Die Welt wird digital. Das reicht auch in die kleinsten Bereiche des Lebens. Das Telefonbuch muss nicht mehr aufwendig aus der Schublade gekramt werden, eine kurze Suche im Internet-Browser des Smartphones und die Telefonnummer, samt Adresse, Geodaten, Hausansicht und Anschrift sind gefunden.
Diese Veränderung hält auch in den Rathäusern der Region Einzug. Gemeinderatsunterlagen sind als Download verfügbar, Städte sind mit einem eigenen Auftritt bei Facebook vertreten, und mancherorts können Nutzer die Sitzungen sogar im Internet live mitverfolgen.
Aber hat das Auswirkungen auf die Arbeit des Gremiums, haben sich die Diskussions- und Debattenkultur unter den Gemeinderäten im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert? Und ist ein Stadtrat heute noch ein angesehener Lokalpolitiker?
Der SÜDKURIER hat sich mit den dienstältesten Hüfinger Stadträten unterhalten: Adolf Baumann (FW/FDP/UWV) ist seit September 1982 im Rat, Reinhard Isak (SPD) wurde 1989 gewählt, ebenso wie Sigmund Vögtle.
Adolf Baumann: "Hauptstraßenumbau als Herkulesaufgabe"
Adolf Baumann rückt 1982 etwas später in den Gemeinderat nach. Das sei damals mysteriös gewesen. Obwohl er mehr Stimmen bekommen hat, zieht zuerst ein Anderer ins Gremium. "Wir waren im Rat dann meistens zu viert, damals noch unter dem Fraktionssprecher Emil Schafbucher", berichtet Baumann.
Politik habe in irgendwie immer interessiert, auch als junger Mensch. Die Familie habe auch schon immer liberale Interessen vertreten. Da fiel der Entschluss, in die FDP einzutreten nicht schwer. "Seit 1979 bin ich im Mundelfinger Ortschaftsrat, war dort von 1989 bis 2003 auch Ortsvorsteher. 1992 wurde ich schließlich im Hüfinger Gemeinderat Fraktionssprecher", erläutert der 71-Jährige.
Als er 1982 in den Gemeinderat kommt, ist er der jüngste Stadtrat, inzwischen ist er der älteste. Drei Bürgermeister hat er erlebt. Wie dabei im Laufe der Jahre diskutiert und verhandelt wurde, das habe sich nicht großartig verändert: "Das war wirklich immer gut und konstruktiv."
Zu jener Zeit stellte die CDU die Mehrheit im Rat. Dabei habe man bei eigenen Ideen oder Vorschlägen Überzeugungsarbeit leisten müssen.
Parteipolitisch sei es besonders interessant geworden, als Anton Knapp Bürgermeister wurde. Damit löste ein SPDler einen CDU-Mann ab. "Da gab es im Rat interessante Begebenheiten. In einer Sitzung stand die gesamte CDU-Fraktion auf und verließ den Saal. Mit einer Person hielten wir gerade noch die Mehrheit und konnten die Sitzung fortführen und zu einem Ende bringen. Da gab es einen Aktionismus, der zu nichts geführt hat", so der Fraktionssprecher.
Besonders ist ihm die Debatte um den Hauptstraßenausbau in Erinnerung geblieben: "Das war eine leichte Herkulesaufgabe. Wir haben dabei nicht nur debattiert, sondern auch gestritten. Letztendlich ist allerdings doch ein Kompromiss entstanden." Das sei auch heute noch so: "Bürgermeister Kollmeier versucht auch immer, einen Konsens zu finden". Dennoch gebe es auch ab und zu Enttäuschungen zu verkraften. "Niemand macht 35 Jahre lang Kommunalpolitik und begeht keine Fehler. Da bin ich heute jedoch wesentlich abgeklärter als früher", sagt Baumann.
Sigmund Vögtle: "Die ersten Jahre waren sehr bleiern"
Sigmund Vögtle kam 1989 in den Hüfinger Gemeinderat. "Das war zu der Zeit, als auch Anton Knapp Bürgermeister geworden ist", berichtet er. Bis dahin habe die CDU in der Gemeinde immer die absolute Mehrheit gestellt. Schließlich gewann die SPD sechs Sitze im Rat: "Es war einfach der Wunsch da, dass sich etwas ändert", so Vögtle.
Er ist in Hüfingen aufgewachsen, ging dann nach Freiburg, um Sozialarbeit zu studieren.
Wie Vögtle sagt, sei er schon immer politisch interessiert gewesen. So richtig habe aber der Vietnamkrieg in den Sechziger- und Siebzigerjahren den Ausschlag gegeben. "Das hat uns politisiert. Vor allem die Aussage des deutschen Kanzlers Kurt Georg Kiesinger, alles was die USA mache, werde von der Bundesrepublik unterstützt. Damit wurde Völkermord unterstützt."
