Donaueschingen / Behla – Die Zeiten von Industrie-Produktionen, die vollautomatisiert sind und bei denen Menschen nur noch eine Nebenrolle spielen, weil Roboter die Arbeit übernehmen, sind längst angebrochen. Die Industrie denkt bereits einen Schritt weiter. Maschinen müssen zukünftig nicht nur Produktionsprozesse mechanisch umsetzen, sondern auch so intelligent sein, um sich selbst ein Ersatzteil zu bestellen oder um Fehler eigenständig zu erkennen und den Mitarbeiter an der Maschine darüber informieren.
Zukunftsentwicklungen, die heute unter dem Begriff Industrie 4.0 in aller Munde sind. Doch nicht nur im fernen Silicon Valley in der USA werden Technologien entwickelt, die mehr und mehr auch in die Welt der Industrietechnik Einzug hält, sondern auch in kleinen beschaulichen Orten wie Behla zum Beispiel wird Zukunft neu erfunden.
Damit Maschinen immer intelligenter werden können, benötigt es Software-Firmen wie das Unternehmen Tepcon aus Behla. Sie entwickelt Software-Lösungen und macht es möglich, dass die Geräte Daten erfassen und diese bereits heute vollautomatisch an das firmeneigene Portals namens Traisy übermitteln. Bereits 5000 Objekte, darunter Backöfen oder Lastwägen übermitteln zum Beispiel Temperaturdaten oder GPS-Koordinaten an das Portal und geben den Kunden von Tepcon Aufschluss darüber, ob sich ihre Geräte oder Fahrzeuge in einem optimalen Auslastungszustand befinden. „Firmen investieren heute viele Millionen Euro in hochkomplexe Maschinen. Damit ist es von großer Bedeutung, dass diese den maximalen Ertrag liefern und möglichst keinen Ausfall erzeugen“, erklärt Christoph Kluge, Geschäftsführer von Tepcon die Hintergründe.
Die nächsten zukunftsweisenden Schritte gehen die Firmen Tepcon in Behla und der Nassprozessanlagen-Hersteller AP&S aus Aasen gemeinsam. Durch den Zusammenschluss der beiden Firmen sichert sich AP&S-Geschäftsführerin Alexandra Laufer-Müller das Know-How der Firma Tepcon, um für die Entwicklungen, die sich künftig immer mehr um die digitale Welt drehen werden, gerüstet zu sein. „Jetzt kommt es darauf an, sich rechtzeitig zu positionieren. Wer diesen Zeitpunkt verpasst, wird viel Geld investieren müssen, um wieder aufzuholen“, ist die Geschäftsführerin überzeugt. Die neueste technische Errungenschaft haben Kluge und Laufer-Müller seit wenigen Tagen vor sich liegen. Es ist die neue Hightech-Brille, die erst wie eine gewöhnliche Lesebrille daher kommt, aber durch eine am Gestell befestigte Kamera mit Monitor die Zukunft der Schnittstelle Mensch und Maschine zeigt.
Grenzen gibt es hier kaum noch. Unter dem Fachbegriff Augmented Reality erhalten Angestellt Sensordaten, Bedienungshinweise oder Anleitungen direkt vor das Auge projiziert. Eine Kamera zeichnet gleichzeitig auf, welche Schritte an der Maschine vorgenommen werden. Im Falle von Wartungsarbeiten können Mitarbeiter viele Schritte eigenständig übernehmen, der Besuch von speziellen Service-Technikern wird damit reduziert. "Das ist ein Fall, warum diese Technologie für uns interessant ist. Unsere Nassprozessanlagen sind weltweit im Einsatz. Dadurch wird es möglich, dass wir nicht mehr so viel Personal in die ganze Welt schicken müssen, sondern das Personal aus einem Kontrollzentrum die Mitarbeiter vor Ort anleitet“, gibt Laufer-Müller Einblick in die Vorteile für die Firma.
AP&S und Tepcon haben bereits eine Software entwickelt, die diese Möglichkeiten in die Realität umsetzen. Ein Feldversuch soll in den nächsten Tagen starten. „Es ist also nur noch eine Frage von Tagen bis die Zukunft im Jetzt ankommt“, so Laufer-Müller.
Dies habe natürlich Auswirkungen auf Arbeitsplätze, gibt Laufer-Müller zu. Aber so könne auch dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel entgegen gewirkt werden. „Auf der anderen Seite wird man in künftig aber noch viel mehr Mitarbeiter im Bereich der Software-Entwicklung benötigen. Es wird sich dann eher verlagern“, sind Laufer-Müller und Kluge überzeugt.
Ein Risiko auf das sich die Industrie im Zusammenhang mit den neuen Technologien einstellen muss, ist das Thema Industriespionage. Denn alle Daten, die über das Internet kommuniziert werden, sind damit anfällig für kriminelle Machenschaften. Es muss also auch gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass die digitalen Informationen so gesichert werden, dass sie nicht von Unbefugten gestohlen werden können, um sich einen Marktvorteil zu verschaffen. Rechtliche Rahmenbedingungen müssen noch definiert werden.
Was bedeuten die Fachbegriffe?
Die Begriffe zu den neuesten Technologien stammen meist aus dem Englischen oder beschreiben einen Oberbegriff, der eine ganze Entwicklung beschreibt. Der SÜDKURIER erklärt die Bedeutung hinter den Fachbegriffen:
- Industrie 4.0: Mit dem Oberbegriff wird ein Prozess beschrieben, dem sich kaum ein Unternehmen mehr verschließen kann. Er soll die Verzahnung der industriellen Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik bezeichnen. Wesentlicher Unterschied zur bereits bestehenden computergesteuerten Maschinen-Welt (Industrie 3.0) ist die Integration von Internettechnologien. Dies ermöglicht die künftige Kommunikation zwischen Mensch, Maschine und Produkt. Im Bereich der Industrieunternehmen wird dabei häufig auch von cyber-physical-system gesprochen. Komponenten aus der Informatik und Software-Technik werden mit technischen und mechanischen Teilen verbunden. Die Kommunikation erfolgt über das Internet.
- Schnittstelle Mensch-Maschine: Unter dem Fachbegriff Human Machine Interface beschreibt die Schnittstelle an der Mitarbeiter und Maschine miteinander in Kontakt treten. Diese Schnittstellen existieren bereits, zum Beispiel in Form von Bedienpulten, an denen entsprechende Signale aufleuchten oder Daten auf einem Monitor angezeigt werden. Die Palette an Endgeräten, die Schnittstellen herstellen können, wird dabei nicht nur immer breiter, sondern auch immer kleiner. Smartphones, Tablete werden bereits zur Kommunikation zwischen Mensch und Maschine eingesetzt.
- Augmented Reality: Der Begriff beschreibt die erweiterte Realität, die alle Sinne des Menschen ansprechen kann, heute aber vor allem im visuellen Bereich in Form von Zusatzinformationen auf Displays, im alltäglichen Gebrauch besonders auf den Smartphones. Das Spiel "Pokémon go" ist ein Paradebeispiel dafür. Auf dem Handydisplay erscheint in der echten Umgebung ein kleines Monster, das virtuell eingefangen werden muss. Auch Einblendungen im Fernsehen, wie bei einem Fußballspiel die Entfernungsangabe bei einem Freistoß-Schuss, ist unter dem Thema zu verstehen. (maf)