Als die Wirtin Beatrice Friedrich am 15. Mai 2016 wie jeden Morgen mit ihrer Hündin am Seerhein spaziert, macht sie eine grausame Entdeckung: Am Ufer des Strandbads von Tägerwilen (Schweiz) sieht sie Teile eines Körpers, mit einer gelb-karierten Wolldecke verhüllt.
Die 49-Jährige ruft mehrmals, doch es kommt keine Antwort. Sie läuft zum Ufer und sieht den Kopf einer Frau unter Wasser liegen. Beatrice Friedrich ruft die Polizei. Ab diesem Zeitpunkt setzen die Ermittlungsarbeiten internationaler Teams ein, die schnell zum mutmaßlichen Täter führen.
Zeugen sehen ihn am Abend kurz vor der Tat mit dem späteren Opfer im Restaurant Kuhhorn der Tägerwiler Badi, er trinkt mit ihr Bier, sie unterschreibt Papiere. Wenig später liegt sie mit Würgemalen am Hals und mehrfach zertrümmertem Schädel im Seerhein. Die Identität der 38-jährigen Toten, einer Frau aus Konstanz, steht bald fest. Dennoch wird es viereinhalb Jahre dauern, bis der Täter rechtskräftig verurteilt wird.

Die Spur führt nach Barcelona
Zum Verhängnis wird ihm unter anderem sein spanischer Mietwagen, den Zeugen am Tatort sehen. Nur drei Tage nach dem Mord nimmt die spanische Polizei den 59-jährigen Konstanzer, der auf Teneriffa lebte, am Flughafen von Barcelona fest. Konfrontiert mit einer DNA-Anlayse, gesteht er die Tat, später aber widerruft er sein Geständnis. Damit erschwert er den Strafverfolgern die Arbeit.
Ermittler in der Schweiz, Deutschland und Spanien befragen Zeugen, werten Handydaten und Chats aus, sichten Überwachungskameras und rekonstruieren mühsam zeitliche Zusammenhänge. Vor allem müssen sie folgende Fragen klären: In welcher Beziehung standen mutmaßlicher Täter und Opfer zueinander? Was ist das Motiv? Und ist der Verdächtigte schuldfähig?
„Es wird ein Indizienprozess“, sagt damals Ruth Faller, Präsidentin des Bezirksgerichts Thurgau in Kreuzlingen und Richterin in diesem Fall, der im März 2019 verhandelt wird. Der Angeklagte strickt ein Netz aus Lügen und zeichnet von sich selbst ein Bild, das laut Gericht nicht der Wahrheit entspricht.
Auch sein Anwalt wirft Fragen auf, vor allem das Motiv zieht er in Zweifel: Warum sollte sein Mandant eine Frau erschlagen, die er bald heiraten wollte? Den Mord müsse ein unbekannter Dritter begangen haben. Er plädiert auf Freispruch.

Die Beziehung zwischen Täter und Opfer
Das Bezirksgericht beleuchtet die seltsame Beziehung zwischen den beiden Konstanzern. Der Beschuldigte war 16 Jahre lang mit dem späteren Opfer zusammen, es war ein beiderseitiges Abhängigkeitsverhältnis. „Sie hing an ihm, hätte sich ein Kind gewünscht. Er brauchte sie für Sex – und damit sie seine Rechnungen bezahlt“, so sieht es Richterin Ruth Faller.
Denn der Mann hatte Geldprobleme. Nachdem er als Zahntechniker in Kreuzlingen Konkurs angemeldet hatte, zog auf die Insel Teneriffa und hielt er sich mit Jobben in einer Kneipe über Wasser. Das spätere Opfer lieh ihm Geld und wohnte zeitweise bei ihm, obwohl er eine feste Beziehung mit einer Russin hatte – von der die Konstanzerin nichts wusste.
Letztere war in Spanien als selbständige Ergotherapeutin tätig und kehrte nur im Sommer nach Deutschland zurück. In den Augen der Gerichtspräsidentin wollte der Beschuldigte sie töten, weil sie ihm lästig geworden war – und aus Geldnot. Schließlich sollte ihr Tod ihm eine schöne Summe einbringen.
Für die psychiatrischen Gutachter ist der Mann sogar „eine kaltblütige manipulative Persönlichkeit“ mit hoher Rückfallgefahr. Das Kreuzlinger Gericht verurteilt den inzwischen 62-Jährigen zu lebenslanger Haftstrafe mit anschließender Verwahrung.
Der Angeklagte zieht in die zweite Instanz
Der Beschuldigte legt Berufung ein. Ein weiteres psychiatrisches Gutachten wird in Auftrag gegeben, bevor im Dezember 2020 der zweite Prozess vor dem Obergericht Thurgau in Frauenfeld stattfindet.
Das Gericht prüft drei Hypothesen. Erstens: Ein unbekannter Dritter tötete das Opfer. Zweitens: Der 59-Jährige beging den Mord im Affekt. Vor Gericht gibt er an, das Opfer habe – vor ihm kniend – einen Lachanfall bekommen, daraufhin habe er Rot gesehen. Drittens: Der Mann brachte die Konstanzerin vorsätzlich um.

Aufgrund ausführlicher Ermittlungen wertet das Obergericht nur die dritte Variante als plausibel. Der 62-Jährige wird zu 16 Jahren Haft ohne anschließende Verwahrung verurteilt. In der Begründung heißt es: „Die brutale Ausführung der Tat, die vorwiegend finanzielle Motivation sowie die Vorbereitung der Tat lassen das Geschehen des 14. Mai 2016 als besonders skrupellos erscheinen.“ Und weiter: „Der Berufungskläger entledigte sich des Opfers, das ihm vertrauensvoll folgte, aus rein finanziellen und somit krass egoistischen Gründen.“
Dennoch mildert das Obergericht die vom Bezirksgericht geforderte lebenslange Strafe ab, „weil es noch schlimmere Morde gibt“, heißt es in der Begründung. Auch die Voraussetzungen für eine Verwahrung seien nicht gegeben. Weder liege eine langanhaltende psychische Störung vor noch seien weitere Taten dieser Art zu erwarten. Damit unterscheidet sich das zweite psychiatrische Gutachten deutlich vom ersten, das laut Obergericht von einigen Fehlannahmen ausging.

Das Urteil ist rechtskräftig. Dazu gehört auch, dass der Täter die Mutter des Opfers mit 20.000 Schweizer Franken entschädigen muss. Aber auch das bringt ihr keinen Trost. So schreibt der Konstanzer Anwalt Andreas Hennemann, der sie in der zweiten Instanz vertrat: „Das Strafverfahren konnte die Schuld feststellen und das Gericht eine angemessene Strafe verhängen – mehr nicht. Für meine Mandantin blieb einzig der Verlust, den kein Urteil, kein Recht und keine Entschädigung je heilen konnte.“