Schließlich kommt Vögtle wieder zurück nach Hüfingen, arbeitet 1977 als Bewährungshelfer: "Das war natürlich auch eine Arbeit, die politisch motiviert war. Wir hatten damals eine Klassenjustiz und kleine Leute wurden abgeurteilt", sagt er. Etwa zu dieser Zeit tritt er dann auch in die SPD ein, kandidiert für den Gemeinderat – zunächst erfolglos.
Als es dann klappt, hat die neue Parteien-Konstellation vieles verändert: "Die ersten Jahre waren sehr bleiern – und es gab einen jahrelangen Kampf, um Schulsozialarbeit, den Stadtjugendpfleger", beschreibt Vögtle die Diskussion unter den Fraktionen.
Die Auseinandersetzungen im Rat seien zu jener Zeit heftig gewesen, besonders zwischen SPD und CDU: "In der Zwischenzeit ist alles viel liberaler geworden. Die heutigen Diskussionen sind weniger hitzig", sagt der SPD-Stadtrat.
Große Streitpunkte habe es vor allem bei der Gemeinschaftsschule gegeben, sowie dem Umbau der Hauptstraße: "Dem sozialen Bereich galt schon immer mein Interesse. Sei es im Schulbereich, oder dem öffentlichen Personennahverkehr. Seit 25 Jahren benutze ich konsequent öffentliche Verkehrsmittel", erklärt Vögtle. Er erinnert sich auch gut an den Disput beim Umbau der Hauptstraße: "Da wurde massiv gestritten. Es ging darum, ob Autos eher in der Stadt gehalten oder zurückgedrängt werden, indem man den Bussen mehr Rechte einräumt."
Reinhard Isak: "Früher waren wirda emotionaler"
SPD-Stadtrat Reinhard Isak gehört seit 1989 dem Hüfinger Gemeinderat an.
Wie er sagt, sei er durch die Studentenunruhen in Heidelberg politisiert worden: "Ich bin ein 68er, durch und durch." Von dort geht er nach Nordhessen und tritt etwa um 1970 in die SPD ein.
"Ich komme aus Geisingen, meine Frau aus Hüfingen. Als wir dann beschlossen, wieder nach Hause zu gehen, war es nur konsequent, hier auch in der SPD aktiv zu werden", berichtet Isak. Die sei damals in Hüfingen allerdings nur sehr klein gewesen. Die Skepsis ihr gegenüber: groß. "Es gab bestimmte Wirtschaften, da konnte man sich als Roter nicht blicken lassen."
Als schließlich Anton Knapp zum Bürgermeister gewählt wird, gibt das der Partei Auftrieb, sie wird eine anerkannte Größe in der Stadt. Die Diskussionen im Rat sind entsprechend heftig: "Es kam nicht nur einmal vor, dass die CDU den Saal verlassen hat. Das ist allerdings bereits 20 Jahre her und spielt heute keine Rolle mehr", so Isak. Es herrsche aktuell ein gutes Klima, 95 Prozent der Entscheidungen würden gemeinsam getroffen. "Die politische Diskussion ist heute wesentlich besser. Früher gab es Tage, an denen man einfach nicht zusammenkam. Bürgermeister Knapp hat den Gemeinderat zu einem Gremium gemacht, das gut zusammenarbeitet", sagt der SPD-Stadtrat
Als besonders strittige Entscheidung hat Reinhard Isak die Hallenbad-Renovierung in Erinnerung. Damals habe es zwei Meinungen gegeben: das Hallenbad zu renovieren und in seinen vorherigen Zustand zu versetzen oder es zu aktualisieren und auf die Höhe der Zeit zu bringen. "Das prallte aufeinander. Wir sind damals auch auf die Straße und wollten eine Modernisierung. Wir haben 'Pro Hallenbad'-Plaketten verteilt", sagt Isak. Er ergänzt: "Da ging es richtig rund."
Die Debatte könnte in nächster Zeit erneut aufkommen, sagt er. Das Bad sei ein Zuschussbetrieb und habe Renovierungsbedarf. "Das Schwimmbad ist wichtig. Es ist ein weicher Standortfaktor. Hüfingen strahlt auch aufgrund des Aquari positiv in die Region hinaus."
Obwohl auch heute teilweise noch hart diskutiert werde, sei man mittlerweile durchaus routiniert: "Früher waren wir da emotionaler. Aber wir sind ja unter Demokraten. Gegner, keine Feinde. Das ist inzwischen kein Problem", sagt Isak.
Aus seiner Sicht hat die Bürgerbeteiligung heute jedoch nachgelassen. Früher, als die Wogen im Stadtrat noch hochgingen, seien etwa mehr Zuschauer bei den Sitzungen gewesen: "Vielleicht brauchen wir in Zukunft die richtige Mischung aus Rednerschaft und Konflikten", so der 65-Jährige. Vielleicht, sagt er, sei die Zusammenarbeit zu intensiv, und etwas mehr Kontra wäre notwendig.