Herr Kelly, mit der Kelly Family waren Sie jahrelang auf Tour. Heute sind Sie aber allen nur als Extremsportler bekannt. Wie ist es dazu gekommen?
Ich bin vor knapp 20 Jahren durch eine Wette mit meiner Schwester zum Ausdauersport gekommen. Ich dachte, ich kann auch einfach so einen Triathlon schaffen. Ich bin gestartet und dann fast nicht im Ziel angekommen.
Sie haben sich bereits nach wenigen Metern beim Schwimmen an einer Boje im See festgeklammert.
Allerdings. Ich bin losgeschwommen und hing dann nach 70 Metern an dieser Boje, weil ich nicht mehr konnte.
Den Triathlon haben Sie dennoch beendet.
Ich habe gezweifelt, war vollkommen überfordert, bin zurückgeschwommen und war über mich selbst enttäuscht. Und in diesem Moment dachte ich, das kann es nicht gewesen sein, ich versuche es nochmal. Ich glaube, was sich da durchgesetzt hat, ist die Erziehung meiner Eltern: Wenn man etwas schaffen will, etwas erreichen will, darf man nicht aufgeben, dann muss man kämpfen.
Wie hatten Sie sich auf den Triathlon vorbereitet?
Gar nicht. Ich habe lediglich eine Woche vorher auf einem Radergometer bei Stärke null eine Stunde getreten und dachte, das kann doch jeder. Ich bin zwei Kilometer gelaufen und dachte, auch kein Problem. Dann bin ich in einem Sechs-Meter-Becken zehn Minuten geschwommen. Nach zweimal Kraulen war ich schon auf der anderen Seite und dachte, geht alles. Ich habe also alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.
Warum sind Sie danach beim Ausdauersport geblieben?
Nach meinem ersten Triathlon stand ich im Ziel und habe für mich entschieden: Das mache ich nie wieder, das ist unmenschlich, das ist kein Sport, das ist einfach nur bescheuert. Einige Tage später kam dann die Euphorie und ich dachte: Wahnsinn, doch ein optimaler Ausgleich zu meinem Beruf als Musiker.
Mit der Kelly Family haben Sie sich zunächst auf der Straße durchgekämpft. Hat Ihnen diese Erfahrung geholfen, sich auch in sportlichen Wettbewerben durchzusetzen?
Auch, definitiv. Allerdings waren wir als Kelly Family als Team stark. So ein richtiger Einzelkämpfer war nicht gewünscht. Teamplayer war das große Motto in der Kelly Family. Ich habe das Einzelkämpfen für mich durch den Sport herauskristallisiert.
War es schwierig für Sie, sich ins Familien-Team einzufügen?
Ich war immer ein Einzelkämpfer, aber ich war auch immer ein Teamplayer. Es wurde nicht sehr toleriert, dass man auch allein sein eigenes Ding machen wollte. Das sah mein Vater als Gefahr. Jeder hatte sein eigenes Ego, und das fand mein Vater nicht gut.
Hat Sie das angetrieben, sich als Einzelkämpfer im Sport zu verwirklichen?
Früher war es schon mein Antrieb, sich und der Welt zu zeigen, ich kann auch allein etwas schaffen. Dann kam der Moment, dass es eine Leidenschaft wurde. Heute muss ich keinem mehr etwas beweisen. Es interessiert auch keinen, dass ich noch einen Marathon und noch einen Marathon laufe. Es ist der Spaßfaktor. Es ist die Leidenschaft. Beim Sport lernt mal viel. Man lernt sich selbst kennen. Man lernt seine persönlichen Grenzen kennen, man lernt Demut.
Jetzt kann man sagen, wenn man die Bilder sieht: Wo ist da der Spaß?
Ja, ich weiß. Nur, Leidenschaft kommt auch von „leiden“. Wer einmal leidet und sein Leid überwindet, erfährt danach Freude und Euphorie. Und ich verbinde den Sport noch mit meinen anderen Leidenschaften: Reisen, Länder, Kulturen, Menschen – das gesamte Paket. Das ist der Hammer. Du siehst Ecken auf der Welt, wo du sonst niemals hinkommst. Du kommst an diese Stelle nicht mit einem Land-Rover, du kommst einfach nur zu Fuß auf diesen Hügel, auf diesen Berg, auf diese Düne.
Haben Sie in einem Rennen jemals an sich gezweifelt?
Oft, immer wieder. Ich habe gezweifelt, ob ich das schaffe. Dass ich vielleicht meine Kraft falsch aufgeteilt habe. Das kommt immer wieder vor. Es wird aber immer leichter mit der Erfahrung. Du weißt irgendwann: Das ist der innere Schweinehund, die Hysterie des Körpers, der Tiefpunkt; und dann lernst du, besser aus dem Tal herauszukommen.
Bei Ihrem Wüstenlaufen ist es Ihnen gelungen, aus so einem Tal herauszukommen.
Da war ich am zweiten Tag nicht gut drauf. Da habe ich mich übergeben, hatte Durchfall, leichtes Fieber, einen Infekt. Dann kam noch der Kopf dazu. Und ich habe nur noch gejammert und bin auf den letzten Platz zurückgefallen. Bei der ersten Verpflegungsstelle habe ich mich in einem Zelt ausgeruht und mir gesagt: Entweder du kämpfst jetzt oder du gibst auf. Ich habe gekämpft und nach einer Stunde hatte ich schon die ersten Läufer wieder eingeholt.
