Was schon kurios anfing, wird noch kurioser: Ein Heimatforscher aus Niedersachsen suchte den verschollenen Onkel seiner Frau. Da dieser laut Sterbeurkunde in Singen verstarb, kontaktierte er den SÜDKURIER. Nachdem die Geschichte veröffentlicht wurde, meldeten sich Familienmitglieder und ehemalige Nachbarn des gesuchten Heinrich Grotheer aus Bohlingen. Doch seltsam ist: Es gibt keine Fotos von ihm und keiner hatte näher mit ihm zu tun. Man könnte fast meinen, Heinrich Grotheer war ein Phantom.
Thomas Wieland aus Weiler, einem Ortsteil der Gemeinde Moos, ist die Geschichte sofort ins Auge gestochen, als er sie las. Er sammelt in seiner Freizeit alle SÜDKURIER-Artikel von der Höri und aus Bohlingen ab dem Jahr 1945. Diese beschreibt er in Stichworten und legt sie in einem digitalen Archiv ab. So kann man ganz einfach nach konkreten Inhalten suchen, erklärt er. Das machte er nun interessehalber mit dem Namen „Heinrich Grotheer“ und wurde fündig:
Ein Archivartikel liefert Informationen
Es wurden im Jahr 1967 eine Todesanzeige und ein Nachruf zu Heinrich Grotheer veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass dieser als Soldat im Zweiten Weltkrieg gekämpft habe und mehrere Jahre in französischer Gefangenschaft gewesen sei. Danach habe er seine Frau Amalia kennengelernt, mit der er dann in ihrem elterlichen Haus in Bohlingen gelebt habe. Grotheer sei außerdem viele Jahre bei der Firma Georg Fischer in Singen beschäftigt gewesen. Im Alter von 62 Jahren sei er schließlich im Singener Krankenhaus an einer langen, unheilbaren Krankheit verstorben.
Grotheer ist ein Begriff in Bohlingen
Thomas Wieland wandte sich mit seinem Fund an Angelika Weigand aus Bohlingen. Die passionierte Ahnenforscherin hat 2023 anlässlich der 1250-Jahr-Feier des Dorfes eine Bohlinger Häuserchronik veröffentlicht. In dieser erwähnte sie Heinrich und Amalia Grotheer beim Haus in der Ledergasse 30, wie sie im Gespräch mit dem SÜDKURIER berichtet.

Der Name Grotheer ist laut Weigand auf jeden Fall ein Begriff in Bohlingen. „Aber es erinnern sich alle nur ganz vage an ihn. Ich habe auch mit seinen ehemaligen Nachbarn in der Ledergasse gesprochen. Er muss so zurückgezogen gelebt haben, dass man ihn kaum auf der Straße gesehen hat“, so die alteingesessene Bohlingerin. Heinrich Grotheer sei groß und blond gewesen und habe gehinkt – das ist das einzige, was Weigand noch über ihn sagen kann.
Über ihn wurde kaum gesprochen
Ähnlich geht es auch Monika Schudel, die selbst viele Jahre in Bohlingen lebte. Sie ist die Enkelin von Amalia Grotheer und meldete sich beim SÜDKURIER, nachdem sie den Artikel über „Onkel Heini“ in der Zeitung las. Schudel zufolge hatten Heinrich und Amalia keine gemeinsamen Kinder. Ihre Mutter Gerda stammte aus der ersten Ehe von Amalia, Heinrich adoptierte sie nach der Hochzeit. „Ich selbst habe meinen Stiefgroßvater Heinrich gar nicht gekannt. Er ist sechs Jahre vor meiner Geburt gestorben“, erzählt Monika Schudel.

Sie und ihre Schwestern Elisabeth Knoblauch und Gudrun Strauch wissen deshalb nur wenig über ihn. „Eigentlich ist es fast kurios: Es wurde nie darüber gesprochen, wie Heinrich meine Oma überhaupt kennengelernt hat. Wir haben auch erst später erfahren, dass er gar nicht der leibliche Vater unserer Mutter war“, stellt Schudel fest. Aus Interesse durchforstete sie alte Fotoalben, konnte aber kein einziges Foto von Heinrich Grotheer finden.
Aber immerhin eine Erkenntnis konnte sie gewinnen: „Meine Oma hat nie ein böses Wort über ihn verloren. Er soll sehr lieb und fürsorglich gewesen sein“, sagt Heinrich Grotheers Stiefenkelin lächelnd.

Das fängt der Heimatforscher mit den Infos an
Heimatforscher Rainer Brandt aus dem niedersächsischen Bremervörde hat den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht hat, indem er anlässlich seines 80. Geburtstags endlich das fehlende Puzzleteil in seiner Familiengeschichte ergänzen wollte. „Durch den Zeitungsartikel habe ich interessante Informationen als Rückmeldung erhalten, die ich mir gewünscht habe und für die ich dankbar bin“, berichtet er.
Und weiter: „Ich fühle mich – glaube ich – ein wenig zufriedener mit meiner Situation in der Familienforschung Grotheer. Für die Menschen, die keinerlei Zugang zu diesem Interessengebiet der Familienforschung haben, ist diese Zufriedenheit sicher kaum nachvollziehbar, aber immerhin habe ich viele Jahre vergeblich gesucht.“
Brandt ist nach eigenen Angaben unter anderem mit Angelika Weigand und Monika Schudel in Kontakt getreten. Er schätze es sehr, dass sich die besagten Menschen sein Anliegen zueigen gemacht hätten und ihm nun ein gewisses Bild von „Onkel Heini“ ermöglichen.
„Ich habe die zahlreichen Informationen in die Familienforschung Grotheer eingearbeitet, die den Verwandten meiner Frau und anderen Interessierten nun zur Verfügung stehen. Außerdem habe ich einigen Personen in Gnarrenburg von dem erfreulichen Ergebnis berichtet“, so der 80-Jährige.