Ein Urteil des Verwaltungsgerichts schreckt landesweit die Kommunen auf. Im Juli 2022 hat das höchste Gericht Baden-Württembergs nach der Klage einer Bürgerin aus Tauberbischofsheim die dortige Gemeinderatswahl von 2019 für unwirksam geklärt. Die Klägerin hatte Einspruch erhoben und dies damit begründet, dass die Wahl nach dem System der sogenannten unechten Teilortswahl verfassungswidrig sei. Dieses System garantiert Ortsteilen unabhängig von ihrer Einwohnerzahl Sitze im Gemeinderat der Gesamtkommune. Solche „Garantieverträge“ wurden im Zuge der großen Gemeindereform in 70er-Jahren geschlossen, um eingemeindeten Ortschaften die Angst zu nehmen, künftig nicht mehr Kommunalparlament Gehör zu finden.

Garantierte Sitze für Denkingen, Großstadelhofen und Aach-Linz

Seit 1989 können Gemeinden die unechte Teilortswahl abschaffen, was zwei von drei Kommunen schon gemacht haben, wie Norbert Brugger, Dezernent beim Städtetag, in der jüngsten Sitzung des Gemeinderates erklärte.

In Denkingen leben 7,2 Prozent der Wohnbevölkerung, die derzeit einen Sitz im Gemeinderat garantiert haben.
In Denkingen leben 7,2 Prozent der Wohnbevölkerung, die derzeit einen Sitz im Gemeinderat garantiert haben. | Bild: Volk, Siegfried

In Pfullendorf gilt die unechte Teilortswahl und garantiert dem größten Teilort Aach-Linz zwei Sitze im Gemeinderat sowie Denkingen und Großstadelhofen jeweils einen Sitz. Aufgrund von Ausgleichs- und Überhangmandaten kann sich die eigentlich fixe Gremiumsgröße von 22 Sitzen vergrößern, wovon aktuell Edgar Benkler (CDU) aus Aach-Linz profitiert, wie er im Gemeinderat erklärte.

Städtetagsexperte kann keine verbindliche Aussage machen

Soll die unechte Teilortswahl beibehalten oder abgeschafft werden? Würde das geltende Konstrukt einer etwaigen Klage standhalten und welche Alternativen gebe es für Pfullendorf? Antworten auf diese Fragen erhofften sich das Gremium vom Städtetagexperten Brugger. „Ich kann keine verbindliche Aussage machen“, antwortete er zum Thema Rechtssicherheit. Im Prinzip spiegelt die Sitzverteilung der vier Wohnbezirke Stadt, Denkingen, Aach-Linz und Großstadelhofen die Einwohnerstärke wider. Pfullendorf stellt 80,2 Prozent der Wohnbevölkerung und derzeit 18 Sitze im Gemeinderat.

Auch die Repräsentanz von Aach-Linz ist in Ordnung, allein es gibt ein Missverhältnis bei Denkingen und Großstadelhofen, die jeweils einen garantierten Sitz haben. Bei der Eingemeindung vor einem halben Jahrhundert lebten etwa 500 Menschen in Denkingen, erklärte Ortsvorsteher Karl Abt, dass sich die Einwohnerzahl nun fast verdoppelt habe.

In Großstadelhofen und den zugehörigen kleineren Ortschaften leben 3,3 Prozent der Wohnbevölkerung, die gleichfalls einen ...
In Großstadelhofen und den zugehörigen kleineren Ortschaften leben 3,3 Prozent der Wohnbevölkerung, die gleichfalls einen Gemeinderatssitz garantiert haben. | Bild: Volk, Siegfried

Diesen fast 1000 Einwohnern stehe die Bevölkerung von Großstadelhofen mit etwa 500 gegenüber, die ebenfalls einen Ratssitz garantiert hätten. „Das Thema ist am Wabern“, erklärte Abt, der für die Freien Wähler im Rat sitzt.

Edgar Lang macht Alternativvorschlag

Sein FW-Kollege Edgar Lang gestand, dass man das bewährte System ungern aufgibt. Es könnte zudem schwieriger werden, in den Ortsteilen geeignete Kandidaten zu finden, sodass es Wahlperioden ohne deren Vertreter geben könnte.

Das könnte Sie auch interessieren

„Ich verstehe die Sorgen und Ängste, aber das ist nicht mehr zeitgemäß“, wies UL-Sprecher Michael Zoller daraufhin, dass immer wieder Gemeinderäte aus Ortsteilen ohne garantierte Sitze ins Gremium gewählt wurden. Edgar Lang brachte die Idee ins Spiel, Denkingen und Großstadelhofen als einen Wahlbezirk auszuweisen und dann wie Aach-Linz zwei Sitze zu garantieren.

Unechte Teilortswahl verkompliziert die Wahlen

Experte Brugger erklärte, dass die Komplexität der unechten Teilortswahl für überdurchschnittlich viele ungültige Stimmzettel und verlorene Stimmen sorge. Die Praxis zeige zudem, dass die Ortsteile nach der Abschaffung der unechten Teilortswahl bei Wahlen besser abschneiden würden. Auf die Frage von Klaus Heusel (FW), wie rechtssicher das aktuelle Pfullendorfer Wahlkonstrukt sei, gab es von Brugger keine verbindliche Antwort, da entsprechende Vorgaben fehlten, wobei derzeit eine Abweichung von 20 Prozent zwischen Einwohnerzahl und Ratsrepräsentanz wohl tolerabel wäre.

Ortschaftsräte sollen öffentlich diskutierten

Das Thema soll nun in allen Ortschaftsräten öffentlich diskutiert, gab es von Bürgermeister Ralph Gerster als Arbeitsauftrag. Dann sollen die Fraktionen beraten und dann der Gemeinderat entscheiden, um Rechtssicherheit zu schaffen.