Haben Sie keine Bedenken, Ihren Körper in so einer Situation zu weit zu treiben?
Wenn man älter und erfahrener ist, merkt man, sobald man über das Limit so hinausgeht, sobald es schädlich für den Körper sein kann. Ich habe die Limits bis jetzt aber relativ gut erkannt. Ich bin nie bewusstlos geworden und musste nie aus einem Rennen genommen werden. Manchmal muss man Sportler aber tatsächlich vor sich selbst schützen. Das kommt oft vor, dass sie in der Euphorie, in diesem Adrenalinschub sich selbst verletzen.
Hatten Sie jemals Angst bei Ihren Aktionen?
Ja, im Amazonas, 220 Kilometer, Selbstversorger, und du findest den Weg nicht mehr zurück. Dann läufst du stundenlang und versuchst herauszufinden, wo du hergekommen bist. Alles sieht auf einmal gleich aus. Dann kommt Verzweiflung, Panik, Angst. Du überlebst im Amazonas nicht. Oder am Baikalsee. Da hatte ich einen Wettkampf über 250 Kilometer, ein gefrorener See, abends. Meinen Partner hatten die Ärzte aus dem Rennen genommen, weil ihm die ganze Hand erfroren war. Dann bin ich allein gewesen, zwei Nächte. Und dann bewegst du dich auf Eisschollen, die in Bewegung sind. Das heißt, du hast offene Wasserstellen. Wenn du bei minus 20 Grad ins offene Wasser fällst, dann erfrierst du und stirbst.
Was hilft Ihnen, in so einer Situation die Angst zu überwinden?
Konzentriert zu bleiben, motiviert, wach, nicht abgelenkt sein. Viele denken, man läuft in einer Art Trance, aber man läuft eigentlich konzentriert. Ich zumindest versuche immer, bei der Sache zu sein. Und das hilft mir.
Haben Sie beim Sport einen Talisman oder bestimmte Rituale?
Nein. Es gibt einfach nur die Vorbereitung.
Und die gibt Ihnen die Sicherheit?
Ja. Ich weiß genau, wo ich stehe, wenn ich mich vorbereite. Ich weiß genau, wann ich in Form bin. Dann musst du das noch im Wettkampf umsetzen und dich im Kopf quälen und die letzten 20 Prozent mit dem Willen durchziehen. Und Glück hilft auch.
Sie haben mal gesagt, Glück ist kein Zufall. Wie erarbeiten Sie sich Ihr Glück?
Indem ich Ziele verfolge. Es ist einfacher für mich, mit Zielen zu arbeiten. Dann komme ich weiter.
Was war Ihre schwerste Herausforderung?
Der Deutschlandlauf war sehr hart. Ich habe nachts im Wald geschlafen und 17 Tage lang kaum Nahrung gehabt. Ich hätte wahrscheinlich Zahnpasta gefressen. Das war vollkommener Wahnsinn. Und dann, am Ziel, stehst du da oben auf dem Gipfel, komplett entgiftet, körperlich 15 Kilo leichter, im Kopf klar, und du änderst Dinge in deinem Leben.
Wird die Musik irgendwann noch einmal einen Platz in Ihrem Leben haben?
Nein, das braucht kein Mensch von mir. Davon habe ich mich komplett gelöst. Ich mache keine Musik, null.
Und wenn die Family anfragt? Ein Comeback startet?
Wäre ich mit dabei.
Wie wichtig ist Familie in Ihrem Leben?
Es ist mein Fundament. Daraus ziehe auch meine Kraft, die eine oder andere sportliche Challenge zu schaffen.
Ist Sport mittlerweile für Sier zur Sucht geworden?
Ich glaube nicht. Sucht ist in der Regel negativ für einen Menschen. Der Sport hat mir immer Positives gebracht. Ich kann auch mal einen Tag vom Sport abschalten.
Können Sie auch rechtzeitig die Reißleine ziehen, sich vom Sport verabschieden, so wie Stefan Raab sich rechtzeitig von der TV-Bühne verabschiedet hat?
Das weiß ich nicht. Ich glaube, dass möglicherweise die Entscheidung irgendwann von der Gesundheit getroffen wird. Dass der Körper irgendwann nicht mehr mitmacht. Wenn man jeden Tag Cortison braucht, um aufstehen zu können, das muss nicht sein. Aber es wäre schön, wenn ich so ein Leben lang Sport machen darf, auf kleinem Level. Radfahren ist der allergeilste Sport. Ich könnte mir vorstellen, dass ich das bis ans Ende meines Lebens mache.
Fragen: Luisa RischeZur Person
Joey Kelly, Jahrgang 1972, macht immer wieder mit extremen sportlichen Leistungen auf sich aufmerksam. Er war bei 13 Ironman-Rennen dabei, hat über 10 Wüsten-Ultra-Läufe hinter sich gebracht und 48 Marathons. Er ist regelmäßig im Fernsehen zu sehen und hält Vorträge. (bea)