Silvio Kalbas ist lange Arbeitstage gewohnt. Als Selbstständiger mit einer Brandschutzfirma war er oft zehn bis zwölf Stunden am Tag unterwegs. Und doch war er abends nie so müde wie nach einem Unterrichtstag an der Bickebergschule.
Kalbas ist 42 Jahre alt, trägt Brille, ein kariertes Hemd und hat ein freundliches Gesicht. Seit Beginn des Schuljahres unterrichtet er nun als Quereinesteiger Technik, Biologie und WBS (Wirtschafts-, Berufs- und Studienorientierung). Zuvor hat er eine gut sechsmonatige Ausbildung bei der IHK absolviert. Offiziell ist er nun ein Aus- und Weiterbildungspädagoge.
Kalbas hat in seiner Berufszeit selbst Azubis betreut und über 6000 Menschen im Brandschutz unterrichtet. Außerdem ist er Jugendtrainer beim FC Fischbach. Er weiß also, wie man mit Kindern arbeitet und wie man Wissen vermittelt. Das ist bei Quereinsteigern sicher nicht die Regel.
„Ich bin auf Augenhöhe mit den Schülern“, sagt er. „Sie können sich bei mir auch mal Ausheulen.“ Seine Schüler wissen, dass er kein studierter Lehrer ist.

Insgesamt 21 Stunden unterrichtet er in der Woche. Ein normales Lehrer-Pensum liegt bei 27 Stunden.
Für eine Unterrichtsstunde von 45 Minuten muss er aktuell nochmal 45 in die Vorbereitung und 45 Minuten in die Nachbereitung stecken. Oft arbeitet er noch, nachdem er seinen neunjährigen Sohn ins Bett gebracht hat.
Kalbas liebt seinen neuen Job. Das spürt man. Und das sagt er auch: „Ich komme hier jeden Tag mit einem Lachen rein.“
Der tägliche Kampf des Schulleiters
Vier Mal hat am Wochenende das Telefon von Alexander Hermann, Schulleiter der Bickebergschule, geklingelt. Vier Mal war es die gleiche schlechte Nachricht: Ausfall wegen Corona. Vier Lehrer auf einmal weg. Als wäre seine Personaldecke nicht auch so schon kurz davor zu reißen.

Alexander Hermann wirkt nicht so, als wäre er leicht aus der Ruhe zu bringen. Anders könnte er das alles wohl auch nicht schaffen. Das neue Schuljahr beginnt er bereits im Notfallmodus – jeder Ausfall würde das System sofort ins Wanken bringen. Reserven gleich null.
Er ist eigentlich Mathelehrer. Seine zehnte Klassen unterrichtet er aber auch noch in Physik. Einfach weil er keinen Physiklehrer hat.
Es ist die Abwägung, die er immer treffen muss: Nehme ich eine unkonventionelle und vielleicht nicht ganz perfekte Lösung oder lasse ich den Unterricht ausfallen? Hermann entscheidet sich immer für das erste. Das kostet mehr Zeit. Und mehr Kraft. Aber so schaffen sie es überhaupt noch, gerade so das Ganztagsangebot aufrecht zu erhalten. „Wir balancieren auf dem Tellerrand“, sagt Hermann.
550 Schüler in den Klassenstufen 1 bis 10 haben sie an der Bickebergschule. Insgesamt 55 Lehrkräfte, 20 pädagogische Mitarbeiter und sechs Quereinsteiger. Drei Lehrerstellen sind unbesetzt. 120 Stunden übernehmen die Quereinsteiger aktuell. Oder, anders ausgedrückt: „Zehn Prozent des Unterrichts wäre ohne Quereinsteiger nicht denkbar“, sagt Hermann.
Öffentliche Kritik des Gesamtelternbeirats
Quereinsteiger aus anderen Berufen, Lehrer die fachfremd unterrichten, Studenten, die nicht beide Staatsexamen bestanden haben – wer sich heutzutage an die Tafel vor eine Klasse steht ist nicht mehr automatisch auch ein voll ausgebildeter Lehrer.
Auch der Gesamtelternbeirat (GEB) hat den Zustand im Dezember vergangenen Jahres öffentlich kritisiert und an das Kultusministerium geschrieben.
Die Lehrerversorgung liegt, wenn man krankheitsbedingte Ausfälle oder auch Schwangere herausrechnet, laut Tino Berthold, dem Vorsitzenden des GEB, bei unter 100 Prozent. Und das kann man spüren. Er hat selbst ein Kind am Schulverbund am Deutenberg. Er weiß, wovon er spricht.
Unterrichtsausfall, Musikunterricht, der nur in zwei Klassenstufen angeboten werden kann, Arbeitsgemeinschaften, die nicht mehr angeboten werden können, fehlende Förderung bei beispielsweise Lese- und Rechtschreibschwächen. Nicht nur am Schulverbund am Deutenberg.
Es ist ein Problem an fast allen Schulen in VS. So bekommt er es von den Eltern gespiegelt. Hinzukommt, dass nicht alle Schulen offen kommunizieren, wo und wie sie Quereinsteiger im Unterricht einsetzen.
Berthold hat per se nichts gegen Quereinsteiger. „Die werden wir immer brauchen“, sagt er. Findet aber: „Wenn sich einer eignet, sollte er einen längerfristigen Vertrag und eine Weiterbildung im Schulwesen bekommen zu einer pädagogischen Fachkraft. Das sollte das Ziel sein.“
Alexander Hermann wählt seine Quereinsteiger sorgfältig aus. „Wir nehmen nicht jeden. Zu vielen habe ich auch ‚nein‘ gesagt.“ Eine ehemalige Erzieherin unterrichtet an seiner Schule Technik und Sachunterricht. Eine Juristin gibt Französisch-Unterricht. Ein Lehramtsstudium qualifiziert nicht unbedingt auch zum guten Lehrer. So sieht Hermann das.
Die Quereinsteiger bekommen nur auf ein Schuljahr befristete Verträge – immerhin werden sie in den Sommerferien inzwischen nicht mehr gekündigt. Hermann hat ein wenig die Hoffnung, einen Großteil seiner Quereinsteiger für immer halten zu können. Die Hoffnung hat er auch bei jedem Referendar. Manchmal vergebens. „Es ist ein Kampf um jede Lehrperson“, sagt er. „Und das kostet Kraft.“