Im Rahmen der Krankenmorde, der sogenannten Aktion T4, wurden in Grafeneck bei Gomadingen im Landkreis Reutlingen systematisch 10 654 Menschen mit psychischen oder physischen Einschränkungen ermordet. Seit einigen Jahren wird der Toten mit einem Gedenkstein für Euthanasie-Mordopfer auf dem Gelände des Landratsamts gedacht. Beim diesjährigen internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts am 27. Januar findet eine Gedenkfeier im kleinen Kreis statt, wobei alle 90 Namen der Sigmaringer Patienten verlesen werden.
Ausstellung zeigt 400 „Blanko-Todesurkunden“
Die Installation „Irreführer“ der Meßkircher Künstlerin Lilo Braun, in Zusammenarbeit mit Diane Kopp und Carola Riester, in der Kapelle des SRH Krankenhauses Sigmaringen greift die Geschehnisse in Grafeneck auf. Sie zeigt 400 „Blanko-Todesurkunden“, angelehnt an die tatsächlich verwendeten Unterlagen des eigens dafür eingerichteten Standesamts in Grafeneck. Die eingefügten Todesursachen – Grippe, Lungenentzündung und Kreislaufschwäche – wurden willkürlich von den Verantwortlichen auf dem Standesamt missbraucht und beglaubigt. Sie verfälschten die wahre Todesursache für die Angehörigen. Die „Blanko-Todesurkunden“ stehen stellvertretend für alle in Grafeneck vergasten Menschen aus den unterschiedlichsten Einrichtungen im ganzen Land. Darunter auch die 90 Patienten aus der Psychiatrie des Krankenhauses in Sigmaringen, die in Grafeneck vergast wurden. Einem der Patienten gelang die Flucht.
Tötungsanstalt musste wieder geschlossen werden
Die Wahrheit über Grafeneck wurde verschwiegen, sickerte aber durch. Die Tötungsanstalt musste auf Druck der Kirchen, der Krankenanstalten in der Region und der Bevölkerung wieder geschlossen werden. Einige Patienten wurden in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt. Lilo Braun: „Die Patienten wurden in grauen Bussen nach Grafeneck irregeführt, dort von der Krankenstation in die Baracke irregeführt und die Angehörigen wurden durch Trostbriefe mit falschen Todesursachen irregeführt. Und das immer auf Anordnung von Irreführern“ Mit den fast 400 „Blanko-Todesurkunden“, versehen mit den Namen und dem Alter der ermordeten Patienten, wolle sie dem Grauen einen Namen geben. Es dürfe nichts mehr beschönigt oder verharmlost werden. Als Todesursache müsse Vergasung und statt des Standesbeamten, der stellvertretend für alle Verantwortlichen die Todesurkunden unterschrieben hat, müsse „Irreführer“ stehen.
Installation ist bis Karfreitag zu sehen
Die Installation kann momentan nur von Patienten und Beschäftigten der SHR Kliniken besichtigt werden. Die Hoffnung der Initiatoren Daniela Segna-Gnant und Dr. Ulrike Sill von der Krankenhausseelsorge und Dr. Frank-Thomas Bopp, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Zugangsbeschränkungen in das Krankenhaus aufgrund der Pandemie wieder gelockert werden können. Die „Blanko-Todesurkunden“ hängen bis Karfreitag in der Kapelle.