Lieber Herr Messner,
wie geht es Ihnen? Auch wenn Sie erstaunlich gelassen auf den Verlust zweier Titel im Guinness-Buch der Rekorde reagiert haben, würde ich doch mal behaupten, dass Sie die vergangenen Tage vermutlich nicht in bester Erinnerung behalten. Vielleicht haben Sie in Ihren Kalender einen traurigen Smiley gemalt.
Na gut, wahrscheinlich nicht, Sie sind eher nicht der Typ dafür. Aber ich hätte die Reaktion verstanden. Mein Smiley wäre in der Situation vielleicht sogar wütend gewesen. Immerhin wurde, so kann man das durchaus sagen, gerade Ihr Lebenswerk stark angekratzt.
Was das Guinness-Buch schreibt, interessiert Sie nicht
Aber das ist die Sicht einer Außenstehenden und ich rege mich offenbar mehr auf als Sie. Sie gehören nicht zu denen, die ihr Glück von Titeln abhängig machen. „Das interessiert mich nicht, ob mein Name im Guinness-Buch steht“, haben Sie gesagt. Und dass Sie zeit Ihres Lebens keinen Weltrekord für sich reklamiert hätten. „Einen Rekord, den ich nie in Anspruch genommen habe, kann man mir auch nicht nehmen.“
Recht haben Sie. Dazu kommt: Das Guinness-Buch nutzt neue, unter Bergsteigern nicht unumstrittene Daten. Denen zufolge sind Sie nicht (mehr) der erste Mensch, der alle 14 Achttausender der Welt bestiegen hat – und das ohne Hilfe von Sauerstoff aus der Flasche. Schlimm? Ach was. Es gibt doch Wichtigeres im Leben.

Für Ihren offiziellen Nachfolger im Guinness-Buch, Ed Viesturs, bleiben Sie der erste Mensch, der alle Achttausender bestiegen hat. Er sagt aber auch, dass er glaubt, dass Sie und andere „ihr Möglichstes getan haben, um auf diesen Bergen die wahren Gipfel zu besteigen, und zwar nach bestem Wissen und unter den Bedingungen, die sie vor Ort vorfanden“. Heißt: Wirklich wissen kann er es nicht, ob Sie nun ganz oben waren. Schließlich waren Sie damals ohne GPS unterwegs.
Heute ist das anders, da gibt es keinen Interpretationsspielraum, da zählen allein Daten. Und denen verdanken Sie die Schlagzeilen dieser Woche. Manche Gipfel seien bisher nicht korrekt identifiziert worden, heißt es, viele Kletterer hätten den wahren Gipfel nicht erreicht.
Nicht unbeteiligt am Titelschwund ist der Lörracher Himalaya-Chronist Eberhard Jurgalski. Und auch wenn Ihnen, Herr Messner, die Rekorde egal sein mögen – dass seine Berechnungen eingeflossen sind, das wurmt Sie schon, oder? Sonst würden Sie ihm kaum vorwerfen, Ihre Bekanntheit auszunutzen, um Verschwörungstheorien zu verbreiten. Ihre Worte. Auch diese: „Der hat keine Ahnung. Der ist kein Experte.“

Eberhard Jurgalski beruft sich auf Daten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und Gipfelfotos und ist sicher: Sie waren „an einem Punkt 65 Meter vor und fünf Meter unter dem Gipfel“ des 8091 Meter hohen Annapurna. Na, selbst wenn! Die letzten Meter hätten Sie auch noch geschafft, wenn Sie den Gipfel 1985 im Nebel gesehen hätten.
Und nun? Sie waren offenbar nicht der erste Mensch, der die wahren Gipfel aller Achttausender erreicht hat. Aber manchmal ist halt der Weg das Ziel. Danke fürs Erinnern!