Es ist eine Sache aus Geschichtsbüchern über das besetzte Frankreich von 1940 bis 1944 zu lesen. Viel eindrücklicher ist es, einer Person Auge in Auge gegenüber zu sitzen und direkt von dessen Erinnerungen als jüdisches Kindes während der Besatzungszeit zu hören. Möglich machte dies der Lions Club Überlingen. Auf dessen Einladung berichtete der Lions Freund Harry Nussbaum aus Beaugency vor Oberstufenschülern des Staufer-Gymnasiums sowie der Heimschule Kloster Wald von seinen Erinnerungen an diese Besatzungszeit. Die Lions Clubs Überlingen und Beaugency verbindet eine 60-jährige deutsch-französische Freundschaft.

Lionsclub Überlingen ermöglicht Vortrag

Dem heute 87-jährigen Harry Nussbaum ist es ein Anliegen, als Zeitzeuge jungen Menschen seine Erinnerungen vorzutragen. Lions-Club-Vorstandsmitglied Dr. Alex Huenges arrangierte den Vortrag am Staufer-Gymnasium, wie Schulleiter Andreas Nowack dankend erklärte. Der Vortrag sei ein Zeichen dafür, dass die deutsch-französische Freundschaft funktioniere, so Nowack, aber angesichts der Vorkommnisse im Nahen Osten sei es auch wichtig, dass die Oberstufenschüler aus erster Hand gelebte Geschichte erfahren, um zu sehen, dass Dinge, die dort passierten auch den Alltag in Deutschland beeinflussten. Die Erinnerungen „Wir haben überlebt Nous avons survécu“ von Harry Nussbaum erhielten die Schüler am Ende des Vortrages als Büchlein. Es war aus einer Idee der Französischlehrerin Katja Schumacher heraus entstanden. Nicole Hellstern hatte das Buch vom Französischen in die deutsche Sprache übersetzt.

Jüdische Familie lebte in Wien

Das könnte Sie auch interessieren

Der 87-jährige wurde im Februar 1936 in Wien geboren und seine Familie war im Holzhandelsgeschäft tätig. Seine Schwester war elf Jahre älter und hielt die Erinnerungen an diese Zeit fest. Im März 1938 wurde Österreich in das Deutsche Reich eingegliedert und unmittelbar darauf wurden anti-jüdische Gesetze erlassen das Leben für die Juden wurde unerträglich. Die Familie Nussbaum habe versuchte nach Palästina auszuwandern und floh zunächst nach Frankreich. Dann begann 1939 der Zweite Weltkrieg und 1940 wurde Frankreich nach einem „Blitzkrieg“ von der Wehrmacht besiegt und in Besatzungszonen aufgeteilt. Die Familie Nussbaum floh von Paris nach Périgueux, später nach Lisle. „Die Familie litt in diesen Jahren oft Hunger“, erinnert sich Harry Nussbaum an diese Zeit. Ein Löffel Kartoffelpüree mit schmelzender Butter habe für ihn damals „den Himmel“ bedeutet. Später floh die Familie in die italienisch besetzte Zone Frankreichs, deren Militärverwaltung sich gegen die Judenverfolgung sperrte.

Mehrere Angehörige werden ermordet

Im Juni 1944 wurde es für die Familie sehr gefährlich. Umringt von deutschen Soldaten fragte Harry seine große Schwester: „Sag, wie läuft das ab in so einem Konzentrationslager?“ Der damals Achtjährige war sich zu jenem Zeitpunkt ganz bewusst über die Existenz dieser Lager und dem drohenden Schicksal. Nur der Nachweis, dass die Familie in Straßburg gelebt hatte, rettete sie. Die Tante und Cousine wurden in einem Konzentrationslager ermordet.

Schüler haben viele Fragen an den 87-Jährigen

Nach dem bewegenden Vortrag fragten die Schüler den Autor. Augusta wollte wissen, wie die jüdische Familie in dieser Zeit ihre Religion leben konnte. Gudrun fragte, wie die Familie erfahren habe, was mit den Verhafteten passiert. Auf die Frage von Gastzuhörer Dr. Alhard Schupmann, wann die Familie erfahren hatte, was in Auschwitz und den anderen Konzentrationslagern geschah, antwortete Harry Nussbaum: “Durch den englischen Rundfunk. Wir wussten, was geschieht. Aber dass es so katastrophal ist, wussten wir nicht“. Rektor Andreas Nowack unterstrich in seinem Schlusswort, dass Harry Nussbaum und seine Familie nur überleben konnten, weil Menschen Menschlichkeit gezeigt hätten und appellierte an die Schüler, sich ihre Menschlichkeit zu bewahren. Dr. Alex Huenges betonte, durch den Zeitzeugenvortrag seien die Oberstufenschüler selbst zu Zeitzeugen geworden. Die Geschichte des kleinen Jungen Harry Nussbaum sei auch heute noch aktuell, denn Katastrophen, Kriege, Gewalt und Unterdrückung würden Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen.