Siegfried Volk und Stefanie Lorenz

21 Jahre lang haben Susanne Lindenmayer und Renate Reul als Hausärztinnen in Pfullendorf praktiziert. Ab dem kommenden Jahr werden die beiden Medizinerinnen ihre Kassenarztzulassung zurückgeben, wie sie ihren Patienten derzeit mitteilen. „Uns fällt dieser Schritt unglaublich schwer – wir sind von Herzen gerne und voller Überzeugung als Hausärztinnen tätig und fühlen uns Ihnen sehr verbunden“, bedauern Lindenmayer und Reul in ihrem Schreiben an die Patienten den Schritt.

Kritik an der zunehmenden Bürokratisierung

Als Gründe nennen die Ärztinnen die rasant fortschreitende Digitalisierung des Gesundheitssystems mit ihrer Meinung nach nicht wirklich gesichertem Datenschutz und die Bürokratisierung, die immer mehr dazu führe, „den Patienten zu verwalten“. Außerdem kritisieren sie, dass neue Leitlinien immer engere, pauschale Therapien anstatt individueller Behandlung fordern würden. Nicht zuletzt sind die Medizinerinnen der Meinung, dass derzeit Impfstoffe, wie zum Beispiel derjenige für die Covid-19-Impfung, entwickelt würden, deren Folgen nicht absehbar seien und die sie weder tragen, noch verantworten könnten. „Alles dies führt dazu, dass die Heil-Kunst in den Hintergrund rückt“, resümieren Susanne Lindenmayer und Renate Reul.

Praxis fungiert ab Januar als „freie Praxis“

Die beiden werden ihre Ärztekittel jedoch nicht komplett an den Nagel hängen. Die Praxis bleibt als „freie Praxis“ bestehen. Privatpatienten können sich weiterhin dort behandeln lassen; bei Mitgliedern in einer gesetzlichen Krankenkasse werden Kosten in begründeten Ausnahmefällen erstattet, wie es im Schreiben der Ärztinnen heißt. Bis zum Ende des Jahres sind sie natürlich zunächst einmal weiterhin auch für ihre Kassenpatienten da, wie sie versichern.

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Über ihren Schritt haben Susanne Lindenmayer und Renate Reul ihre Hausarztkollegen in Pfullendorf informiert. „Ich kann diese Entscheidung gut nachvollziehen und habe großes Verständnis für die beiden“, meint Dr. Atila Akinli auf Nachfrage des SÜDKURIER. Der Mediziner praktiziert in der Gemeinschaftspraxis „Am Obertor“ gemeinsam mit Jürgen Winter und Valerija Barlecaj. Akinli ist gelungen, auch Christian, den Sohn von Valerija Baerlecaj, für die Arbeit als Arzt in der Praxis zu gewinnen. Gerne würde man auch noch einen fünften Mediziner beschäftigen, für den die Gemeinschaftspraxis ausreichend Platz biete, so Akinli. „Es ist nicht einfach, neue Ärzte zu gewinnen. Da muss man aktiv werden, sich umhören, Kollegen fragen“, schildert er.

Neue Patienten sind willkommen

Derzeit sei man in der Praxis „sehr gut beschäftigt“, es könnten jedoch noch neue Patienten aufgenommen werden, versichert Atila Akinli auf die Frage, ob es noch freie Kapazitäten bei den Ärzten am Obertor gibt. Natürlich müssten die Patienten auch hin und wieder Wartezeiten in Kauf nehmen, wenn viel los ist in der Praxis. Auch wegen Corona bemühe sich das Team jedoch, die Dichte an Personen im Wartezimmer so niedrig wie möglich zu halten. „Selbstverständlich muss dort auch die Maskenpflicht eingehalten werden“, schildert der Mediziner. Für Patienten, bei denen es um eine infektiöse Erkrankung – das muss nicht zwingend Corona sein – gehe, haben die Ärzte eine eigene Infektionssprechstunde eingerichtet. „Dabei wird spezielle Schutzkleidung getragen und alles extra desinfiziert“, erläutert Atila Akinli.

Kritik an geringer Honorerhöhung

Geärgert hat sich der Mediziner über das Ergebnis der Tarifverhandlungen. Gegen die Stimmen der Kassenärzlichen Bundesvereinigung (KBV) war dabei für 2021 ein Honorarplus von 1,25 Prozent für Ärzte vereinbart worden. „Das ist ein Armutszeugnis, dass man uns nur eine so geringe Erhöhung beimisst“, betont er. Angesichts der vielen Dinge, die Ärzten heutzutage aufoktroyiert würden, würde er sich selbst nicht mehr als Frei-Berufler empfinden, sagte der Mediziner. Dabei ginge es doch eigentlich darum, den Patienten zu helfen, statt sich einer „Wahnsinnsapparatur“ widmen zu müssen.

Anteil der Ärzte mit eigener Praxis sinkt

Aktuelle Zahlen der Landesärztekammer Baden-Württemberg für das Jahr 2019 belegen, dass sich immer weniger Ärzte mit einer eigenen Praxis selbstständig machen. Ende 2019 lag der Anteil der Niedergelassenen an allen berufstätigen Medizinern bei 29,5 Prozent. 2017 waren es 31,2 Prozent gewesen. Wer sich als Hausarzt niederlassen möchte, braucht dafür eine Zulassung als Vertragsarzt von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Der SÜDKURIER hat bezüglich der hausärztlichen Versorgung in Pfullendorf bei der Kassenärztlichen Vereinigung nachgefragt. Dort hieß es, dass vom Gesetzgeber festgelegt werde, wie viele Ärzte sich pro Einwohner niederlassen dürfen. Zum „Mittelbereich Pfullendorf“ (siehe Infokasten) gehören neben Pfullendorf auch Herdwangen-Schönach, Illmensee, Leibertingen, Meßkirch, Sauldorf, Wald. Ein neuer Arzt, der sich innerhalb des Mittelbereichs niederlasse, sei an keine Gemeinde gebunden. Wenn also jemand seine Zulassung zurückgebe, könne sich ein möglicher Nachfolger im gesamten Mittelbereich niederlassen.

Nicht genügend Nachfolger für die Praxen

Für den Mittelbereich Pfullendorf komme man auf eine Soll-Zahl von 21,5 Vertragsarztsitzen, das entspricht 100 Prozent. Derzeit seien aber 4,5 Sitze nicht besetzt, der Versorgungsgrad liege bei 90,1 Prozent. Wenn zwei weitere Versorgungsaufträge zurückgegeben werden (vorausgesetzt es handelt sich um volle Versorgungsaufträge), seien also zum 31. Dezember insgesamt 6,5 Sitze von 21,5 Vertragsarztsitzen frei. „Das Grundproblem, das uns umtreibt, ist, dass es nicht genug Nachfolger für die Praxen gibt. Es gibt einfach nicht genug junge Mediziner, die sich niederlassen wollen“, heißt es seitens der Kassenärtzlichen Vereinigung. Das betreffe vor allem die Hausärzte, aber auch bei den Fachärzten täten sich Lücken auf.