Julius Müller-Meiningen, Rom

Die Mafia beherrscht in vielen Schattierungen das globale Leben. Im sogenannten Konstanzer Mafia-Prozess, der vom 16. Oktober an in der umgebauten ehemaligen Siemens-Kantine stattfindet, stehen neun Angeklagte vor Gericht. Ihnen wird unter anderem schwerer Rauschgifthandel vorgeworfen, und die Ermittler vermuten Bezüge zur italienischen Mafia. Wie aber steht es um das organisierte Verbrechen in Italien, dem Mutterland der Mafia?

Die Liste der meist gesuchten Verbrecher Italiens ist alles andere als lang. Sechs Männer listet das Innenministerium auf. Der einzige klingende Name ist der von Matteo Messina Denaro, dem seit 1993 flüchtigen Mafiaboss aus Castelvetrano auf Sizilien. Messina Denaro ist so etwas wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, als die italienische Polizei noch einen Superboss nach dem anderen jagte und verhaftete. Superboss – gibt es so etwas heute überhaupt noch in Italien? Und warum ist es in den vergangenen Jahren so ruhig um die Mafia geworden? „Es ist heute schwierig, die Mafia zu sehen, weil sie dem Rest so ähnlich geworden ist“, schrieb kürzlich der italienische Bestseller-Autor Roberto Saviano in einem Beitrag für die Tageszeitung La Repubblica. Der 37-jährige Neapolitaner lebt seit der Veröffentlichung seines Buches „Gomorrha“ im Jahr 2006 unter Polizeischutz. Saviano berichtete über die Hintergründe zu einem Großprozess gegen die Camorra im Hinterland Neapels, die längst in ganz Italien Geschäfte machte. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die Mafia war enorm.

Wirtschaft und Verwaltung statt Gewalt

Staatsanwälte verhafteten in den folgenden Jahren zahlreiche Camorra-Bosse. Mit Bernardo Provenzano (2006) und Salvatore Lo Piccolo (2007) hatte der Staat zuvor auch die letzten berüchtigten Verbrecher der Cosa Nostra auf Sizilien festgesetzt. „Früher war die Mafia Synonym für Armut und Zerfall“, schreibt Saviano. Das ist in einigen Gegenden Italiens immer noch so. Aber längst haben sich die Clans im Wirtschaftsleben, der öffentlichen Verwaltung und den Finanzmärkten eingenistet. Die Mafia macht nicht mehr mit spektakulären Gewalttaten von sich reden. So sind die Serie von Attentaten der Cosa Nostra in den 1990er-Jahren noch in Erinnerung oder der sechsfache ‚Ndrangheta-Mord 2007 in Duisburg. Heute ist es ihre Fähigkeit zur Anpassung, die die Mafia nicht nur unsichtbar, sondern auch so gefährlich macht.

Bild 1: Die Mafia ist unsichtbar geworden
Bild: DPA

Unsichtbarkeit statt Aufmerksamkeit

„Die Unsichtbarkeit der Mafia ist ihr natürlicher Zustand“, behauptet der Journalist Giacomo Di Girolamo. Die sizilianischen Mafiakriege des vergangenen Jahrhunderts, die ganze Hollywood-Produktionen inspirierten, hätten einen falschen Eindruck erweckt. „Es ist ein Fehler zu glauben, dass die Mafia bei helllichtem Tag agiert“, sagt Di Girolamo. Unauffälliges Agieren fernab aller Aufmerksamkeit entspreche viel eher ihrem Geschäftsverständnis. Eklatante Aktionen sind die Ausnahme. Seine These: Die traditionellen Clans wurden von einer Generation krimineller Funktionäre in der Grauzone zwischen öffentlicher Verwaltung und organisierter Kriminalität ersetzt.

Di Girolamo beschreibt dort, wie diese Mittelsmänner zwischen Clans und Institutionen zu den entscheidenden Figuren werden. So handelten Funktionäre bei der Konstruktion der seit Jahrzehnten im Bau befindlichen Autobahn zwischen Salerno und Reggio Calabria teilweise bereits vor Ausschreibung der öffentlichen Bauaufträge die Bedingungen für die Erteilung der Genehmigung von Seiten der Behörden aus. Viele Clans sicherten sich auf diese Weise Aufträge. Laut Di Girolamo ist dies die neue Grauzone, in der sich Italiens Organisierte Kriminalität heute bewegt.

Netzwerk über die Grenzen hinaus

Ein anderes Beispiel ist der sizilianische Unternehmer Vito Nicastri, der Mafiaclans aus Sizilien oder Kalabrien mit internationalen Firmen für den Bau von Windanlagen zusammenführte. Auf Nicastri selbst gingen Dutzende Unternehmen zwischen Singapur und Malta zurück, die zur Geldwäsche dienten. Internationale Verbindungen der Mafia sind heute die Regel. Der ehemalige Chef der italienischen Antimafia-Behörde und frühere Senatspräsident Piero Grasso sagt: „In jedem Berufszweig gibt es Personen, die als Vermittler zwischen Cosa Nostra und der legalen Welt agieren.“

Schließlich gibt es noch einen weiteren Aspekt, der die Unsichtbarkeit der Mafia erklärt. „Es kommt auch darauf an, ob man die Mafia sehen will oder nicht“, sagt Francesco Forgione, der frühere Vorsitzende der Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments. Die meisten Medien berichteten nur von spektakulären Fällen.