Wenn das billigste Öl im Supermarkt plötzlich nicht mehr 1,39 Euro kostet, sondern 1,80 Euro oder gar 1,99 Euro, dann merkt Frau Berisha das. Dann wischt sie nach dem Braten zu Hause die Pfanne eben nicht gleich aus. Und verwendet das Öl nochmal. Gemüse kauft sie meist nur tiefgekühlt. Obst gibt es selten. Klamotten kauft sie secondhand.
Eine Woche vor Monatsende hat sie manchmal noch 50 Euro übrig. Wenn es gut läuft 80 Euro. Wenn die Kinder mal eine Pizza oder eine Dönerbox bekommen, dann nur am Ende des Monats. „Ich muss sicher sein, dass es reicht“, sagt Berisha.
Sie will nicht jammern
Berisha ist 36 Jahre alt und heißt eigentlich anders. Sie ist Mutter von vier Kindern im Alter von fünf bis 14 Jahren. Hartz-IV-Empfängerin. Alleinerziehend. Sie hat Gewalt erlebt; zu ihrem Schutz wird ihr Name nicht veröffentlicht.
Der Kontakt zu ihr kam über die Beratungsstelle der Diakonie zustande. Sie will erzählen. Wie es ist. Sie will nicht jammern. Irgendwie kommt sie schon über die Runden. Es gibt ja Zuschüsse und Hilfen vom Staat. „Es ist okay“, sagt sie.

Mehr aber auch nicht.
Sie sucht seit langem eine neue Wohnung. Die Baugenossenschaft Familienheim hat sie aus ihrer Kartei längst gestrichen. Sie hat einen negativen Schufa-Eintrag. Eine Telefonrechnung oder so. Vor Jahren. So wohnt sie weiter auf 62 Quadratmetern. Zwei Zimmer, 520 Euro warm. Direkt an der Bundesstraße. Sie schläft im Wohnzimmer.
Die Kinder würden gerne in einen Sportverein. Boxen oder Turnen. Sie kann es sich nicht leisten. Sie tankt für 50 Euro im Monat. Maximal. Mehr geht nicht. Sie wohnt in St. Georgen. Ihr Kinderarzt ist in Schwenningen. Sie fährt nur, was absolut nötig ist.
Das Selbstbewusstsein ist Stück für Stück verschwunden
Berisha ist gelernte Einzelhandelskauffrau. „Ich kann nichts planen mit den Kindern“, sagt sie. „Wie soll ich eine Arbeit finden?“ Für die Jobsuche braucht sie einen klaren Kopf. Dafür will sie erstmal aus der Wohnung raus.
Vielleicht braucht sie für die Jobsuche aber auch ein wenig Mut. Selbstbewusstsein. Das ist ihr im Leben Stück für Stück abhanden gekommen. Darum sagt sie heute Sätze wie diese: „Ich bin alleinerziehend, mit Kopftuch, ohne Arbeit. Da kommt alles zusammen.“ Und: „Früher habe ich mich viel mehr getraut.“
Berisha ist kein Einzelfall. Wer merkt, er kommt mit dem Geld nicht mehr zum Monatsende, der landet irgendwann vielleicht in dem kleinen Büro von Nikola Wangler, direkt neben der Evangelischen Kirche in St. Georgen.
Wangler ist Sozialarbeiterin bei der Diakonie. Seit der Pandemie kann sie die Armut bei vielen wortwörtlich im Gesicht sehen: „Man sieht schon an den Masken, ob jemand Geld hat.“
FFP2-Masken sind nicht im Harzt-IV-Budget enthalten. Ebenso wenig wie steigende Strom- oder Gaspreise. Damit stehen sie bei Wangler gerade reihenweise im Büro. Nebenkostenabrechnungen. Nachzahlungen. Ratlosigkeit. „Eine Familie muss jetzt 1200 Euro nachzahlen.“ Die meisten sind in der Grundversorgung. Wangler setzt sich dann mit ihnen hin und wechselt den Vertrag.
„Hilfe annehmen ist für mich eine Stärke und keine Schwäche. Es erfordert viel Mut.“Nicola Wangler, Diakonie
Mietschulden statt Sparkonto
Neben Stromschulden sind vor allem Mietschulden ein großes Problem. Ab zwei Monaten Mietrückstand kann der Vermieter kündigen. Aktuell hat sie jede Woche mindestens drei Wohngeldanträge. Tendenz steigend. Überhaupt die Wohnungssuche. „Ein riesen Problem“, sagt Wangler.
„Ich habe nicht so viele, die jetzt händeringend eine neue Wohnung suchen. Die meisten haben schon aufgegeben.“ Und wohnen dann eben weiter dort, wo man eigentlich kaum wohnen kann. In nicht isolierten Wohnungen. Mit zwei Zimmern zu wenig. Von Renovierungen ganz zu schweigen.
Die Wohnungssuche als enorme Hürde
Der Landkreis legt fest, wie viel Kaltmiete vom Sozialamt bezahlt wird. In Villingen-Schwenningen, Donaueschingen, Bad Dürrheim sind es 576 Euro für vier Personen. In St. Georgen 516 Euro. Für maximal 90 Quadratmeter. „Kein Mensch findet da noch eine Wohnung“, sagt Wangler.
Produktionshelfer oder Bauhelfer, die am Ende 1500 Euro haben, um eine vierköpfige Familie zu ernähren. Die nur mit Wohngeld und Kinderzuschlag irgendwie über die Runden kommen. Das sind die meisten ihrer Klienten.
Tafel statt Supermarkt
Bis vor kurzem hat Nicola Wangler immer etwa 20 Gutschein-Karten für den Tafelladen bei sich im Vorrat gehabt. Das hat dann etwa für drei bis vier Monate gereicht. Diesen Monat hat sie zum ersten Mal doppelt so viele bestellt. 2,50 Euro ist ein Gutschein wert. Wenn sie merkt, es ist knapp, gibt sie die Gutscheine aus. Kaum einer fragt aktiv danach. „Viele haben große Hemmungen, etwas anzunehmen.“
Die meisten rufen aus einem ganz anderen Grund an. Viele, weil sie sich schämen. Manche, weil sie gar nicht wissen, welche Hilfen sie bekommen können. Ein paar kommen immer zum Monatsende. Seit Ende vergangenen Jahres jedenfalls, dass kann Wangler beobachten, kommen immer mehr, die plötzlich mit ihrem Geld nicht mehr hinkommen.
„Das System ist zu kompliziert.“Nicola Wangler, Sozialarbeiterin bei der Diakonie
Und wie viele ihrer Klienten, würde sie schätzen, machen es sich vielleicht auch ein wenig bequem? „Da fällt mir niemand ein“, sagt sie. „Die meisten haben die Idee, aber nicht die Bildungsmittel.“ Vielleicht ist das die wahre Tragödie. Oder, wie Nicola Wangler es ausdrücken würde: „Das System ist zu kompliziert.“
Je länger sie diesen Job mache, desto mehr sei sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen. „Die Leute müssen mit so viel Geld ausgestattet sein, dass sie im normalen Laden einkaufen können, ohne dass jemand sieht, dass sie arm sind“, sagt Wangler. Und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Das hat was mit Menschenwürde zu tun.“