Wenn Kinder beim Einkaufen so gar keine Lust mehr haben, dann gibt es kurz vor der Kasse ein Regal mit etwas, das alle Mütter kennen, lieben und hassen. Kaugummis, Schoko-Riegel, Überraschungseier... all das dient dazu, dass man die Kleinen noch ein paar Minuten bei Laune halten kann, bis Einkauf und Nachwuchs endlich im Auto verstaut sind.
So etwas gibt es auch für erwachsene Frauen. Die holen sich aber keine Kaugummis, die gehen in den dm. Die Drogeriemarktkette erfreut sich in Deutschland einer geradezu unheimlichen Beliebtheit bei Frauen, während Männer bei der Erwähnung des Buchstabelkürzels mit beiden Händen abwehren. „Quengelware“ für Frauen sei das, sagt mein hochgeschätzer, kluger Kollege Roland Wallisch.
Ein dröger Job wird aufgepeppt
Aber warum ist das so? Allwöchentlich Tempos und Toilettenpapier für die Familie einzukaufen, ist ja ein ziemlich dröger Job und meistens Frauensache. Das haben die Marktbetreiber erkannt und bieten daher zum Unvermeidbaren allerlei Schnickschnack für das Einkaufserlebnis drumherum: Kosmetika natürlich, aber auch Probegrößen für den Urlaub, saisonale Servietten (Ostern! Sommer! Herbst! Weihnachten!), Deko-Artikel, Bio-Schokolade und und und.
Das kostet alles nicht viel, tut aber der weiblichen Psyche gut, hat meist null Kalorien (von der Schokolade mal abgesehen) und verbessert die Laune.
Interessant ist nur, dass sich bei den Drogeriemärkten die Geister so derartig scheiden. Man sieht doch sonst auch Frauen mit großer Selbstverständlichkeit durch Baumärkte ziehen. Warum sind Drogeriemärkte für Männer so derartig bäh?
Einkaufen im Weiber-Biotop
Hier die küchenpsychologische These des Tages: Wir Frauen erholen uns beim Einkaufen im Weiber-Biotop. Im Job sind Geschlechterrollen verpönt. Frauen sind tough, Männer sollen auch Gefühle haben. Anstrengend, so etwas. In der Freizeit aber ist alles lockerer. Hier werden die guten alten Geschlechterrollen noch ausgelebt.
Da sind Frauen zuständig für das Schöne, aber auch für den Alltag. Hier kann frau ungeniert die neuesten Nagellackfarben ausprobieren oder peinliche Deko-Objekte für zu Hause anschauen. Es sieht‘s ja keiner, und schließlich ist man ja für Tempos und Müsli da, nicht wahr?
„Ein Erlebnispark, in dem Frauen Gleichgesinnte treffen“
Wer es gern seriöser hat, hier eine professionelle Einschätzung aus Sicht des Münchner Markenexperten Jon Christoph Berndt: „Einkaufen ist hier nur ein Nebenaspekt. Der dm ist ein Erlebnispark, in dem Frauen Gleichgesinnte treffen.“ Die Gänge seien schön breit, damit auch Kinderwagen durchpassten, das Licht sei so warm wie im heimischen Wohnzimmer.
Frauen könnten hier eine gute Zeit verbringen, fänden aber gleichzeitig auch Kosmetika, um schön und begehrenswert zu bleiben, sowie Dinge für ihre Kinder und gesunde Ernährung in kleiner Auswahl. Hier zu verweilen, sei „modernes Pilzesammeln. dm ist eine Art Phantasialand 2.0 für Frauen, ein Balsam für die geschundene Seele im Alltag“, sagt der Experte.
„Phänomen dm“
Katrin Mattes ist Marketing- und Produktmanagement-Dozentin an der HTWG in Konstanz. Sie spricht sogar vom „Phänomen dm“ und erklärt, warum Frauen so auf diesen Laden abfahren: „Die erste Kategorie, um im Marketing eine Person zu kategorisieren, ist ihr Geschlecht. Denn Männer und Frauen sind nunmal sehr verschieden.“

dm sei Meister darin, eine Erlebniswelt für Frauen zu schaffen mit emotionalen Triggern, die sich gekonnt an sie richten – so wie die Baumärkte an die Männer. Junge Mütter schätzten die breiten Gänge, die Spielecke, den komfortablen Wickelbereich und die oft sogar angebotene Still-Ecke. Alles, was Mütter benötigten, sei geschickt im Umfeld platziert. Ähnlich richte sich das emotionale Store-Konzept auch an Teenies und später an die ältere Generation, und begleite so ein ganzes Frauenleben. Dazu passe auch der Slogan: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein.“
Lieber einen Arm abhacken!
