Was muss in einer Mutter vorgehen, die immer wieder das Leben ihrer Kinder bedroht oder sogar beendet? Diese Frage stellte sich im Januar 2003, als ein Prozess am Landgericht Konstanz begann. Ein junges Paar wurde beschuldigt, das eigene Kind getötet zu haben. Die Frau soll zuvor zwei weitere Kinder von anderen Männern erstickt haben. Im Lauf der Verhandlung zeigt sich, dass es eben kein plötzlicher Kindstod war – und die Frau wegen ihrer Vorgeschichte völlig überfordert.
Erste Schwangerschaft mit 19 Jahren
Die Geschichte der Angeklagten beginnt in schwierigen Verhältnissen und ist wirr. Ihr Vater war bei der Geburt bereits 71 Jahre alt, die Mutter 26 mit geistiger Einschränkung. Als die Angeklagte fünf Jahre alt war, wurde das Jugendamt eingeschaltet. Mit Pausen begleitete die Behörde sie bis 2001.
Sexualität sei für sie ein Mittel gewesen, um Zuwendung zu erfahren. Schon mit 19 Jahren wurde sie im Jahr 1992 zum ersten Mal schwanger. Kurz danach heiratet sie den Kindsvater. Sie lebten in Friedrichshafen, doch das Familienglück hielt nicht lange – weil sie das Leben des Kindes bedrohte.
Der erste bekannte Erstickungsversuch geschah, als das Kind vier Monate alt war. Die Mutter legte das Baby in ein überheiztes Zimmer, zog es zu warm an und deckte es zu. Der Vater kam unerwartet früher nach Hause, fand das leblose Mädchen und brachte es ins Krankenhaus. Es überlebte und wohnte später bei seinem Vater, der die Scheidung einreichte.
Zwei Kindstötungen in vier Jahren
Doch es dauerte nicht lange, bis die Frau 1993 von einem neuen Partner erneut schwanger wurde. Das Baby starb im Alter von wenigen Wochen. Angeblich plötzlicher Kindstod, gab die damals 20-Jährige an.
Weitere Männer faszinierten die junge Frau, sodass sie sich in häufig wechselnden Beziehungen wiederfand. 1997 kam in Weingarten das dritte Kind der Frau zur Welt. Der Vater machte sich aus dem Staub und das Baby starb – erneut durch Ersticken, wie die Frau später vor Gericht gestand.
1999 lernte die junge Frau einen ehemaligen Theologie-Studenten kennen und sie wurde erneut schwanger. Für die Frau war es das vierte Kind von drei Männern, doch diese Beziehung war anders: Das Paar heiratete und lebte in Ludwigshafen am Bodensee. Am sechsten Tag, den das Baby bei seinen Eltern verbrachte, wurde es vom Vater unter Mitwirkung der Mutter erstickt.
Kind habe den Eltern „keine Ruhe gegönnt“
Wie es schließlich zu der Tat kam, schilderten die damals 29-Jährige und der damals 25-Jährige vor Gericht unterschiedlich. Als das gemeinsame Kind im November 2001 zur Welt kam, habe es den Eltern „keine Ruhe gegönnt“. Wegen seiner Bauchkrämpfe habe es viel geschrien. Daraufhin hätten sich die Eltern an ein Jesus-Bild gewandt, das im gemeinsamen Schlafzimmer hing.

Unabhängig voneinander habe Jesus ihnen die Erlaubnis erteilt, das Kind zu beseitigen. Mit einem Stück Klarsichtfolie bedeckte ihr Mann Mund und Nase des Babys. Doch dieses habe sich stark gewehrt. Die Frau habe den Säugling auf Anraten ihres Mannes kurz festgehalten und dann das Zimmer verlassen. Ihr Mann machte weiter.
Als das Baby schließlich leblos war, hätten sie es gemeinsam gewaschen. Als es Zeit für das nächste Fläschchen war, hätten sie so getan, als lebe das Kind noch. Dann riefen sie den Notarzt.
Die Schilderung des Vaters
Anders schilderte der Vater vor Gericht die Tatnacht. Er habe seine Frau schreiend im Wohnzimmer vorgefunden. Sie habe ihm gesagt, sie wolle das Kind nicht mehr sehen, es sei widerwärtig und sie wolle es umbringen. Dabei habe sie bereits versucht, den Säugling mit Bettzeug zu ersticken. Der Mann habe ihr dieses weggenommen und vorgeschlagen, es mit Klarsichtfolie zu tun. Dieses habe er auf Mund und Nase des Babys gedrückt.
Ihm sei gewesen, als hätte ihm jemand die Arme schwer auf das Kind niedergedrückt, schilderte er vor Gericht, und er habe sie nicht mehr hochheben können. Der Säugling habe sich gewunden, aber seine Frau habe gesagt: „Jetzt musst du es zu Ende bringen, sonst hast du verloren.“ Deshalb habe er weitergemacht, bis das Kind tot war. Die Frau habe anschließend den Leichnam gesäubert. Er habe Lappen und Folie in einem Mülleimer an einer Tankstelle entsorgt. Danach habe man den Notarzt gerufen.
Beide, sowohl die Mutter als auch der Vater, gaben vor Gericht als Motiv an, dass das ständig schreiende Neugeborene ihnen „auf die Nerven gegangen“ sei. Sie seien mit der Situation überfordert gewesen.
Warum niemand Verdacht schöpfte
Wie ist es möglich, dass drei so grausame Straftaten lange unentdeckt blieben? Die beiden ersten Kinder 1993 und 1997 seien zwar obduziert worden, allerdings ohne Befund, wie der damaligen Berichterstattung zu entnehmen ist. Die Frau gab an, es handelte sich um einen plötzlichen Kindstod.
Der dritte Kindstod machte die Behörden jedoch stutzig und die Fälle wurden erneut untersucht. Drei tote Babys, jedes Mal an einem anderen Wohnort, jedes Mal ein neuer Vater. Schließlich habe man für alle drei Kinder festgestellt, dass ein Tod durch Ersticken die naheliegende Todesursache sei. Vermutlich habe auch der häufige Wohnortswechsel dazu beigetragen, dass die Todesfälle lange unentdeckt blieben.
Die Verhandlungstage vor Gericht
An mehreren Tagen wurde im Januar 2003 über die Schuld des Ehemannes verhandelt, er wurde letztlich zu acht Jahren Haft verurteilt.

Die Strafe für die Ehefrau fiel wenig später höher aus. Sie gab zu, zwei Kinder mit einem Kissen erstickt zu haben und das dritte Kind gemeinsam mit ihrem Ehemann getötet zu haben. Das Landgericht Konstanz verurteilte die Frau daher wegen Totschlags in drei Fällen zu 13 Jahren Haft. Alle drei Taten, so Richter Geiger, seien „vor dem Hintergrund einer misslungenen Sozialisation und der emotionalen Instabilität zu sehen“.
Persönlichkeitsstörung sorgte für emotionale Überforderung
Ein psychiatrischer Sachverständiger diagnostizierte der damals 29-Jährigen eine Persönlichkeitsstörung im Sinne eines Borderline-Syndroms. Instabilität und Überempfindlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie Impulsivität charakterisieren die psychische Erkrankung. Dadurch sei sie emotional völlig überfordert gewesen, als die Kinder zur Welt kamen. Damit der Schmerz über das eigene Versagen nachließ, habe sie die Kinder beseitigen müssen.