Die Schellen im Radio kündigen es an: Gleich gibt es wieder Weihnachtsmucke. Spätestens ab Mitte November ist kein Entkommen mehr möglich. Warum genügen manchmal ein paar stilisierte Schlittenglöckchen oder prächtige Posaunen, dass wir selig aufseufzen: „Ach ja – bald ist Weihnachten!“?

Zunächst: Die Schlittenglöckchen allein sind es nicht. Christina Zenk ist Professorin an der Trossinger Musikhochschule und Expertin für Musikdesign; ihr Kollege und Professor Rainer Bayreuther nimmt eher die historische Perspektive ein.

Weihnachtsmusik gibt es nicht nur im Pop

Christina Zenk ist Professorin an der Musikhochschule Trossingen.
Christina Zenk ist Professorin an der Musikhochschule Trossingen. | Bild: Musikhochschule Trossingen

„Es gibt in vielen Bereichen Weihnachtsmusik, nicht nur im Pop“, stellt Christina Zenk klar. Weihnachtsmusik drücke ein Grundgefühl, nämlich die Freude über Musik aus. Das funktioniert zunächst über die Instrumente. In der Pop-Musik seien das oft Glockentöne, Glockenspiele, Streicher oder summende Chöre als Hintergrundgesang.

Aber auch die Komposition selbst zeigt an, dass jetzt Feierliches folgt: Einfache Dur-Harmonien und helle, strahlende Klangfarben könnten musikalisch Freude sehr gut ausdrücken. Gern verwendet werden auch Melodien, die aufwärts führen, sowie sprunghafte Intervalle.

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Jede Zeit verwendet dabei ihre Instrumente. „Bei den Klassikern aus den USA aus den 1930er- und 40er-Jahren wie ‚White Christmas‘ oder ‚Santa Claus is coming‘, der Zeit, in der Jazz und die Ballroom-Musik groß waren, wurde mit analogen Instrumenten gearbeitet, mit Streichern und Harfen“, sagt Christina Zenk. In den 1970ern und 1980ern kamen dann die Synthesizer auf. „Der Roland Juno-60 erzeugt im Solo bei ‚Last Christmas‘ einen Glöckchen-Klang“, erklärt die Expertin.

Dann gebe es auch Instrumente, die eine gewisse Referenz haben, so wie man bei Kastagnetten an Flamenco und Spanien denke. „So etwas können Sie auch an Weihnachten nutzen. Man verwendet natürlich musikalische Klischees, aber auch der Text spielt eine wichtige Rolle“, sagt Christina Zenk. Amerikanische Songs spielten dabei eher mit dem kommerziellen Hintergrund des Festes, also mit den Geschenken, einem schönen Ort oder Santa Claus.

Stimmungen durch Instrumente

Instrumente können bestimmte Stimmungen regelrecht anstoßen, erklärt Rainer Bayreuther. Entscheidend sei, welche Gefühlslagen für Weihnachten als passend empfunden würden, etwa eine friedliche oder heimelige Atmosphäre (im Kontrast zum Wetter draußen), eine gespannte Erwartung (auf die Geschenke) oder der Blick auf den Himmel, von dem die Engel herabkommen.

Rainer Bayreuther ist Professor an der Musikhochschule Trossingen.
Rainer Bayreuther ist Professor an der Musikhochschule Trossingen. | Bild: COIJANOVIC-BAYREUTHER

Beispiel: Mit Pauken und Trompeten erzeugt man eine festlich-friedliche Stimmung, und zwar nicht nur an Weihnachten – siehe Beethovens Europahymne „Freude, schöner Götterfunken“ oder die barocke Eurovisionsmelodie aus dem „Te Deum“ von Marc-Antoine Charpentier.

Da überrascht es dann gar nicht mehr so, dass das Weihnachtsoratorium von J.S. Bach ursprünglich gar nicht für Weihnachten bestimmt war. Der berühmte Anfang mit „Jauchzet, frohlocket“ wurde zunächst als Kantate für die königliche sächsische Familie komponiert, berichtet Bayreuther.

Zweiter Text auf die Musik

Zunächst hieß der Text: „Tönet ihr Pauken! Erschallet Trompeten!“ Den Text, den wir alle kennen, hat Bach erst in einer zweiten Bearbeitung unterlegt. Musik zu komponieren, war damals wie heute sehr aufwendig, und so konnte man sie in einer weiteren Bearbeitung noch einmal benutzen.

Auch der „Messias“ von G.F. Händel war nicht ausschließlich für Weihnachten gedacht. Er erzählt aus verschiedenen Zeiten aus dem Leben Jesu. „Mit dem ‚Halleluja‘-Chor schließt man heute üblicherweise den ersten Teil des ‚Messias‘ ab, in dem die Weihnachtsgeschichte erzählt wird. Aber bei Händel selber steht der Chor am Ende des Osterteils“, erklärt Rainer Bayreuther.

Dur bedeutet für Menschen Fröhlichkeit

Warum aber sind Weihnachtslieder immer in Dur? Ist das nur kulturell vermittelt? „Es gibt Untersuchungen, in denen man afrikanischen Völkern europäische Musik vorspielte und Bilder von Menschen mit Grundemotionen zeigte“, erklärt Christina Zenk. Die haben tatsächlich Musik in Dur fröhlichen Gesichtern zugeordnet.“ Dur heißt für Menschen also rund um die Welt: Freuen, jetzt kommt etwas Schönes.

Befragt nach ihrem Lieblings-Weihnachtslied, sagt Christina Zenk: „Das hängt von meiner Emotion ab. Ich kann mich für ‚White Christmas‘ begeistern, das ist etwas kitschig, aber manchmal passt das. Ich mag auch Parodien. Wenn Tom Waits in ‚Christmas Card from Minneapolis‘ mit seiner leicht versoffenen Stimme etwas von Stiller Nacht singt, hat das was. Toll ist auch eine Version von ‚Jingle Bells‘ der Metal-Band Korn. Die verzerrten Gitarren und der Text bilden einen witzigen Kontrast.“

Entdeckung aus dem Allgäu: Pastoralmesse von Karl Kempter

Und Bayreuthers Lieblingslieder? „Ich mag auch Popsongs gern, die man oft hört“, sagt er. Im Allgäu hörte er einmal die Pastoralmesse von Karl Kempter, in den 1850er-Jahren komponiert. In der Kirche herrschte eine ganz besondere Stimmung, erinnert er sich: „Im Allgäu ist das ein absolutes Traditionsstück.“

Einig sind sich beide: „Wir kommen in Weihnachtsstimmung, indem wir singen“, betont Bayreuther. In Franken gebe es neuerdings Liederkreise, die fränkische Weihnachtslieder einstudieren, ergänzt Zenk. „Gemeinsames Singen stärkt die Gemeinschaft und auch das Festliche. Da wird eine Tradition aufgegriffen, die verloren gegangen zu sein schien.“

Nachfolgend einige weihnachtliche Hörproben: