verfügung gestellt, und wie es typisch für Hausen ist, jeder hält zusammen“, freuen sich Bücheler und Gröner.
Ereignisse chronologisch rekonstruiert
In dem 380 Seiten starken Band haben Andreas Bücheler und Eric Gröner die Ereignisse von der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 bis in die Nachkriegszeit 1950 chronologisch rekonstruiert und festgehalten. Auch in der Hausener Schule hatte 1933 die nationalsozialistische Propaganda mit dem Aufhängen eines Bildes von Adolf Hitler und einer Landkarte, auf der die „feindlichen Länder“ aufgezeichnet waren, Einzug gehalten. Für jedes Kriegsjahr listeten die Buchautoren die Schicksale Hausener Einwohner auf. Wer war zu Tode gekommen? Wer wird noch heute vermisst? Die Opfer des Krieges sollen dadurch nicht vergessen werden. Die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges hielten bis 1950 an. „Nur, dass der Krieg aufgehört hat, heißt nicht, dass es in Hausen wieder normal war“, schildert Andreas Bücheler.
Knapp ein Jahr Geschichten recherchiert

Immer wieder bekamen die „Bewahrer von Hausens Heimatgeschichte“ bei Gesprächen im Dort „Geschichten von früher“ erzählt. Darunter auch Erzählungen über den Zweiten Weltkrieg. Dies veranlasste Andreas Bücheler (31 Jahre) und Eric Gröner (44 Jahre) zur Recherche zum Buch „Hausen am Andelsbach und der Zweite Weltkrieg“. Knapp ein Jahr brauchte der Mediengestalter Andreas Bücheler um das 100-seitige Dokument aus gesammelten und erhaltenen Dokumenten, Bildern, Feldpostbriefen, und Kriegstagebüchern von zwei Hausener Bürgern chronologisch zu ordnen. Bei der Zusammenstellung für das Buchprojekt fügten die Autoren zum besseren Verständnis auch allgemeine geschichtliche Hintergründe und Zusammenhänge ein. Ein weiterer Pfeiler ihrer Recherchen stellte die mittlerweile digitalisierte Schul-und Ortschronik dar. Briefe in Sütterlinschrift übersetzten sie anhand eines Transkriptionsprogramms und führten viele persönliche Gespräche.
„Es ist halt krass, wenn man die Leute kennt.“Andreas Bücheler
Wie die Hausener Familien die Kriegsjahre erlebten, bewegt die Männer. „Es ist halt krass, wenn man die Leute kennt“, schildert Andreas Bücheler. In seinem Kriegstagebuch schildert beispielsweise Wilhelm Lutz seinen Einsatz an diversen Fronten und wie er am 16. Februar 1944 in Russland eingekesselt war. Mit Grauen dachte Lutz an diese Ereignisse zurück und dankte seinem Schutzengel für die Rückkehr. „Er beschreibt es extrem und wir haben es auch nicht geschönt“, beschreibt Andreas Bücheler diese Passage. Einige der Namen von aufgeführten Personen veränderten Bücheler und Gröner, um keine Wunden aufzureißen und deren Persönlichkeit und die ihrer Hinterbliebenen zu schützen. Viele Einwohner wollten aber auch gar nichts zu diesem Thema sagen, was die Buchautoren respektierten.
Es gab Vergewaltigung
Im Buch erfahren die Leser unter anderem von einem heimlichen Schlachtnetzwerk, einem Bombenangriff auf die 1942 zum Rüstungsbetrieb umfunktionierte ehemalige Papierfabrik oder der Rückkehr der Kirchenglocken 1948. „Wir wissen auch, dass Vergewaltigung stattgefunden hat“, ließen Bücheler und Gröner auch dieses dunkle Kapitel nicht außen vor. Nach dem Krieg wurden in Hausen etwa 80 Heimatvertriebene aus zerbombten Städten aufgenommen. Einige Familien leben noch heute hier.
Schlussworte als Mahnung
Die Schlussworte aus dem Kriegstagebuch von Franz Arnold klingen wie eine Mahnung: „6 Jahre, 3 Monate, 26 Tage oder rund 2309 Tage war ich für dieses Staatsunternehmen unterwegs. An meinem 20. Geburtstag war ich als Soldat irgendwo in Polen. Als ich wieder heimkam, war ich fast 27 Jahre alt, ohne Beruf — Feldwebel ohne Wert. Die sogenannte Jugendzeit und die Zeit, in der man für sein Leben eine berufliche Grundlage legt, war futsch, gestohlen von einem Wahnsinnigen.“
