Türk. SV Singen – SC Lahr (Sonntag, 15 Uhr, Kunstrasenplatz Süd). – Yahya Zidans Leben besteht aus zwei Teilen, aus dem Davor und dem Danach. Vor und nach seiner Flucht.

Im Danach ist Yahya Zidan ein deutscher Speditionskaufmann, der am Bodensee lebt, eine Freundin hat und erfolgreich beim Verbandsligisten Türk. SV Singen auf den Außenbahnen wirbelt.

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Im Davor ist er ein Profifußballer, der in den Kriegswirren in Syrien aufwächst, ins Gefängnis gesteckt wird und beschließt, seine Familie in der Heimat zurückzulassen und in den Frieden zu fliehen.

Heute sitzt der 28-jährige Wuschelkopf in einem Café in der Radolfzeller Altstadt und erzählt bei einem Cappuccino seine bewegte und bewegende Geschichte.

Yahya Zidan kommt in der Großstadt Hama im Westen Syriens auf die Welt. Seine Mutter ist Hausfrau, der Vater arbeitet als Lehrer, er hat fünf Brüder und zwei Schwestern.

Erster Profivertrag mit 17 Jahren

Die Zidan-Kinder – kein Wunder bei diesem Namen – spielen in ihrer Jugend Fußball. Die anderen „können schon auch ein bissle kicken“, erklärt Yahya in akzentfreiem Deutsch, doch er hat mehr Talent in die Wiege gelegt bekommen.

„Meine Mutter wollte lange nicht, dass ich Fußball spiele“, erinnert der 28-Jährige sich. „Ich sollte wie die anderen in die Schule gehen und lernen.“

Als ihr Junge mit 17 Jahren seinen ersten Profivertrag bekommt, muss sie mitunterschreiben – und als sie sieht, dass er künftig etwa doppelt soviel verdient wie sein Vater „meinte sie: Ich habe doch immer gesagt, dass du Fußball spielen sollst, und hat gelacht“, sagt Yahya.

Spiele im Fernsehen übertragen

Der Fußballer setzt sich schnell in der höchsten Liga des Landes durch und spielt für die Vereine Al Talyia, Al Shorta und Foutoua. „Das Niveau war vergleichbar mit der deutschen Oberliga oder Regionalliga“, sagt Zidan.

Ihre Partien seien im Fernsehen übertragen worden, „wir haben aber auf Rasenplätzen gespielt, die nicht vergleichbar waren mit denen der deutschen Verbandsliga“.

Zizou, wie sie ihn wegen seines Fast-Namensvetters Zinedine Zidane rufen, studiert neben dem Sport zwei Semester Philosophie.

„Nur Fußball zu spielen, war mir zu langweilig“, sagt Yahya Zidan.
„Nur Fußball zu spielen, war mir zu langweilig“, sagt Yahya Zidan. | Bild: Feiertag, Ingo

Der junge Mann genießt Privilegien und darf viel durch Syrien reisen. Ein Land, das seit 2011 unter einem Bürgerkrieg leidet, den der junge Yahya lange Zeit erfolgreich umdribbeln kann.

Bis er eines Tages jäh von hinten die Beine weggegrätscht bekommt. Zidan nimmt die Kaffeetasse, hält kurz inne und beginnt zu erzählen: „Im Anschluss an ein Spiel in Damaskus hatte ich ein paar Tage frei und wollte zu meiner Familie fahren.

Bei einer Straßenkontrolle wurde ich angehalten und verhaftet, weil meine Familie und ich Gegner des Assad-Regimes waren. Sie haben mich ins Gefängnis gesteckt. Ich habe kein Tageslicht gesehen, habe gehungert und wurde jeden Tag geschlagen.

In der Schwäbischen Alb beginnt ein neues Leben

Zigaretten wurden auf meinem Rücken ausgedrückt.“ Als er wieder freigelassen wird, sagt seine Mutter: „Hier ist es nicht sicher für dich. Hau ab!“ Zidan bezahlt einem Schlepper viel Geld und flieht über die Türkei, Griechenland und den Balkan nach Deutschland, wo am Rande der Schwäbischen Alb das Leben danach beginnt.

„Ich bin 2018 in Sigmaringen angekommen und konnte kein Wort Deutsch“, sagt er. Auf der Straße habe er einen Passanten auf Englisch angesprochen und gefragt, ob er telefonieren könne.

„Ich habe meinen Bruder angerufen, der schon seit vielen Jahren in Konstanz lebt und der mir geholfen hat“, sagt Zidan. Yahya landet in einer Aufnahmeeinrichtung, später bekommt er die Aufenthaltsgenehmigung und über seinen Berater Laurent Burkart eine Wohnung in Radolfzell.

