Der Friedensnobelpreis wird in diesem Jahr an zwei Kämpfer gegen sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten verliehen. Die Auszeichnung gehe an den kongolesischen Gynäkologen Denis Mukwege und die jesidische Aktivistin Nadia Murad, verkündete die Vorsitzende des Nobelkomitees, Berit Reiss-Andersen, am Freitag in Oslo. Beide würden geehrt "für ihre Anstrengungen, der sexuellen Gewalt als Kriegswaffe ein Ende zu bereiten".
"Denis Mukwege und Nadia Murad haben beide ihr eigenes Leben riskiert, indem sie mutig gegen Kriegsverbrechen kämpfen und Gerechtigkeit für die Opfer fordern", erklärte Reiss-Andersen. Eine friedlichere Welt könne es nur geben, "wenn die Frauen, ihre Sicherheit und Grundrechte in Kriegszeiten anerkannt und geschützt werden", fügte sie hinzu.
Die heute 25-jährige Murad war im August 2014 im Irak von Kämpfern der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) verschleppt und versklavt worden. Ihr gelang nach drei Monaten mit Hilfe einer Nachbarsfamilie die Flucht. Sie wurde in Baden-Württemberg aufgenommen und setzt sich heute als UN-Sonderbotschafterin für die Rechte der Opfer von Menschenhandel ein. 2016 erhielt sie den Sacharow-Preis des Europaparlaments.
Kretschmann lobt "unglaublich starke Frau"
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte in seiner Gratulation an Murad: „Diese unglaublich starke, junge Frau machte uns allen deutlich, dass sie sich nicht als Opfer des sogenannten "Islamischen Staates" verstehen wollte, sondern als Überlebende mit Mut und Würde“, betonte der Grünen-Politiker am Freitag. Murads Rede im Stuttgarter Landtag im Dezember 2016 habe tief bewegt, sagte Kretschmann. „Auch weiterhin werden wir Nadia Murad eine Heimat in unserem Land bieten, sie beschützen und in ihren Aufgaben als UN-Sonderbotschafterin unterstützen.“
Der 63-jährige Arzt Mukwege aus dem Kongo betreut seit Jahren Frauen, die während des Bürgerkriegs in dem afrikanischen Land Opfer von Gruppenvergewaltigungen wurden. Er bekam 2014 den Sacharow-Preis: Im Kongo vergehe kaum ein Tag ohne menschliche Dramen, sagte der Arzt damals. Schwangeren Frauen werde der Bauch aufgeschlitzt, ihre ungeborenen Kinder würden zerstümmelt. Insgesamt seien im Kongo mehrere hunderttausend Frauen vergewaltigt worden.

Der Arzt Mukwege und die vom Vergewaltigungsopfer zur Aktivistin gewordene Murad stehen für den Kampf gegen eine weltweite Plage, die weit über einzelne bewaffnete Konflikte hinausreicht, wie die #MeToo-Bewegung gezeigt hat.
Das ist die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad
Sie ist eine zierliche, zerbrechlich wirkende Frau. Doch die junge Jesidin Nadia Murad zeigte sich hart und unnachgiebig im Kampf gegen die Versklavung ihrer Glaubensschwestern durch die Terrormiliz Islamischer Staat. Die 25-Jährige, die eine dreimonatige IS-Gefangenschaft überlebte, macht als Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen auf die Qualen der IS-Opfer aufmerksam. An ihrer Seite: die Anwältin Amal Clooney, Ehefrau von Hollywoodstar George Clooney.
Dass sie als Menschenrechtsaktivistin durch die Welt jettet, hätte sich die junge Frau mit den traurigen Augen und den langen dunklen Haaren vor wenigen Jahren nicht vorstellen können. Der Wunsch des Mädchens aus dem ländlichen Dorf Kocho in Nordirak war, nach der Schule einen Kosmetiksalon zu übernehmen.
Terroristen töteten Mitglieder ihrer Familie
Doch Schergen des IS überfielen im August 2014 ihr Dorf im Sindschar-Gebiet und nahmen sie mit in die Großstadt Mossul. Murads Mutter und sechs Brüder waren bei dem Überfall umgebracht worden. Insgesamt töteten die IS-Terroristen mehr als 40 Mitglieder ihrer Familie.
