Fiktive Patienten, Scheinbehandlungen, gefälschte Abrechnungen: Über Jahre soll ein Familientrio – Vater, Mutter und Sohn – eine Krankenkasse gewerbsmäßig betrogen haben. Zentrum der Aktivitäten war die Massagepraxis des Sohnes im Fricktal. Gemäß den Ermittlungen wurden dort Massagen an Vater, Mutter und Schwester abgerechnet – über 100 Rechnungen mit einem Gesamtvolumen von rund 150.000 Franken.

Nur: Laut Staatsanwaltschaft haben viele dieser Massagen gar nie stattgefunden. So soll der Sohn – ein diplomierter medizinischer Masseur – seine Familienmitglieder angeblich sogar dann behandelt haben, als er krank oder in den Ferien war. Das Bezirksgericht Rheinfelden verurteilte im Dezember 2021 alle drei Familienmitglieder zu bedingten Freiheitsstrafen: den Vater zu 20, den Sohn zu 15 und die Mutter zu 14 Monaten – unter anderem wegen gewerbsmäßigen Betrugs beziehungsweise des Versuchs dazu.

Behandlung in den Ferien – nicht abwegig?

Alle drei legten Berufung ein und verlangten vor dem Obergericht Freisprüche. Dieses zeigte sich differenzierter: Zwar sei es durchaus auffällig, dass der Sohn in den Sommerferien behandelt haben soll – angesichts des familiären Bezugs aber nicht abwegig. Auch sei nicht unvorstellbar, dass er trotz Krankheit Familienmitglieder therapierte. Insgesamt ließ sich laut Obergericht nicht ausreichend nachweisen, dass die abgerechneten Behandlungen tatsächlich nicht stattgefunden hätten.

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Anders beurteilte das Gericht die Situation, in der auf den Abrechnungen ein Masseur als Leistungserbringer vermerkt war, der gar nicht der Sohn war. Wie der Vater an der Verhandlung erklärte, habe ihm ein befreundeter Masseur seine Abrechnungssoftware zur Verfügung gestellt – da sein Sohn bei der Gründung seiner Praxis noch keine eigene hatte. Die Einreichung der Rechnungen über diese Software habe er eigenständig vorgenommen. Der Sohn und die Mutter hätten davon nichts gewusst, beteuerte er vor Gericht.

Das Obergericht kam in diesem Zusammenhang zum Schluss, dass insgesamt 26 Rechnungen über eine Gesamtsumme von 46.400 Franken unecht oder unwahr seien. Denn der angebliche Leistungserbringer sei nicht identisch mit dem tatsächlichen Aussteller der Rechnungen – dem Vater. Damit liege gemäß Gericht Urkundenfälschung vor. Der Vater habe vorsätzlich unechte Urkunden erstellt, mit dem Ziel, durch Einreichung bei der Versicherung 80 Prozent des angeblich bezahlten Betrags zurückerstattet zu erhalten.

Systematisch, gewerbsmäßig – und strafbar

Das Obergericht erkannte in den Handlungen des Vaters eine arglistige Täuschung, die zu einem effektiven Vermögensschaden von 33.584 Franken führte. Der Vater habe mit Wissen und Willen in der Absicht gehandelt, sich beziehungsweise seine Familie unrechtmäßig zu bereichern. Sein Vorgehen wurde als gewerbsmäßig eingestuft: Über einen Zeitraum von 35 Monaten resultierten durchschnittlich monatlich rund 960 Franken. Dieses Einkommen stelle, so das Gericht, einen namhaften Beitrag zur Lebensgestaltung dar – vergleichbar mit einer nebenberuflichen Tätigkeit.

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Das Obergericht verurteilte den Vater zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten, einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 70 Franken sowie zu einer Buße von 1500 Franken. Zusätzlich wurde er verpflichtet, der Versicherungsgesellschaft einen Schadenersatz von 33.584 Franken zu leisten.

Anzeige gegen Patienten, die es nie gab

Dem Sohn wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, gefälschte Rechnungen im Umfang von 38.000 Franken bei der Ärztekasse eingereicht zu haben. Diese zahlte daraufhin einen Vorschuss aus. Als der Sohn das Darlehen nicht fristgerecht zurückzahlte, erklärte er gegenüber der Kasse, Opfer eines Betrugs geworden zu sein – und erstattete Anzeige gegen vier angebliche Patienten.

Doch laut Obergericht sprechen zahlreiche Indizien dafür, dass diese vier Personen gar nie existierten – und folglich auch keine Behandlungen stattgefunden haben konnten. Erstens ergaben die Ermittlungen der Polizei keine Übereinstimmung der Namen mit amtlichen Registern. Zweitens waren die angegebenen Adressen nicht bewohnt. Drittens konnten in der Praxis keine Kundendossiers dieser Personen gefunden werden. Und viertens: In den beschlagnahmten Agenden fanden sich keinerlei Termine mit den angeblich behandelten Patienten.

Durch seine Strafanzeige gegen die vier fiktiven Personen habe sich der Sohn der Irreführung der Rechtspflege schuldig gemacht, so das Gericht. Da jedoch die Erstellung der betreffenden Rechnungen gemäß Akten durch den Vater erfolgt war, wurde eine mögliche Mittäterschaft des Sohnes gar nicht angeklagt. Entsprechend sprach ihn das Obergericht von den Vorwürfen des Betrugs und der Urkundenfälschung frei. Das Urteil: eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 70 Franken, dazu eine Buße von 1000 Franken.

Die Mutter: Mitgearbeitet, aber nicht mitgewirkt

Die Mutter schließlich erledigte allgemeine Büroarbeiten für die Praxis ihres Sohnes, führte gelegentlich Telefongespräche mit der Versicherung und kümmerte sich um die Buchhaltung. Zwar sprach sie in den Einvernahmen hin und wieder von „wir“, wenn es um das Abrechnungswesen ging – doch diese unpräzisen Aussagen genügten dem Gericht nicht, um eine strafrechtlich relevante Beteiligung anzunehmen.

Es sei weder bewiesen, dass sie bei der Erstellung der gefälschten Rechnungen mitgewirkt habe, noch dass sie von deren Inhalt gewusst habe. Das Obergericht sprach sie in allen Punkten von Schuld und Strafe frei. Die Urteile sind rechtskräftig.

Der Autor ist Redakteur der „Aargauer Zeitung“. Dort ist der Beitrag zuerst erschienen.