Herr Lanz, was hat Sie bei Ihrem ersten Besuch in Grönland am meisten beeindruckt?

Diese ultimative Wildnis, so rau, so brutal, so schön. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn Sie dort irgendwohin den Fuß hin setzen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass da vor Ihnen noch nie jemand war. Oder wenn Sie mit einem Jäger und dessen Hundeschlitten über das Eis fahren und dieses Gefühl des Ausgesetztseins empfinden. Unter Ihnen geht es 1000 Meter in die Tiefe des Nordpolarmeers. Es sind minus 35 Grad, Sie hören das Knirschen des Eises und das Hecheln der Hunde.

Moderator Markus Lanz.
Moderator Markus Lanz. | Bild: Henning Kaiser

Es gibt kein Netz und keinen doppelten Boden, keinen Wegweiser, keine Spur menschlichen Lebens. Nachmittags um drei ist es stockdunkel. Menschen wie ich kriegen da erst mal Angst. Als ich mich aber darauf eingelassen habe, habe ich einen der schönsten Momente meines Lebens erlebt. Es geht darum, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Das ist eine interessante Erfahrung für Menschen, die wie wir aus einer Vollkasko-Gesellschaft kommen. Und es war eine zivilisatorische Meisterleistung der grönländischen Jäger, einer solchen Eiswüste eine Existenz abzuringen.

Wie stark sieht man dort die Zeichen des Klimawandels?

Interessanterweise sind die Zeichen andere, als man vermuten würde. Wir würden denken: Das Eis wird immer weniger. Aber zunächst wird das Eis erst mal mehr, weil die Gletscher schneller fließen und abschmelzen. Daher haben Sie in den Fjorden im Sommer einen enormen Eistrieb und Packeis, sodass die Jäger an manchen Tagen kaum noch mit den Booten rauskommen. In den 10, 15 Jahren, seit ich dort bin, haben sich manche Gletscher kilometerweit zurückgezogen. Es gibt Gletscherflüsse, die einfach ausgetrocknet sind. Grönland ist ein Panzer auf Eis, an manchen Stellen fast 3000 Meter dick. Es ist ein sehr langsamer Prozess, aber jeder Jäger erzählt, dass das Eis vor 20, 30 Jahren noch sehr viel dicker war.

Verstehen die Menschen dort, was um sie herum passiert?

Ja, das tun sie. Wir leben ja alle in unseren Blasen, da ist immer viel Ideologie dabei. Wenn aber ein grönländischer Jäger oder ein alter Bergbauer in Südtirol erzählt, wie das Eis zurückgeht, dann sind das Momente der Wahrhaftigkeit. Dann erzählt Ihnen ein Jäger, wie sie vor 15 Jahren noch von Nordgrönland mit dem Hundeschlitten über das Polarmeer rüber sind nach Kanada, um Eisbären zu jagen. Das ist alles nicht mehr möglich.

Überlebenskampf in der Wildnis: Ein fast verhungerter Eisbär schleppt sich mit letzter Kraft zu einem Walkadaver.
Überlebenskampf in der Wildnis: Ein fast verhungerter Eisbär schleppt sich mit letzter Kraft zu einem Walkadaver. | Bild: Markus Lanz

Waren Sie schon mit auf der Jagd?

Ja, schon oft. Das Abschlachten von Jungrobben in Kanada im Lorenzstrom hat nichts mit dem zu tun, was grönländische Jäger machen. Die jagen erwachsene Robben, und zwar die, die sie auch tatsächlich brauchen. Sie jagen auch Eisbären und Narwale, aber da gibt es strenge Quoten, an die man sich hält. In Grönland ist die Jagd ein Geduldsspiel, das geht über Tage, und am Ende steht der Jäger trotzdem mit leeren Händen da. Das hat auch meinen Blick auf die Jagd für immer verändert.

Was zieht man in so einer entsetzlich kalten Gegend an?

Die Jäger in Nordgrönland kürzen sozusagen die Evolution ab und tragen meistens Hosen aus Eisbärenfell, und die sind wahnsinnig warm. Im Sommer liegen die in der Tiefkühltruhe, und im Winter gehen sie mit denen auf die Jagd. Die sind zum Teil 20 Jahre alt. Und einen Anorak, das ist übrigens ein Inuit-Wort und heißt: Jacke. Die ist dann aus Karibu- oder Seehund-Fell. Das ist die traditionelle Kleidung, die hervorragend funktioniert. Ich zeige in meinen Vorträgen immer eine Szene, in der ich bei minus 35 Grad barfuß in Schuhe aus Bärenfell steige. Das funktioniert! Das Entscheidende aber ist: Sie müssen immer in Bewegung bleiben. Menschen können ja durch ihre Muskeln Wärme erzeugen. Man braucht eine Grundfitness, um nicht müde zu werden, sonst wird es schnell gefährlich. Ich brauche die auch für einen großen Traum, nämlich Grönland zu durchqueren. Das dauert einige Wochen oder Monate.

Kommen wir auf Ihre Shows im Fernsehen. Sie sind dreimal pro Woche zu sehen. Wie stellen Sie das alles auf die Beine? Das geht doch nur mit einer großen Redaktion im Hintergrund...

Wir haben eine sehr gute Redaktion, die sehr eingespielt ist. Da ist auch viel Routine drin. Ich bin kein Supermann, der alles nebenbei macht. Wenn man sich konzentriert auf die Arbeit und die Familie, dann funktioniert das aber. Man darf nur nicht den Ehrgeiz entwickeln, bei der Eröffnung einer jeden Telefonzelle oder Sardinenbüchse mit dabei zu sein. Was mir ein bisschen fehlt, ist die Zeit, um mehr zu reisen. Es tut einfach gut, aus dem Studio rauszugehen und Menschen zu sprechen und zu verstehen. Wir machen uns an zu vielen Stellen was vor. Wir haben die Globalisierung lange für eine gute Sache gehalten. Sie war und ist auch gut; ein Land wie China hat durch sie 600 Millionen Menschen aus der Armut befreit, und auch Deutschland profitiert als Exportland enorm. Aber zur Wahrheit gehört auch: Sie produziert nach meinem Gefühl vor allem in der westlichen Welt, in den USA, England oder Deutschland zu viele Verlierer. Längst ist auch die Mittelschicht betroffen. Was tun? Es gibt darauf keine einfachen Antworten. Aber ich drehe öfter Dokumentationen, weil ich glaube, dass wir diese Zusammenhänge dringend erklären müssen.

Da kommt dann ja auch der Aufstieg der AfD ins Spiel.

Das ist eine Folge davon, das ist wahr. Wir tun uns aber keinen Gefallen damit, uns an rechten Parteien abzuarbeiten. Wir müssen tiefer gehen und fragen, was die Gründe für den Erfolg dieser Parteien sind. Unsere erste Amerika-Doku haben wir 2016 gedreht, ein halbes Jahr vor der Präsidentschaftswahl. Da konnte man schon sehen, dass für Donald Trump alles bereit ist, während wir in Europa sagten: Hillary Clinton wird sowieso gewinnen. Die Ironie daran: Der, der am meisten von seiner Wahl überrascht war, war Trump selbst.

Ihre Show gilt ja ein bisschen als Wohnzimmer der Nation – da kommen alle hin. Wie schaffen Sie es, dass die Leute sich so öffnen und auch persönliche Dinge erzählen, wie vor Kurzem Florian Silbereisen über seine Beziehung zu Helene Fischer?

Ich bin ja gar nicht so auf Persönliches aus, vielleicht ist das das Geheimnis. Ich versuche auch, mein Privatleben privat zu halten. Aber wenn eine Beziehung scheitert, die sehr öffentlich gelebt wurde, darf man schon nachfragen, finde ich. Ich habe immer das Gefühl, die Leute öffnen sich, wenn sie merken, dass man sich wirklich mit ihnen auseinandersetzt.

Was machen Sie mit Co-Referenten, die einfach nicht mehr aufhören zu reden?

Ich muss mir manchmal vorwerfen lassen, dass ich zu viel unterbreche. Das ist aber manchmal Notwehr, wenn sich jemand argumentativ im Kreis dreht oder wenn Widersprüche da sind. Das ist eine Frage von Fingerspitzengefühl und oft genug entgleitet mir das auch. Die Gäste haben oft viel mehr Lust zu diskutieren, als wir denken, und stellen sich auch harten Fragen. Christian Wulff war kürzlich da, und er hat die Zeit seiner Affäre aus seiner Sicht erklärt, obwohl er eigentlich gar keine Lust mehr hatte – verständlicherweise. Doch am Ende hat dieser Auftritt das Bild des Bundespräsidenten Wulff bei vielen verändert, das haben wir an den Reaktionen gemerkt.

Wie gehen Sie mit Störern um? Bei Frank Plasberg hat vor Kurzem eine selbst ernannte Feministin aus dem Publikum die Bühne geentert.

Ich hatte mal Femen-Aktivistinnen da, die haben sich ausgezogen, mitten in einer Sportübertragung! Ich habe sie dann einfach nach ihrem Anliegen gefragt. Das ist natürlich ein besonderes Interview, wenn dein Gegenüber nicht die übliche Arbeitskleidung trägt. Ich mag es, wenn die Routine im Fernsehen gebrochen wird. Deshalb benutze ich auch selten die vorbereiteten Karten. Wir möchten, dass sich ein Gespräch entwickelt. Manchmal passieren dann so großartige Momente wie letzte Woche, als Frank Schätzing erzählte, dass er mittlerweile auch in China sehr erfolgreich sei und dass dort schon „Der Schwarm – Teil 2“ erschienen sei. Es stellte sich heraus: Er hat es nicht geschrieben und weiß auch nicht, was drinsteht (lacht).

Sie gelten bei deutschen Frauen als „Schwiegermuttertraum“. Ist Ihr attraktives Äußeres ein Fluch oder nehmen Sie das mit Fassung?

Es ist bescheuert, wenn Leute sich beklagen, dass sie angeblich nur über ihr Äußeres definiert werden. Ich finde, jeder sollte dankbar sein, wenn er nicht aussieht wie eine Biotonne. Das Problem ist: Männer, die gut aussehen, stehen immer so ein bisschen unter Blödheitsverdacht. Man muss sich also entscheiden, auf welcher Seite man stehen will. Ich habe mir vor Langem abgewöhnt, Menschen in Schubladen zu stecken. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr das öffentliche Bild oft von der Wahrheit abweicht. Meine Erfahrung ist: Es passt so gut wie nie. Etwas anderes würde ich mir aber wünschen: mehr Frauen in der Sendung. Aber da bilden wir Gesellschaft ab, und ich stelle immer wieder fest: Trotz Kanzlerin, trotz EU-Chefin und Verteidigungsministerin – wir sind noch lange nicht da, wo wir hinmüssten.