• Vor zehn Jahren wurde das Rauchverbot beschlossen.
  • Das Gesetz hat die Gesellschaft nachhaltig verändert.
  • Wir blicken auf die bisherige Bilanz des Gesetzes.

Eigentlich war es nur ein unscheinbares weißes Zelt. Drei auf drei Meter, mit spitzem Türmchendach. Doch im August 2007 entfachte sich darum eine deutschlandweite Diskussion. Denn der Überlinger Michael Jeckel hatte es eben nicht auf einer Wiese oder einem Campingplatz, sondern mitten in seinem Lokal aufgebaut. Noch wichtiger war die Aufschrift, die er an der Zeltwand anbrachte: „Raucherzelt“. Ein Wort – aber es hievte das „Galgenhölzle“ deutschlandweit in die Schlagzeilen. Der Grund: Wenige Tage vorher hatte der Bundestag das Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen beschlossen. Baden-Württemberg zog kurz darauf mit dem Landesnichtraucherschutzgesetz nach, in dem auch ein Rauchverbot für Gaststätten festgeschrieben wurde.

Etwas mehr als zehn Jahre später führt Michael Jeckel in den Nebenraum des „Galgenhölzle“. Ein Eingangsschild weist in wuchtigen Frakturbuchstaben darauf hin, dass „Rauchen polizeilich verboten“ sei. „Hier ist es ruhiger“, sagt der Wirt und öffnet lachend die Tür. „Auch die Nichtraucher sitzen bei uns lieber im Raucherbereich.“ Jeckel ist breit gebaut, trägt Jeans und Pullover, beides in Blau. Damals, als sein Konterfei vom Bodensee bis Berlin die Zeitungen schmückte, hatte er noch einen Schnauzbart.

Dieses Jahr feiert das „Galgenhölzle“ in Überlingen 40. Geburtstag. Berühmtheit erlangte das Lokal, als Michael Jeckel ein Raucherzelt ...
Dieses Jahr feiert das „Galgenhölzle“ in Überlingen 40. Geburtstag. Berühmtheit erlangte das Lokal, als Michael Jeckel ein Raucherzelt darin aufstellte. Bis heute geht er ironisch mit dem Rauchverbot um – wie das Eingangsschild zum Nebenraum beweist. | Bild: Daniel Schottmüller

Wenn der Wirt von seiner Protestaktion berichtet, glänzen seine Augen: „Innerhalb von zwei Wochen waren sechs Fernsehsender hier.“ Sogar am Bahnhof in Düsseldorf sei er auf „diesen idiotischen Kneipenwirt vom Bodensee“ angesprochen worden. Jeckel hatte damals eine Klausel ausgenutzt, die das Rauchen in Festzelten erlaubt. „Das Ordnungsamt hat sich zwar bei mir gemeldet, aber wirklich etwas machen konnten die nicht.“

Dass er nach drei Jahrzehnten als Wirt des „Galgenhölzle“ doch noch einen Nichtraucherbereich einrichten musste, ärgert ihn bis heute. Vielleicht hat er das Nebenzimmer deshalb mit dem Bild eines zigarreschmauchenden Che Guevara dekoriert: Ein stiller Protest. Lauter wird Michael Jeckel, wenn er die Gesundheitsinitiative von 2007 beschreibt: „Ein mit heißer Nadel gestrickter Schwachsinn.“ Der Kneipenwirt fühlt sich von der Politik gegängelt. „Sollen sie das Rauchen doch generell verbieten!“

Im Sommer 2007 waren solche Aussagen keine Seltenheit. Blättert man durch die Tageszeitungen dieser Zeit, liest man ständig von dicker Luft. Von aufflackernden Diskussionen. Von Kneipenwirten, die Dampf ablassen wollen, und Rauchern, denen die Puste ausgeht. Der Nichtraucherschutz wurde emotional debattiert. Befürworter erinnerten an die fatalen Konsequenzen der Qualmerei – an Tausende, die jährlich an den Folgen des Rauchen sterben, unter ihnen Hunderte unfreiwillige Passivraucher. Die Gastwirte befürchteten dramatische Umsatzeinbußen. Sie beklagten, dass die Politiker mit den neuen Gesetzen das Todesurteil der Eckkneipe unterschreiben würden. Ein Jahrzehnt danach stellt sich die Frage: Was hat sich tatsächlich verändert?

Zunächst einmal herrschte Verwirrung. Im Gegensatz zu Bayern oder dem Saarland, die ein striktes Rauchverbot für Gaststätten durchsetzten, hinterließ das baden-württembergische Gesetz Spielraum für Interpretationen. Michael Jeckel war nicht der Einzige, der meinte, ein Schlupfloch entdeckt zu haben. Ein findiger Wirt baute zeitweise sogar eine Tanksäule in seiner Kneipe auf. Die Begründung: Laut Gesetz sei das Rauchen an Tankstellen weiterhin legal. Ebenfalls kurios: Der Betreiber eines Donaueschinger Nichtraucherlokals entschloss sich im Zuge des neuen Gesetzes dazu, einen nagelneuen Raucherbereich einzurichten. Nicht wirklich im Sinne des Gesetzgebers.

