Vier Sterne glänzen an den Schulterklappen von Generalinspekteur Eberhard Zorn, dem ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr und ebenso glänzend war sein Vortrag, ja sein Auftritt, in der Stadthalle, vor rund 130 geladenen Gästen. Schon vor drei Jahren war Zorn, der vor Jahrzehnten in Pfullendorf als Zugführer stationiert war und immer noch gute Kontakte zu ehemaligen Soldaten hat, der Einladung des Traditionsverbands Artillerieregiment 10 und seines Vorsitzenden Thomas Kroll gefolgt, und hatte damals die Situation der Bundeswehr, der Nato und der Welt analysiert.
General vermeidet Schuldzuweisungen
Klar war, dass russische Überfall auf die Ukraine nun einen Schwerpunkt seiner Ausführungen bilden würde. Gebannt verfolgten die Besucher seine Analyse und häufig sah man ein zustimmendes Kopfnicken, wenn der General präzise formulierte und klare Schussfolgerungen ableitete.

Dabei vermied er den Blick zurück, mitsamt entsprechenden Schuldzuweisungen für die desolate Situation der Bundeswehr, sondern fokussierte sich auf Herausforderungen und Lösungsansätze.
Tägliche Analyse des Kriegsverlaufs in der Ukraine
Niemand habe mit dem Angriffskrieg Russlands gerechnet, räumte Zorn ein und ergänzte, dass in der deutschen Politik nun die Sicherheitslage oberste Priorität bekommen habe. „Wir analysieren täglich die militärische Lage in der Ukraine“, sagte Zorn, dass man dabei mehr über die russischen Truppen wisse als über die Ukraine. Eine Prognose zum Kriegsverlauf beziehungsweise -ausgang wollte er nicht geben, aber der General rechnet damit, dass die Russen im August oder September ihre Angriffe vorantreiben, um vor allem die Landbrücke zur 2014 annektierten Krim zu stabilisieren. „Erst wird alles kaputt gebombt und dann kommen die Truppen“, brachte er die Strategie Putins auf den Punkt.
Nächster Schlag könnte gegen Transnistrien und Moldau erfolgen
Wenn sich dessen Armee von diesem Krieg erholt habe, werde der Präsident zum nächsten Schlag ansetzen, denn Putin träume vom Zarenreich. Dass die Russen dabei das Baltikum oder Polen ins Visier nehmen, ist nach Ansicht von Zorn nicht zu befürchten. Er erwartet den nächsten Schlag in Richtung des prorussischen Transnistrien und dann in Moldau. Dass die Ukraine zuletzt Gegenangriffe startete, sei zu erwarten gewesen, relativierte der deutsche General die aktuell euphorischen Berichte über eine Offensive der Truppen von Präsident Selenskj.
Bundeswehr fehlen rund 25 000 Soldaten
Zorn wies auf die im Juni veränderte Nato-Strategie hin, die die Rolle von Russland und China klar einordne. Auch die EU richte ihren geo-strategischen Kompass in Richtung indo-pazifischen Raum neu aus und erstmals seit 20 Jahren habe eine Bundeswehrfregatte sich im Pazifik bewegt, was von den dortigen Anrainerstaaten positiv aufgenommen wurde. Der Bundeswehr fehlten derzeit rund 25 000 Frauen und Männer zur geplanten Sollstärke von 203 000 Soldaten, wobei man bei der Nachwuchsgewinnung im Wettbewerb mit der Wirtschaft stehe. „15 Prozent der Dienstposten sind unbesetzt. „Es fehlen besonders Feldwebel.“ Zorn will die fehlende Schlagkraft mit den Reservisten teilweise abfedern: „Wir brauchen Reservisten.“
Heer wird bis 2025 umgruppiert
Das 100-Milliarden-Sondervermögen bewertet Zorn positiv, wobei er schon im Oktober 2021 dem frisch gewählten Bundeskanzler Scholz einen Zettel mit Investitionswünschen der Streitkräfte übergeben habe, die in etwa dieser Summe entsprach. Angesichts von Energiekrise, Inflation, Klimawandel und weiteren Krisen sieht er nur ein begrenztes Aufmerksamkeitszeitfenster für die Sicherheitspolitik, mahnte er die rasche Umsetzung der versprochenen Maßnahmen.

