Manchmal muss man ein bisschen Ausschau halten, bis man es im Schatten der Bäume entdeckt, manchmal sieht man es sofort, wenn die Tiere auf den sonnenbeschienenen Wiesenflächen direkt am Zaun genüsslich äsen – das kleine Damwild-Rudel im Überlinger Rehgehege. Das umzäunte Waldstück oberhalb des Stadtgartens ist ein idyllischer Ort, der sich bei Einheimischen und Gästen gleichermaßen großer Beliebtheit erfreut. Für viele gehört er auch noch zum Stadtgarten dazu.
„Die Kinder lieben das Rehgehege, die Kurgäste lieben es und auch für manch Kranken aus den umliegenden Kliniken ist es ein erreichbares Ziel, das Freude macht“, berichtet Andrea Riedmann. Die gelernte Floristin arbeitet seit 40 Jahren in der Stadtgärtnerei und versorgt seit 30 Jahren mit Hingabe das Wild in dem 1,5 Hektar großen Gehege. Dreimal in der Woche füllt Andrea Riedmann die Futterraufen mit frischem Gras und reinigt den Futterplatz und die drei überdachten Liegeflächen.
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Das Grünfutter kommt von der Privatwiese
Das Grünfutter mäht sie an den Futtertagen frühmorgens eigenhändig auf einer privaten Wiese neben ihrem Wohnhaus. Auf städtischen Grünflächen könne sie kein Futter holen, die seien durch Hundekot viel zu stark verunreinigt. „Durch die regelmäßige Mahd haben sich auf der privaten Wiese zahlreiche Kräuter angesiedelt“, berichtet Riedmann stolz und zeigt auf den duftenden Wiesenschnitt in ihrer Schubkarre. Zwischen den Gräsern wächst dort Sauerampfer, Löwenzahn, Spitzwegerich, Salbei und Hahnenfuß. „Ich tu also nebenbei auch noch etwas für die Biodiversität“, sagt sie lachend.
Zusätzlich zum Grünfutter bekommen die Tiere Heu, gelbe Rüben, Äpfel und auch eine Ration pelletiertes Kraftfutter. Frisches Wasser liefert ein kleiner Brunnen. „Im Herbst hole ich bei den umliegenden Landwirten Zuckerrüben und Maiskolben. Das ist für die Tiere dann eine ganz besondere Leckerei“, erklärt Riedmann. Auch Kastanien dürften die Kinder gerne für die Tiere sammeln. Ansonsten bittet die Stadtgärtnerin dringend darum, das Wild nur mit der speziellen Getreidemischung aus dem Futterautomaten zu füttern, und keine Speiseabfälle oder sonstigen Unrat ins Gehege zu werfen, an dem sich die Tiere verletzen könnten.
Warum heute keine Rehe mehr im Rehgehege leben
„Das Rehgehege besteht seit 1957“, erzählt Patrick Zaglauer, Betriebsleiter der städtisch-spitälischen Forstreviere. Bis Ende der 1980er Jahre war dort tatsächlich Rehwild eingesetzt. Der damalige Feldhüter Julius Häusler habe sich intensiv um die Tiere gekümmert und täglich Nahrung aus dem Wald geholt. „Aus heutiger Sicht ist es nicht mehr artgerecht, Rehe so zu halten. Die Haltung von Damwild ist viel unkomplizierter“, erläutert Zaglauer. Das Damwild liebe parkähnliche Strukturen, wie sie der obere Teil des Stadtgartens biete. Und so kommt es, dass im Rehgehege kein Rehbock, sondern ein Damhirsch residiert.
Hansi führt das Rudel an
Hirsch Hansi führt das Rudel an, zu dem vier erwachsene „Kühe“ und vier Jungtiere gehören. Eines der Jungtiere ist ein „Spießer“ mit schon deutlich erkennbarem Geweih. Bevor er für Hansi zur Konkurrenz wird, darf er auf den Wildhof Hildegrund in Stockach umsiedeln. Geschossen wird das Wild im Rehgehege nicht mehr. „Wir sind in engem Austausch mit Familie Patzke vom Wildhof“, berichtet Zaglauer. Das Überlinger Rudel gehöre dem Wildhof und werde von dort aus gemanagt. Alle paar Jahre tausche man zum Beispiel den Hirsch aus, um Inzucht zu vermeiden. Laut Zaglauer ist Hansi ein guter Zuchthirsch: „Zwei der Kühe sind trächtig, im Mai/Juni werden wir Kälber bekommen“, freut er sich.
Trockenheit setzt dem Zuhause der Tiere zu
Doch nicht nur die Tiere müssen auf dem Areal gehegt und gepflegt werden, auch der Wald mit seinem 120 bis 140 Jahre alten Baumbestand braucht die Aufmerksamkeit der Förster. „Der Wald im Rehgehege muss durch die Pflanzung neuer Baumarten klimatoleranter werden“, macht Zaglauer deutlich. Seine exponierte Lage und die Trockenheit setzten dem Mischwald aus Buchen, Fichten, Douglasien und Lärchen zu. Da das Wild die jungen Schösslinge immer gleich abfresse, könne sich der Baumbestand zudem auch nicht verjüngen. Im oberen Bereich des Rehgeheges wurde deshalb jetzt erstmals ein rund 150 Quadratmeter großer Bereich abgezäunt und mit jungen Gehölzen, zum Beispiel Gelbkiefern und einem Mammutbaum bepflanzt.
Riedmann und Zaglauer ist es darüber hinaus wichtig, besonders junge Menschen an die Lebensweise und Bedürfnisse von Hirsch Hansi und seinem Rudel heranzuführen. Deshalb organisieren sie jedes Jahr gemeinsam mit dem Verein zum Erhalt des Überlinger Rehgeheges e.V. zwei Führungen im Rahmen des Kinderferienprogramms. „Wir möchten hier pädagogisch etwas erreichen. Viele Kinder wissen gar nicht, was Damwild ist“, ist Zaglauers Erfahrung.