Öfter kam es vor, dass Kneipenwirte statt ihren Hauptraum kleine Nebenräume als Nichtraucherzone auswiesen. So wie im „Galgenhölzle“. Auch in Konstanz sei das passiert, erinnert sich Dieter Wäschle. „In einigen Fällen nur wenige Meter vom Rathaus entfernt.“ Wäschle ist der Betreiber des Petershof und Vizepräsident des Dehoga Baden-Württemberg. „Es wurde nicht so kontrolliert, wie wir das anfangs erwartet hätten“, sagt er rückblickend. Er könne sich an keinen Fall erinnern, wo ein Bußgeld fällig geworden wäre.

Stammtische gehen, Kneipen bleiben

Das liegt auch daran, dass sich die meisten Wirte an die Vorschriften hielten – obwohl bei vielen Betrieben hohe Investitionen nötig waren, wie Wäschle betont. Er selbst konnte beobachten, wie sich rauchende Gäste in den privaten Raum verabschiedeten: „Wir hatten in unserem Lokal fünf, sechs Stammtische. Die haben sich alle aufgelöst.“ Gaststätten im ländlichen Raum hätten noch schlimmer zu kämpfen gehabt.

Wäschle mutmaßt, dass Baden-Württemberg seine Eckkneipen komplett verloren hätte, wenn das Rauchverbot nicht abgeschwächt worden wäre: 2008 beschloss das Bundesverfassungsgericht eine Ausnahmeregelung für Einraumbetriebe mit weniger als 75 Quadratmetern. Solange diese Lokale kein warmes Essen servieren und Jugendlichen unter 18 keinen Zutritt gewähren, darf dort weiter geraucht werden.

„Dieser Kompromiss hat sich bewährt“, freut sich Wäschle. „Wir sind sehr glücklich damit.“ Dass die Lage von Rauchern wie Nichtrauchern mittlerweile so entspannt wahrgenommen wird, hätte er vor zehn Jahren nicht erwartet: „Raucherschutz ist kein Thema mehr. Nirgendwo. Weder bei den Dehoga-Mitgliedern noch bei den Gästen.“

Das sieht Siegfried Ermer anders. Den Bundesvorsitzenden des Vereins Pro Rauchfrei erreichen alleine aus Baden-Württemberg mindestens 100 Beschwerden pro Jahr. Die meisten hätten mit der Gastronomie zu tun, sagt er dem SÜDKURIER. Eigentlich hatten Ermer und seine Vereinsfreunde gehofft, dass man den 2004 gegründeten Verein nach der Einführung des Rauchverbots auflösen könne. Davon sei man aber weit entfernt: „Was das Rauchen in Gaststätten angeht, kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen.“ Und für Ermer schmeckt die Rauchsuppe à la Baden-Württemberg besonders bitter: „Nur in Berlin sieht es schlimmer aus!“

Ermer beklagt, dass in vielen Kneipen nach 22 Uhr die Aschenbecher unter der Theke hervorgeholt werden. Auch in Diskos werde zehn Jahre nach dem Rauchverbot munter weitergequalmt. „Die Ordnungsämter beschäftigen sich damit nicht wirklich, sie strafen die Betreiber nicht ab.“ Das größte Problem sieht Pro-Rauchfrei eben in jener Gesetzänderung von 2008: „Wir haben in Baden-Württemberg mittlerweile kaum Kleingastronomie unter 75 Quadratmetern, die rauchfrei wäre.“

Rauchen wird uncool

Trotz dieser Kritik: Das Rauchverbot hatte Einfluss auf die Gesundheit der Menschen in Baden-Württemberg. Eine Studie des Statistischen Landesamtes zeigt, dass der Anteil regelmäßiger Raucher zwischen 2005 und 2009 zurückgegangen ist – bei Frauen um vier, bei Männern um fünf Prozent. Weiter stellt die Untersuchung fest, dass gerade junge Menschen immer seltener zur Zigarette greifen. In der Studie heißt es: „Die verstärkte öffentliche Debatte, die im Zuge der Rauchverbote in Gaststätten geführt wurde, könnte zu dieser Verhaltensänderung beigetragen haben.“

Zu dieser Debatte hat auch Michael Jeckel beigesteuert. Sein Raucherzelt baute er 2007 nach acht Wochen wieder ab. „Es hatte seine Funktion erfüllt. Irgendwann stand es mir im Weg.“ Geschadet hat das Rauchverbot seinem Umsatz nicht, wie ein Blick in die Gaststube beweist. Obwohl es noch früh am Mittwochabend ist, sind schon mehr als die Hälfte der Plätze belegt. Auf jedem der Holztische, um die herum sich Männer und Frauen jeden Alters versammelt haben, steht ein gläserner Aschenbecher: Auch knapp 40 Jahre nach seiner Eröffnung ist das „Galgenhölzle“ eine Raucherkneipe. Daran ändert auch das polizeilich geschützte, kippenfreie Nebenzimmer nichts.

Würde Jeckel das Nichtraucherschutzgesetz trotzdem rückgängig machen? „Sofort!“, sagt der selbstbewusste Wirt. Eine Ausnahme gebe es aber, meint er beim Verlassen des Lokals: „In Speisegaststätten sollte nicht geraucht werden.“ Für ihn eine Frage des Anstands: „Es ist einfach unverschämt, wenn man raucht, während andere essen.“ Zumindest in diesem Punkt sind sich im Jahr 2018 alle Seiten einig.