Burkart nimmt Zidan mit zum SV Riedheim, in dessen Team der Geflüchtete überqualifiziert ist. „Als ich in einer halben Saison 38 Tore geschossen habe, hat Laurent mich zum FC Radolfzell weitervermittelt“, sagt der 28-Jährige.

„Unter Trainer Steffen Kautzmann zu spielen, war eine coole Zeit“, sagt Zidan, der auf der Mettnau viel gelernt hat, „obwohl es schwierig für mich war, weil ich noch kaum Deutsch gesprochen habe“.

Der nächste Glücksfall ist 2020 der Wechsel zum FC Singen. „Dort habe ich mit Benny Winterhalter zusammengespielt, der mir einen Praktikumsplatz bei der Spedition besorgt hat, für die er arbeitet“, so Zidan.

Auf das Praktikum folgt eine Ausbildung, und seit dem vergangenen Jahr hat Zidan eine Vollzeitstelle und erledigt die Zollgeschäfte der Firma.

Yahya Zidan (rechts) hier im Spiel gegen den Offenburger FV (Jannick Schwörer).
Yahya Zidan (rechts) hier im Spiel gegen den Offenburger FV (Jannick Schwörer). | Bild: juergen roessler

Dass dieser intelligente junge Mann, der inzwischen fließend Deutsch spricht, auch mehr als ein bissle kicken kann, weiß Sigi Özcan da schon lange.

„Yahya ist mir, als er gerade nach Deutschland gekommen war, bei einem Freundschaftsspiel aufgefallen“, sagt der Team-Manager des Türk. SV Singen, „sein Ehrgeiz und sein kämpferischer Wille haben mir sehr gut gefallen.“

Nach einigen erfolglosen Anfragen klappt es im Januar 2024 mit einem Transfer zum damals ambitionierten Landesligisten, mit dem Zidan prompt in die Verbandsliga aufsteigt.

Zidane bekommt Lob von allen Seiten

Der Außenbahnspieler sei ein „Instinktfußballer, der am Anfang noch ein paar taktische Probleme hatte. Jetzt sind wir sehr zufrieden mit ihm. Er ist ein lustiger Typ in der Kabine, versteht sich mit allen und ist für jeden Spaß zu haben“, sagt Özcan.

Dass „noch Luft nach oben“ bestehe, wie der Team-Manager sagt, weiß auch Zidan selbst. „Ich komme ja erst noch ins beste Fußballeralter“, erklärt er augenzwinkernd. Überhaupt habe Trainer Ali Günes ihn ein gutes Stück nach vorn gebracht.

Der frühere syrische Erstligaspieler strebt mit dem türkischen Ex-Nationalspieler auf der Bank weiter nach oben. Am besten mit einem Sieg am Sonntag gegen Lahr.

„Der Aufstiegszug ist noch nicht abgefahren, auch wenn wir in Durbachtal drei unnötige Punkte abgegeben haben.

Erster zu werden, wird schwer, aber zwischen uns und dem Zweiten liegen nur fünf Punkte“, sagt Zidan, dem der Fußball und die Gedanken an den Sport helfen, die Alpträume aus der Zeit vor der Flucht zu verdrängen. Manchmal zumindest.

Emotionales Wiedersehen mit der Familie

Vor wenigen Wochen kreuzen sich seine beiden Leben wieder, als er zum ersten Mal nach Syrien reist. „Ich habe nach sechs Jahren meine Mutter wiedergesehen, meine Schwester, meinen Bruder und die Kinder meines anderen Bruders, der zwölf Jahre im Gefängnis war und dort getötet wurde“, sagt Yahya Zidan.

„Mein Bruder ist im Krieg gestorben, ich habe Freunde und Verwandte verloren. In Syrien habe ich Leute gesehen, die sich nicht einmal ein Stück Brot leisten können.

Man sieht den Menschen die Traurigkeit im Gesicht an, das macht auch mich traurig. Umso glücklicher bin ich, dass ich hier einen Kaffee trinken darf.“

Dankbar sei er. „Dankbar, dass Deutschland mich aufgenommen hat“, sagt Yahya Zidan, der als Palästinenser aufwächst. „Da das Land, das ich nur von Bildern kenne, nicht anerkannt wird, war ich hier zunächst staatenlos“, erklärt der 28-Jährige.

Nun strahlt er, wenn er sagt: „Jetzt bin ich Deutscher. Ich habe zum ersten Mal eine Staatsangehörigkeit und das ist sehr schön!“ Inzwischen hat er auch das eine oder andere Angebot von Fußballvereinen aus Syrien bekommen.

„Ich will aber nicht mehr zurückgehen“, sagt er, „ich bin sehr ehrgeizig, kämpfe für meine Ziele und bin sehr stolz darauf, was ich hier geleistet habe.“ In Deutschland. In der Spedition und der Sprachschule. Auf dem Sportplatz. Im Jetzt.