Rolf Hohl

Es ist ein Hilferuf von Apothekern und Ärzten aus der Region, wie man ihn mitten in Europa lange nicht für möglich gehalten hätte: Die Medikamente gehen aus. Und es sind nicht die exotischen unter ihnen, die nur selten zum Einsatz kommen, sondern Blutdruckmedikamente, Schilddrüsenmittel oder selbst weit verbreitete Schmerzmittel wie Ibuprofen. Ein Blick auf das seit Monaten schwelende Problem zeigt, dass die Gründe für den Mangel je nach Medikament unterschiedliche sind.

Erst einmal sind es aber Versorger und Patienten, die mit den Engpässen zu kämpfen haben. „Das ist ein Problem, das momentan nicht nur die Apotheken hier in der Region betrifft, sondern in ganz Deutschland“, sagt die Leiterin einer Villinger Apotheke, die namentlich nicht genannt werden möchte.

Improvisation und mehr Aufwand

Um trotzdem die Kunden noch ausreichend mit den wichtigsten Arzneimitteln versorgen zu können, müsse man nun improvisieren. „Wenn jemand etwa von einem Medikament 25 Milligramm benötigt, wir aber nur noch 50 Milligramm-Tabletten haben, dann werden die an der Bruchstelle gebrochen und so verarbeitet“, erklärt die Apothekerin.

Oft sei auch der Kontakt zum Hausarzt des jeweiligen Patienten notwendig, um abzuklären, ob auch andere Medikamente als Alternative in Frage kämen, was ein erheblicher Mehraufwand bedeute.

„Man erfährt zunächst nichts“

Auch Ärzte wie der Villinger Neurologe und Psychiater Berthold Graf beklagen die eklatanten Engpässe bei wichtigen Medikamenten. So fehle neben einigen Antibiotika auch das für sein Fachgebiet wichtige Antidepressivum Venlafaxin, das Neuroleptikum Dominal wie auch das Demenzmittel Memantine.

„Auf Nachfrage bei den Firmen erfährt man zunächst nichts“, sagt er. Erst später sei ihm mitgeteilt worden, dass derzeit viele Grundstoffe aus China, Indonesien und Indien, die für die Arzneimittelproduktion benötigt werden, nicht lieferbar seien.

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Tatsächlich sei dies einer von mehreren Gründen für die Lieferengpässe, wie Frank Eickmann vom Landesapothekerverband Baden-Württemberg sagt. „Die Produktion der Wirkstoffe wurde in den vergangenen Jahren fast vollständig in Länder wie China und Indien verlagert, und wenn es dort Schwierigkeiten gibt, merken wir das hier.“

Europaweit gebe es seines Wissens beispielsweise keine eigene Antibiotika-Produktion mehr. Und auch die Lieferprobleme beim Schmerzmittel Ibuprofen kamen durch äußere Einflüsse zustande, als ein Großwerk der BASF in Texas vor über einem Jahr ausgefallen war. „Wir sind in einer globalisierten Wirtschaft abhängig vom internationalen Markt“, so Eickmann.

Medikamente erreichen Deutschland gar nicht erst

Eine weitere Ursache sei der politische Druck, der in den vergangenen Jahren zu stark sinkenden Medikamentenpreisen geführt habe. „Viele Arzneimittel aus dem Ausland erreichen Deutschland gar nicht mehr, weil es lukrativer ist, sie in etwa in Großbritannien zu verkaufen, wo die Preise höher sind“, erklärt Eickmann.

Er plädiere daher dafür, in Deutschland und Europa die Zulieferer stärker in die Pflicht zu nehmen und mittelfristig auch wieder eine eigene Wirkstoffproduktion aufzubauen, um die Abhängigkeit von anderen Ländern zu reduzieren.

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Am Schwarzwald-Baar-Klinikum scheint man indes noch ausreichende Reserven zu haben. Dort gelinge es bislang, „durch geschickte Vorratshaltung das Thema Medikamentenknappheit von den Patienten fernzuhalten“, wie Sprecherin Sandra Adams erklärt. Doch das Problem, so mahnt Frank Eickmann, dürfte in den kommenden Jahren immer wieder auftauchen.