„Ich habe vier Gummibärchen gegessen“, freut sich Jürgen Engler an diesem Samstagmorgen. Vier winzige bunte Süßigkeiten – für ihn in jenem Moment ein großer Fortschritt.
Der an Multipler Sklerose (MS) erkrankte Villinger unterzieht sich derzeit in Mexiko einer Stammzellentherapie. Eine gute Woche nach dem Start hat er teils mit heftigen Nebenwirkungen zu kämpfen.
Mehr als 20 Jahre leidet der 55-jährige Engler schon an MS. Seit 2019 wird sein Zustand stetig schlechter, für längere Strecken braucht er inzwischen den Rollstuhl.
Eine 57.000 Euro teure Stammzellentherapie in Mexiko soll die Krankheit nun zumindest zum Stillstand bringen. 13.000 Euro Spenden sind nach einem Bericht im SÜDKURIER dafür zusammengekommen, den Rest muss Jürgen Engler selbst bezahlen.

Jürgen Engler und sein Mann Daniel haben nun am 2. Februar, einem Sonntag, ihre Wohnung in Villingen abgeschlossen und sind mit viel Hoffnung in das große Abenteuer im Kampf gegen die Krankheit gestartet.
Dort angekommen, geht es schon am Montagmorgen direkt nach dem Frühstück los mit Corona-Test, Blutabnahme und Röntgen. Lungentest, EKG und Blutdruckmessung folgen kurz darauf.
Großer Respekt vor der Chemotherapie
Schon an Tag zwei steht für den 55-Jährigen die erste Chemotherapie auf dem Plan. Davor, so hat er Wochen zuvor daheim in Villingen erzählt, habe er wirklich Respekt. Angst sogar. Am Dienstag um Punkt 14.21 Uhr läuft die erste von zwei Infusionen in seine Adern, um 19 Uhr ist alles vorbei. Für diesen Tag zumindest.
Die zweite Chemotherapie steht am nächsten Tag an. „Außer Müdigkeit ist alles super“, erzählt Daniel Engler zu dem Zeitpunkt.
Voller Sorge blicken die Villinger zum nahen Vulkan Popocatepetel, der von der Dachterrasse aus zu sehen ist. Gerade spuckt er ein wenig Dampf aus. Sollte er jedoch ausbrechen, ist die Dachterrasse tabu. „Dann ist nichts mehr mit frischer Luft“, wissen die Villinger.
Morgens und abends gibt es nun jeweils eine Spritze für Jürgen Engler – ihre Funktion: Sie soll Stammzellen aus dem Knochenmark in sein Blut locken. Nach der ersten Spritze hat der 55-Jährige leichtes Bauchgrummeln. Was Jürgen Engler zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß: Es ist nur der Vorbote für den nächsten Tag.
„Heute ging es allen Männern aus der Gruppe richtig schlecht. Jeder hat den ganzen Tag nur geschlafen. Der Arzt meinte, das sei normal“, so Daniel Engler. Die Nacht wird dafür sehr lang – Jürgen Engler bekommt nun kein Auge zu.
Und es geht so weiter: „Kein Durst, kein Hunger, kann nicht stehen, liegen oder sitzen“, berichtet der 55-Jährige selbst. Jedoch: Es gehe allen hier so. Und unterkriegen lasse er sich davon nicht. „Wir sind ein cooler Haufen hier, wir gehen den Weg zusammen“, sagt er.
Eine frühere Patientin macht große Hoffnung
Zusammen, das sind 19 MS-Patienten aus aller Welt, die hier die gleiche Behandlung über sich ergehen lassen, die gleichen Hoffnungen und Wünsche haben.
Hanna aus Deutschland ist eine von ihnen. Begleitet wird sie von Katharina, die die Therapie im vergangenen Jahr gemacht hat und der es heute gut geht. Für Jürgen und Daniel Engler ist sie Freundin und Hoffnungsträgerin in einem geworden.

Eine knappe Woche nach der ersten Chemotherapie geht es für den 55-jährigen Villinger dann wieder bergauf. „Ich habe in Zeitlupe geduscht und Zähne geputzt, hole mir gleich eine Spritze ab und dann gibt es Frühstück“, erzählt er.
Jetzt hat er ein wenig Lust auf Obst. Danach ist Ausruhen angesagt, das sei wichtig, betont er. „Kein Spiel, keine Musik, kein Film.“
Jetzt kommen auch die Haare ab
Er verliert nun auch die ersten Haare. Eine Folge der beiden Chemotherapien. „Die kommen jetzt ab“, beschließt Jürgen Engler. Da nach der Stammzellenentnahme, die in wenigen Tagen geplant ist, extreme Vorsicht vor Verletzungen nötig ist, greift Mann Daniel sogleich zum Rasierer. „Hart, aber nötig“, kommentiert der 55-Jährige.

Noch hat Jürgen Engler anstrengende Wochen in Mexiko vor sich. Er weiß, dass es auch weiterhin kein Spaziergang wird, bis schon bald der Tag der lang ersehnten Stammzellen-Transplantation kommt. Doch unterkriegen lässt er sich nicht: „Der Körper macht Extremes durch, aber ich schaff‘ das“, betont er.