Die Stimme der Jesidinnen
Nadia Murad selbst wurde in Mossul auf einem Sklavenmarkt an einen Mann verkauft, der sie später an einen anderen weiterverkaufte. Diesem entfloh sie beim Kauf einer Burka. Eine Familie half ihr schließlich, ins kurdische Grenzgebiet zu kommen, wo sie in einem Flüchtlingslager nahe Dohuk Unterschlupf fand.
Murad lebt heute in Baden-Württemberg, wo rund 1000 Jesidinnen aus dem Nordirak Schutz gefunden haben, und macht seit Jahren unermüdlich auf das Schicksal ihrer Leidensgenossinen aufmerksam.
Das sagt der Arzt, der sie betreut hat
Der Friedensnobelpreis für Nadia Murad ist in den Augen ihres früheren psychotherapeutischen Betreuers "eine Auszeichnung für alle jesidischen Frauen und für die Opfer von sexueller Gewalt". Die Verleihung des Nobelpreises an Murad sei "eine wunderbare Geschichte", sagte Psychotherapeut Jan Ilhan Kizilhan am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. "Ich freue mich." Der Traumatologe ist Initiator eines Projekts, das mehr als tausend jesidische Frauen nach Deutschland holte.
"In der letzten Zeit war Nadia deutlich stabiler", sagte Kizilhan. Der Arzt aus Villingen-Schwenningen hatte Murad nach ihrer Ankunft in Deutschland betreut und steht immer noch regelmäßig mit ihr in Kontakt. Inzwischen habe sich die 25-jährige Frau zurückgezogen, um an ihren Projekten zu arbeiten, sagte er zu AFP.
Das ist Denis Mukwege
Was Frauen durchmachen und wie sie verletzt werden können, wenn sie von einer Gruppe Männer vergewaltigt werden, ist unvorstellbar. Denis Mukwege hat es zu seiner Lebensaufgabe gemacht, diesen Frauen in seinem Heimatland Kongo zu helfen.
Der 63-Jährige gilt als weltweit führender Experte für die Behandlung von Verletzungen durch Gruppenvergewaltigungen - und als Aktivist gegen sexuelle Gewalt. Nun wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Mukwege gründete 1999 das Panzi-Krankenhaus in Bukavu im Osten des Kongo. Während und nach eines Krieges, der Ende der 1990er und Anfang der 2000er herrschte, kamen immer mehr Opfer von sexueller Gewalt in seine Klinik. „Es war ein Alptraum“, erinnert er sich. Mehr als 50.000 Frauen haben er und sein Team schon behandelt.
Arzt und Kämpfer gegen sexuelle Gewalt
Mukwege wurde 1955 als Sohn eines Pastors in Bukavu geboren. Er studierte in Burundi Medizin und lies sich später in Frankreich zum Gynäkologen ausbilden. Heute bemüht er sich zunehmend, nicht nur die physischen, sondern auch die psychischen Wunden der Opfer zu heilen. Als Menschenrechtler setzt er sich zudem auf politischer Ebene dafür ein, Vergewaltigungen als Kriegswaffe ein Ende zu setzten.
Das hätte Mukwege wohl fast das Leben gekostet. 2012 überfielen Bewaffnete sein Haus in Bukavu, ein Freund von ihm wurde dabei getötet. „Das war der schwierigste Moment in meinem Leben“, sagt er.
Auch heute noch bestehen für ihn und sein Team große Gefahren. Im vergangenen Jahr wurde ein Kollege von Mukwege getötet. „Aber diesmal hab ich ein anderes Gefühl bekommen“, sagt er. „Ein Gefühl der Revolte. Wir müssen diesen Krieg beenden.“
Das ist der Friedensnobelpreis
Die Jury hatte sich in diesem Jahr unter 331 Anwärtern entscheiden müssen - 216 Personen und 115 Organisationen waren für den Preis vorgeschlagen. Im vergangenen Jahr hatte das Nobelkomitee die internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung (Ican) ausgezeichnet.
Die Organisation erhielt den Nobelpreis für ihre „bahnbrechenden Bemühungen“ um ein vertragliches Verbot von Atomwaffen. Damit forderte die Jury zugleich alle Atommächte auf, ihre Verpflichtungen zum Verzicht auf diese Waffen einzuhalten.
Der mit umgerechnet etwa 860 000 Euro (neun Millionen schwedischen Kronen) dotierte Friedensnobelpreis wird am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters und Dynamit-Erfinders Alfred Nobel, on Oslo verliehen.
(dpa/AFP)