VS-Villingen – Nicht jeder darf in Villingen ein Stüble eröffnen. So eine närrische Lizenz haben die Eltern von Antje Werner-Steidle seit mehr als 30 Jahren. Vor allem für Protestanten war das in der katholischen Narrenhochburg etwas Außergewöhnliches. Manche fuhren in der Fastenzeit einfach weg, um den „unchristlichen“ Auswirkungen aus dem Weg zu gehen. Inzwischen hat sich aber vieles geändert.
Seit 2012 dient das ehemalige Mesnerhaus der evangelischen Johannesgemeinde an der Gerberstraße als Fasnet- und Narrostüble. Denn: „Evangelisch kann auch Fasnet.“ Und dazu erzählt Antje Werner-Steidle von der Familientradition ihrer Eltern und vom ehemaligen Mesnerhaus.
Ab 1990 diente die Alte Zunftstube/Fortuna und Gambrinus als Narrostüble, ab 2003 das VDK-Büro in der Villinger Brunnengasse. Als das Mesnerhaus frei wird, kann man dort 2012 ein Fasnetstüble im Oberstock eröffnen. Ein Team mit Kirchenältesten, Gemeindegliedern und dem Dekan sorgt seitdem dafür, dass man während der Fasnettage hier mit hausgemachten Speisen eine gediegene Villinger Fasnet mit Wohlfühlcharakter feiern kann. Eine gute Lösung, die die Anonymität der Narros, Stachis, Morbilis und Altvillingerinnen mit Scheme gewährt.
Zivilisten, so gerne auch mal die Nicht-Häs-Träger genannt, begegnen im Treppenhaus den Maschgere der Narrozunft Villingen. Es wird gestrählt, gesungen und gelacht. Infos über Tradition, Häsbemalung, Schemenschnitzer, Haubenmacher, Krättleinhalt, Schnupfdosengestaltung und mehr gibt es hier ganz unkompliziert. Musikgruppen, Trieber oder Wuescht besuchen die Stockwerke und sorgen für fröhliche Stimmung. Familien aus unterschiedlichen Fasnetvereinen treffen sich und Menschen, die sich keiner Kirche angehörig fühlen, entdecken Kirche hier neu. Dazu wird auf Spendenbasis bewirtet, jeder legt das, was er kann, in ein Kästchen. So kann jeder teilhaben am guten Essen, fröhlicher Stimmung und sozialen Kontakten.
Der Erlös geht an unterschiedliche und überprüfte soziale Projekte wie etwa an die Partnergemeinde des evangelischen Kirchenbezirks Villingen in Südindien zur Unterstützung der Waisenheime, an ein Altenheim in Israel mit Holocaustüberlebenden, an die Schnellerschule in Jordanien für geflüchtete Kinder aus Syrien, an Refugio, die Diakonie-Katastropenhilfe, an ein Zahnprojekt in Madagaskar oder für die Anschaffung eines Traktors im Kongo zur Eigenversorgung. Dazu wird mit internationaler Unterstützung gewirtet und eine Fasnet-Tradition ohne Rausch und Übergriffe vermittelt.
In 99 Einsatzschichten zu jeweils drei Stunden engagieren sich Gemeindeglieder, Pfarrerinnen und Pfarrer und der Dekan, Frauen aus der Johanneswerkstatt, Freunde und immer wieder zugezogene Menschen aus Syrien, Afghanistan, der Ukraine oder dem Iran. Die Mitwirkenden fühlen sich wohl und wertgeschätzt in der verrückten Villinger Fünften Jahreszeit, der fröhlich wohltuenden Stimmung, beim Zubereiten von Villingerle und Wurschtsalat, beim Spülen von hunderten Schorlegläsern sowie in der großen Team-Zugehörigkeit, ist die Erfahrung von Antje Werner-Steidle. Zudem sind die Steidles gerne bereit, Hästrägern beim Verlassen des Stübles beim Kragenbinden, Duttrichten oder Schemeanziehen behilflich zu sein, damit alle Maschgere gut angezogen weiterziehen können durch die Stadt.
Eingekauft für die Bewirtung im Stüble wird fair und regional. So kommen die Wurstwaren vom Metzger Staiger, das Brot von Bäcker Hettich und der Kuthmühle, die Kartoffeln von den Bertholdshöfen, frische Karotten, Salat und Grünzeug vom Villinger Wochenmarkt. Mit dem Engagement der jungen Generation ist auch die Zukunft vom Narrostüble gesichert: Bereits vor drei Jahren hat Lisa Steidle – „Lisa und die Villingerle“ – mit ökumenischen Hästrägern aus der Johannes- und St. Konrad-Pfarrei das Narrostüble übernommen.