Einfach mal raus und kurz frische Luft schnappen. Die Post aus dem Briefkasten holen. Schnell noch ein paar Einkäufe erledigen. Ist doch nichts Besonderes? Für Gabriele Wirtz schon. Seit einer Unterschenkelamputation vor drei Jahren kann sie ihre Wohnung im zweiten Stock nicht mehr selbstständig verlassen. Ein neues, behindertengerechtes Zuhause findet die 63-jährige Frührentnerin nicht.

„Ich war schon lange nicht mehr draußen“, erzählt Gabriele Wirtz und schaut sich traurig um. Das kleine Wohnzimmer mit der gemütlichen Couch und den vielen Bildern in einem Mehrfamilienhaus am Villinger Warenberg ist an den meisten Tagen ihre ganze Welt.

Spätestens vor der Eingangstür ist diese abrupt zu Ende: Grau-weiß gesprenkelte Treppenstufen, die zwischen der Frührentnerin und dem Leben dort unten stehen. „Treppe laufen kann ich gar nicht mehr“, sagt die 63-Jährige. Einen Aufzug gibt es in dem Haus älteren Baujahrs keinen.

Es geht nur mit Krankentransport oder den Söhnen

Wenn sie zum Arzt muss, kommt der Krankentransport und trägt sie nach unten. Ist mal ein Familienfest wie etwa die Konfirmation ihrer 13-jährigen Enkelin neulich, kommen ihre Söhne und helfen. Mit viel Kraft und einem speziellen Treppensteigegerät geht dies in Ausnahmefällen.

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Dass sie einmal quasi in diesen vier Wänden gefangen sein wird, hat sich Gabriele Wirtz nicht träumen lassen, als sie vor 15 Jahren in die kleine Wohnung zieht. Sie ist mobil, arbeitet als Krankenschwester, alles scheint in Ordnung. Treppen? Kein Problem.

Bis die Durchblutungsstörungen in ihrem Bein wegen ihrer Diabetes-Erkrankung schlimmer und schlimmer werden. Im September 2022 muss schließlich der komplette Unterschenkel amputiert werden.

Frührentnerin nahm 13-jährige Enkelin auf

Fast ebenso lange sucht Gabriele Wirtz schon eine neue Wohnung. Ebenerdig oder mit Aufzug, „damit ich ein bisschen selbstständiger leben kann“, sagt sie. Drei Zimmer braucht die Frührentnerin, weil seit zehn Jahren auch ihre 13 Jahre alte Enkelin bei ihr lebt. Wirtz hatte das Mädchen nach der Trennung der Eltern aufgenommen.

Komplett barrierefrei dagegen müsse die neue Bleibe gar nicht sein, erklärt sie. Da könne sie sich arrangieren, mit der richtigen Einrichtung gehe es trotzdem. Wie in ihrer aktuellen Wohnung eben auch. „Da komme ich einigermaßen klar“, sagt sie.

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Obwohl sie nicht kochen kann, weil der Herd zu hoch ist. Obwohl sie nur duschen kann, wenn ihr der Pflegedienst hilft. Obwohl sie nicht auf den Balkon kommt, weil der Durchgang dorthin zu schmal ist.

Die Hoffnung auf ein besseres Zuhause war jedoch bislang jedes Mal schon nach dem ersten Kontakt mit den potentiellen Vermietern vorbei. Frührentnerin mit kleiner Erwerbsunfähigkeitsrente, schwerbehindert und dazu noch einem Schufa-Eintrag – diese drei Hürden bei der Wohnungssuche waren wohl zu groß.

„Da braucht man gar nicht weiter reden, viele haben einfach sofort aufgelegt“, erzählt Gabriele Wirtz resigniert. Obwohl der Schufa-Eintrag von ihrem Ex-Mann aus dem Jahr 1988 stamme, obwohl sie in ihrem Leben noch keine Mietzahlung schuldig geblieben sei, wie sie selbst sagt.

Behindertenbeauftragte versuchen zu helfen

Die Behindertenbeauftragten der Stadt kennen solche Probleme gut. Immer wieder kommen Menschen, die das gleiche oder ähnliche Probleme wie Gabriele Wirtz haben, zu ihnen, zwei waren es bislang im Jahr 2025, berichtet Stadt-Pressesprecher Patrick Ganter.

„In so einem Fall steht der Behindertenbeauftragte den Bürgerinnen und Bürgern beratend und unterstützend zur Seite. Zum Beispiel, indem der Kontakt zu den Wohnungsbaugesellschaften hergestellt oder sogar ganz konkret bei der individuellen Suche nach passendem Wohnraum unterstützt wird“, sagt Ganter.

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Wohnraumprobleme im ganzen Kreis ein Dauerthema

Dass dies nicht einfach ist, bestätigt auch Kristina Diffring, Pressesprecherin des Landratsamtes Schwarzwald-Baar. Auch beim Landkreis gibt es Behindertenbeauftragte. „Wohnraumprobleme allgemein und im Besonderen für Menschen mit Handicaps sind leider nicht nur in Villingen-Schwenningen ein Dauerthema“, sagt sie.

Es sei kaum Wohnraum vorhanden und wenn doch, dann in der Regel nicht zu bezahlbaren Mieten. „Als Landkreis sind uns hier leider die Hände gebunden. Das Problem wird von den Behindertenbeauftragten immer wieder thematisiert, die Sozialpolitik stößt bei der Wohnungspolitik jedoch an ihre Grenzen“, sagt sie.

Größter Wunsch: Endlich wieder rauskommen

Gabriele Wirtz jedenfalls will trotzdem nicht aufgeben. Sie sucht weiter, ob VS oder kleiner Ort, ob Stadt oder Land, das ist ihr alles egal. Ihr einziger Wunsch: „Hauptsache, ich komme wieder selbst raus und kann am Leben teilnehmen.“