Bis 2025 wird das Heer in leichte, mittlere und schwerere Kräfte umgruppiert. Zudem erarbeite das Außenministerium eine neue Sicherheitsstrategie, bei der die Bundeswehr tief eingebunden werde.
Abzug aus Afghanistan wird als logistisches Meisterstück gelobt
Skeptisch blickt der Generalinspekteur auf die Auslandseinsätze, wobei er die Abzug aus Afghanistan militärisch-logistisch tatsächlich als großen Erfolg bezeichnete. Allerdings sei die Rettungsaktion für die Ortskräfte nicht sauber koordiniert gewesen, wobei die Bundeswehr Namenslisten hatte. Nach dem Abzug Frankreichs aus Mali verlassen weitere europäische Truppenkontingente, darunter die Bundeswehr, das afrikanische Land, und in diese Lücke preschen die Russen, die den Machthabern den Wunsch nach Militärausrüstung erfüllten. Den Einsatz im Irak würde Zorn gern weiterführen, denn hier habe man mit wenig Manpower viel erreicht. Ein Ziel hat der 62-Jährige weiter im Visier – den Abbau der Bürokratie. „Wir haben zu viele komplizierte Verfahren. Wir haben zu viele Stäbe und Wasserköpfe!“
Acht Jahre an der Entwicklung eines neuen Rucksacks getüftelt
Beispielhaft benannte der Generalinspekteur bei seinem Vortrag die Probleme der Bundeswehr, entkräftete aber auch manches mediale Thema. So habe die Bundeswehr acht (!) Jahre über die Entwicklung eines neuen Rucksackes diskutiert, dessen Stoff einer 30 Meter hohen Wasserfontäne standhalten sollte. Man konnte die Fassungslosigkeit von Eberhard Zorn erahnen, als er eher zufällig von diesem Projekt erfuhr: „Wir haben das innerhalb eines Wochenendes gestoppt, uns bei Herstellern informiert und nun für die Truppe Rucksäcke bestellt.“ Dann erklärte er, warum die Lieferung von Exemplaren des Transportpanzers „Fuchs“ ein Problem ist. Die Bundeswehr verfüge zwar über 825 Stück, für den Kampfeinsatz seien aber nur 170 geeignet und würden benötigt, um die Anforderungen der Nato bezüglich der Bündnisverteidigung zu erfüllen.
Munition desselben Herstellers passt nicht in jedes Geschütz
Dass die Lieferung von sieben Panzerhaubitzen schwierig sei, obwohl die Bundeswehr über 108 Stück verfüge, erklärte Zorn ebenfalls. Diese 108 Haubitzen seien die Soll-Stärke, über die die Bundeswehr im Rahmen ihrer Nato-Verpflichtung verfügen müsse.
Dann sprach Zorn die fehlende Munition der Bundeswehr an, die im Rahmen des 100-Milliarden-Sondervermögens in den nächsten Jahren behoben werden soll. Er berichtete, dass beispielsweise jede Panzerhaubitze eigene Munition hat. Also, wenn in eine deutsche Haubitze eine Granate eingeschoben wird, erkennt die Software, ob diese Munition überhaupt passt – ansonsten wird sie wieder ausgespuckt. So kann es passieren, dass Munition, die von der Firma Rheinmetall in Land A für den deutschen Panzer hergestellt wird, für einen holländischen Panzer nicht verwendet werden kann, obwohl auch diese Munition von Rheinmetall hergestellt wird, allerdings in einem anderen Land. Diese Kuriosität war für die Streitkräfte der Ukraine ein großes Problem, da sie bekanntlich Waffenlieferungen von vielen Ländern erhält. Aber binnen zwei Wochen entwickelten ukrainische Programmierer eine Software und seitdem kann jegliche Panzermunition verwendet werden.
Bürgermeister betont enge Verbundenheit mit den Soldaten
Bürgermeister Thomas Kugler hatte zu Beginn auf die tiefe Verbundenheit der Bundeswehr in Pfullendorf hingewiesen und zollte den Staatsbürgern höchstes Lob für ihren Dienst für die Gemeinschaft. Die Stadt richtete im Anschluss einen kleinen Stehempfang aus, wobei die Trachtengruppe die Bewirtung übernahm. Viele Besucher suchten den Kontakt zu General Zorn, und der hochdekorierte Offizier nahm sich für jeden Zeit.