Im Kanton St. Gallen stellen die Christen beider Kirchen eine bemerkenswerte Aktion auf die Beine: Sie wollen gemeinsam die Bibel Seite um Seite abschreiben. Für die 1189 Seiten von Altem und Neuem Testament, die von der reformierten evangelischen Kirche in St. Gallen benutzt wird, benötigt man genau 1189 Freiwillige.

Das Motto heißt: Wer kann, der darf. Die einzige Vorgabe ist ein bestimmtes Seitenformat, damit die gleichgroßen Seiten eines Tages eingesammelt und zu einem großen Buch gebunden werden können. Dies wird dann die Corona-Bibel sein. Auch ein bestimmter Abstand zu den Rändern ist vorgeschrieben. Ansonsten haben die Schreibenden freie Hand. Sie dürfen etwas malen, zeichnen oder ein Initial farbig gestalten.
Die Bibel soll an die Pandemie erinnern
Die Idee dazu hatte der reformierte St. Galler Pfarrer Uwe Habenicht. Schnell war die Cityseelssorge in St. Gallen für seinen Geistesblitz gewonnen, was bei der Größe der Aufgabe auch sinnvoll erscheint. Den Hintergrund bildet die Corona-Pandemie, die derzeit Europa im Würgegriff hat und auch die Schweiz hart trifft.

Pastor Habenicht und seine Kollegen denken über den Tag hinaus. Es geht um eine Erinnerung an Corona, damit auch kommende Generationen an dieses Ereignis zurückdenken und ermahnt werden. Schon jetzt ist klar, dass Corona eine schleichende Katastrophe ist, an die man sich noch in Jahrzehnten erinnern dürfte. „Weißt du noch, damals?“
Später kommt sie in die berühmte Stiftsbibliothek
Die Corona-Bibel soll dies als kulturelles Erbe dokumentieren. Dafür steht auch der besondere Ort, an den sie später gebracht und verwahrt wird: die Stiftsbibliothek St. Gallen, in der seit über 1000 Jahren Bücher und Handschriften aufbewahrt und benutzt werden. Sie wurde eingerichtet von den Mönchen, die St. Gallen im frühen Mittelalter gründeten. Heute gilt die Stiftsbibliothek als eine der bedeutendsten Sammlungen Europas. Einige ihrer Handschriften reichen bis ins 6. Jahrhundert hinab.

Auch Bibeln und Bibelkommentare werden in den herrlichen Gewölben und stillen Magazinen aufbewahrt. Bis zur Erfindung des Buchdrucks wurden sie in den Schreibstuben der Klöster kopiert, Seite für Seite. Diese Tradition soll jetzt wieder lebendig werden mit Hilfe der Corona-Bibel. Das gebundene Einzelexemplar wird eines Tages, wenn die Pandemie vorbei ist, in die Stiftsbibliothek aufgenommen. Dann steht sie neben lateinischen, deutschen oder griechischen Bibeln, von denen jede ihre eigene Geschichte auf dem Buckel hat.

Schreiben im Hausbüro
Die St. Galler Bibelmacher wollen bis Pfingsten mit dieser Aktion fertig sein. „Schreibend verbinden wir uns untereinander,“ steht auf der Homepage. Denn schreiben kann man auch zuhause und in Isolation. Die „Erinnerung für kommende Generationen“ kann jeder für sich gestalten.