Es ist das schwerste Gewaltverbrechen an einem der Konstanzer Grenzübergänge zur Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg: Am 10. Februar 1998 kontrolliert der 40-jährige deutsche Zöllner Thomas Lachmaier an der nahe des Sees gelegenen Grenzstation „Klein Venedig“ einen Mitsubishi. Im Auto sitzt der 29-jährige Heizungsinstallateur Mario T. aus Arbon. Der Beamte bittet den jungen Mann, auszusteigen und den Kofferraum zu öffnen.
Kurz darauf erhält die Zentrale am Hauptzoll einen Funkspruch: In dringlichem Ton meldet der Zöllner einen Waffenfund und fordert Verstärkung an. Später wird festgestellt, dass der italienische Staatsbürger Mario T. sieben Pistolen, zwei Gewehre, eine Maschinenpistole der Marke Heckler & Koch, sieben Handgranaten aus jugoslawischer Herstellung und mehrere Hundert Schuss Munition im Kofferraum geladen hatte.
Kurz darauf eskaliert die Situation: Der 29-jährige Fahrzeugführer zieht aus einer Schutzweste, die er unter der Kleidung trägt, eine 9-mm-Schnellfeuerpistole der österreichischen Marke „Glock 18“ und eröffnet sofort das Feuer. Der Zöllner Thomas Lachmaier ist tödlich getroffen. Sein Schweizer Kollege Stefan Jetzer, mit dem Lachmaier an diesem Tag den Dienst am deutsch-schweizerischen Grenzübergang teilt, eilt mit gezogener Dienstwaffe herbei. Er kann noch einen Schuss abgeben, dann wird auch er von den Salven aus der Schnellfeuerpistole getötet.
34 Schüsse feuert Mario T. auf die Zollbeamten ab
34 Mal hat der Todesschütze gefeuert, dann springt er in sein Fahrzeug und flieht in Richtung des damals noch befahrbaren Bahnübergangs am Schweizer Bahnhof Konstanz. Doch dort ist inzwischen ein Einsatzwagen des Bundesgrenzschutzes eingetroffen. Mario T. stoppt seinen Wagen, sein einziger Fluchtweg ist abgeschnitten. Möglicherweise erkennt er in diesen Sekunden, welches Verbrechen er eben verübt hat: Erneut zieht er seine Waffe und schießt sich in den Kopf.
Am Nachmittag stirbt der bereits Hirntote Mario T. im Konstanzer Krankenhaus, nachdem sein herbeigerufener Bruder der Organentnahme zugestimmt hat. Später sagt der Bruder: „Für den Mist, den er gebaut hatte, sollten wenigstens andere Menschen weiterleben.“ Der ledige Thomas Lachmaier und der Familienvater Stefan Jetzer waren sofort tot. Jetzer war an diesem Tag eigens für einen Kollegen eingesprungen, der einen freien Tag nehmen wollte.

Die erschütterten Hinterbliebenen fordern Erklärungen. Auch die Zollbehörden sind zunächst ratlos, in der Bevölkerung macht sich tiefe Betroffenheit breit. Am selben Tag hatte am deutsch-polnischen Grenzübergang Ludwigsdorf bei in Görlitz ein geistig verwirrter Kasache in einem Linienbus zwei junge Zollbeamte erschossen. Bundesweit wird die Frage aufgeworfen, wie es um die Sicherheit an den Grenzen bestellt sei.
In Konstanz aber wird darüber spekuliert, was ein 29-jähriger Italiener mit einem Kofferraum voller Waffen, Munition und Handgranaten in der Stadt wollte: Hatte ein Waffenhändler der Mafia den relativ stillen Grenzübergang genutzt, um seine Fracht nach Deutschland zu schleusen? Die Ermittlungsbehörden finden im Fahrzeug des Täters und in seinem privaten Umfeld aber keine weiteren Hinweise auf Verbindungen zur organisierten Kriminalität.

Alle Waffen, bis auf die Handgranaten und eine Pistole, hatte er im Rahmen des damals noch sehr liberalen Schweizer Waffenrechts legal erworben und ordnungsgemäß in einem Stahlschrank verwahrt. Auf einem Schweizer Schützenstand half er gelegentlich aus. Man beschrieb ihn dort als „freundlich und zuvorkommend“. Doch unter Waffensammlern gilt er als „kleiner Fisch“, was ihn kränkt.
Einige Tage nach der Tat wird bekannt, dass eine fest installierte Videokamera des Schweizer Grenzwachtkommandos das Tatgeschehen aufgezeichnet hat. Nun geraten die beiden ermordeten Beamten selbst in die Kritik: Hatten sie ausreichend auf die Eigensicherung geachtet, hatte der deutsche Zöllner einen Moment zu lange gezögert, statt den Verdächtigen sofort durch Handschellen handlungsunfähig zu machen? Der oberste deutsche Zollchef verteidigt die Beamten: Gegen einen Überraschungstäter wie Mario T. könne man sich kaum wehren.
So wurde der spielsüchtige Thurgauer zum Täter
Schweizer Medien bezeichnen die Morde als „Verzweiflungstat eines Waffennarren“. Recherchen eines Reporterteams von SÜDKURIER und dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Umfeld des Täters kommen damals zu einem anderen Ergebnis: Der hilfsbereite Mario T., den seine Nachbarn in Arbon den „Quartierbär“ nannten, ist im Februar 1998 durch seine Spielsucht rettungslos verschuldet. Der pummelige Heizungsbauer, der bei Frauen nicht so recht ankommt, ist kein Waffenhändler der Mafia.
Er ist ein manisch getriebener Automatenspieler, der gerade seine bürgerliche Existenz an die Wand gefahren hat: Überhöhte Bankkredite, die er nicht mehr bedienen kann, und Außenstände bei dubiosen Geldverleihern haben ihn in den Monaten vor der Tat in eine ausweglose Lage gebracht. Der Bank schuldet er 40.000 Franken, bei diversen deutschen Geldhändlern steht er mit Tausenden D-Mark in der Kreide. Die dubiosen Kredithaie fordern ihr Geld mit Höchstzinsen zurück.
Schon länger ist er Stammkunde des Konstanzer Jackpot-Casinos am Bahnhof. Dort hofft er verzweifelt darauf, den mit 600.000 D-Mark gefüllten Jackpot zu knacken. In den Wochen vor der Tat ist Mario T. depressiver Stimmung und gereizt, was Familie und Freunden auffällt.
Am Tag seines grausamen Verbrechens, das zwei Familien ins Unglück stürzt, packt er alle seine Waffen ein und hinterlässt seinem Bruder einen Zettel: „Ich bedauere, dass es so weit gekommen ist“. Nie geklärt wird, was Mario T. mit einem Kofferraum voller Waffen in Konstanz wollte: Den Geldboten des Casinos oder gleich die Spielbank überfallen oder die Waffen als Pfand für seine Schulden einlösen?
Wenige Stunden nachdem er sich aus seinem bürgerlichen Leben verabschiedet hat, löscht Mario T. zwei Menschenleben aus und bringt sich am Ende selbst um. Für die Angehörigen der Opfer waren die brutale Sinnlosigkeit dieser Tat und die Selbstbezogenheit des Täters auch Jahre danach nicht zu verstehen.
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