Am Sonntag hat das geistliche Oberhaupt der Tibeter seinen 90. Geburtstag gefeiert – und das gewohnt zurückhaltend: „Ich bin nur ein einfacher buddhistischer Mönch, normalerweise nehme ich nicht an Geburtstagsfeiern teil“, erklärte der Geistliche, der von tausenden Gläubigen begrüßt wurde. International wird er als friedlicher Verfechter der Freiheit Tibets verehrt – allerdings nicht in China, wo er als Staatsfeind gilt.

Seine Anhänger stellen den Dalai Lama auf eine Stufe mit Freiheitskämpfern wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Nelson Mandela. Für die Sache Tibets bereiste der Dalai Lama unermüdlich die ganze Welt, traf Könige, Politiker und Stars, und wurde zum Symbol für den gewaltfreien Kampf – über alle Religionen hinweg.
Oberhaupts des tibetischen Buddhismus wird 90
Sein ganzes Leben widmete der Dalai Lama den Tibetern, doch seine Heimat darf er seit Jahrzehnten nicht mehr betreten. Geboren wurde er am 6. Juli 1935 als Lhamo Dhondup im Dorf Taktser im Nordosten Tibets. Sein Leben als Sohn einfacher Bauern war mit zwei Jahren bereits vorbei, als er als 14. Reinkarnation des höchsten religiösen Oberhaupts des tibetischen Buddhismus auserwählt wurde. Fortan hieß er Jetsun Jamphel Ngawang Lobsang Yeshe Tenzin Gyatso – „Heiliger Herr, sanfter Ruhm, mitfühlender Verteidiger des Glaubens und Ozean der Weisheit“.

Sein Zuhause war von nun an der Potala-Palast mit seinen tausend Zimmern in der tibetischen Hauptstadt Lhasa, weit weg von Eltern und Geschwistern, wo der Dalai Lama zum Anführer seines Volkes erzogen wurde. Die theologische und philosophische Ausbildung war streng. Doch dem Jungen blieb auch Zeit, seiner wissenschaftlichen Neugier nachzugehen: Er spielte mit einer Uhr, die ihm US-Präsident Franklin D. Roosevelt geschickt hatte, und reparierte Autos, von denen er eines gegen das Palasttor fuhr.
Flucht mit 15 nach Indien
Seine Kindheit endete abrupt, als Tenzin Gyatso mit 15 Jahren nach dem Einmarsch der chinesischen Armee in Tibet 1950 hastig zum Staatsoberhaupt ernannt wurde. Neun Jahre später schlugen chinesische Truppen einen Volksaufstand blutig nieder, der Dalai Lama musste um sein Leben fürchten. 13 Tage lang dauerte seine Flucht über den Himalaya, bis er die Grenze zu Indien erreichte. Damals war er 23, seitdem hat er Tibet nie wieder betreten.

Das Leben des Dalai Lama im Exil spielt sich hauptsächlich in der nordindischen Bergstadt Dharamsala ab, wo tausende Tibeter ihre traditionellen Bräuche pflegen, obwohl viele von ihnen ihre Heimat noch nie gesehen haben. In Dharamsala setzte der Dalai Lama eine Exilregierung ein und startete eine Kampagne zur Befreiung Tibets, wobei er die Forderung nach Unabhängigkeit nach und nach aufgab zugunsten der Forderung nach größerer Autonomie für sein Volk innerhalb der Volksrepublik China. Viele Tibeter empfinden diesen Mittelweg jedoch als Verrat.
Auszeichnung mit Friedensnobelpreis 1989
1989 wurde der Dalai Lama für sein Streben nach „Versöhnung trotz brutaler Übergriffe“ mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die Auszeichnung katapultierte ihn ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, Staatschefs und Schauspieler umwarben ihn. Seine Auftritte in Sandalen und traditionellem Gewand sowie sein schelmischer Humor machten ihn zum Liebling der Medien. „Vielleicht werde ich als freche Blondine wiedergeboren – oder auch gar nicht“, sagte er einmal.

Die chinesische Regierung blieb jedoch unbeeindruckt von seinem Charme und seiner Popularität und brandmarkte den Dalai Lama als „Separatisten“ und „Wolf im Mönchsgewand“. Peking betrachtet Tibet als unveräußerlichen Bestandteil der Volksrepublik. 2011, mit 76 Jahren, gab der Dalai Lama seine politische Macht ab, ein von den Exil-Tibetern gewählter Regierungschef übernahm. Angesichts seines hohen Alters stellte sich in den vergangenen Jahren zunehmend die Frage, wer nach seinem Tod die geistliche Führung der Tibeter übernimmt.
Viele befürchten, Peking könnte einen Nachfolger nach chinesischem Geschmack benennen. „Ein Kandidat, der aus politischen Gründen ausgewählt wurde, sollte von niemandem anerkannt oder akzeptiert werden“, sagte der Dalai Lama dazu. Doch vielleicht ist die Frage nach einem Nachfolger gar nicht so drängend – denn der Dalai Lama hofft, noch weitere „30 oder 40 Jahre“ zu leben, wie er einen Tag vor seinem Geburtstag verriet.