Was ist nun aber mit den Jungs? Die lassen sich bisher ja lieber einen Arm abhacken, als mit der Gattin mit in den dm zu kommen. Cremes, Shampoos, Servietten? Nie im Leben! Mit dieser schönen geschlechterspezifischen Rollenteilung ist es aber nun vorbei, liebe Männer. Mittlerweile gibt es ein neues schwarzes, schnittiges Regal. Darüber steht „Seinz“. Dort finden – nur – Männer alles, was sie für ihre Schönheit brauchen. Duschbäder, Rasierwasser, Gesichtscreme, Bartpflege.
Natürlich wolle die Drogeriekette wachsen, erklärt Berndt. In Deutschland sei das schwierig, im Ausland sei man schon präsent. Bleiben also noch die Männer. Drogeriemärkte seien bislang nichts für harte Männer, die „Beißer“, wie Berndt sie nennt. Nachdem Männer heutzutage aber auch weicher sein dürften, spreche nichts dagegen, sie auch in Sachen Kosmetik anzupeilen und sie selbst Creme und Rasierwasser für ihren Körper auswählen zu lassen. Optik und Anmutung von Seinz seien klar an Männer gerichtet. „Das ist eine Art Spielecke für große Jungs. Gewissermaßen Bagger statt Buggy.“
Junge Männer sind körperbewusster
Auch die Konstanzer Marketing-Expertin Katrin Mattes hält die Idee für plausibel: Die Männer der Generation Z seien körperbewusster, lebten nicht nur für den Beruf und würden auch mal „niedere Frauentätigkeiten“, wie Mattes es augenzwinkernd nennt, wie Einkaufen übernehmen. Anders als Frauen schätzten Männer aber keine Umwege, wollen schnell zum Ziel kommen und nicht lange bummeln. Sie wollten gleich dorthin geleitet werden, wo sie ihre Produkte finden. Daher also die optisch abgesetzte Ecke.
Alles Berechnung also? Beunruhigend, wie wir im Alltag geradezu ferngesteuert werden. Katrin Mattes gibt das gegenüber ihren Studentinnen und Studenten ganz offen zu: „Manchmal ertappe ich mich selbst und muss lachen. Ich bin genau so ein Opfer wie alle anderen.“
Buchtipp: Jon Christoph Berndt, Sven Henkel: future ready. So werden
Unternehmen zukunftsfest. Printamazing-Verlag, 24,99 Euro.
Zahlen und Fakten
Die Drogeriemarktkette dm ist Marktführer in Deutschland. dm erzielte im Geschäftsjahr 2019/20 in Deutschland einen Umsatz von 8,54 Milliarden Euro, europaweit waren es 11,5 Mrd. Aktuell gibt es in Europa mehr als 3.700 dm-Filialen, davon rund 1.400 in Deutschland.
Hauptkonkurrent Rossmann kam in Deutschland 2020 auf 7,33 Mrd. Euro Umsatz, europaweit waren es 10,35 Mrd. Euro. Rossmann betreibt in Deutschland 2.233 Drogeriemärkte und im Ausland weitere 2.011 Märkte.
Die Drogeriemarktkette Müller machte 2020 kanpp über 4 Mrd. Umsatz und betreibt derzeit insgesamt etwa 880 Filialen, davon 572 in Deutschland.
Der Lebensmittelhändler Edeka ist mit der Hamburger Marke Budnikowsky im Frühjahr 2019 neu in das Drogeriegeschäft eingestiegen. 2021 betrieb Budnikowsky insgesamt mehr als 180 Filialen, das Geschäft konzentriert sich bislang auf die norddeutsche Tiefebene um Hamburg.