Herr Hilbert, wie kann man denn feststellen, dass ein Erbe überschuldet ist, bevor man es antritt?
Das ist schwierig. Man hat sechs Wochen Zeit, das Erbe auszuschlagen. Wenn man aber nicht Erbe ist, hat man wenig Möglichkeiten, etwa bei der Bank nachzufragen, wie der Kontostand ist. Die Bank wird das wegen des Bankgeheimnisses ablehnen. Es ist praktisch unmöglich. Nur dann, wenn ich die Verhältnisse des Erblassers schon kenne, kann ich das einschätzen. Banken verlangen oft den Erbschein, und wenn man den hat, hat man das Erbe bereits angenommen. Das ist ein unglücklicher Kreislauf.
Sie sagen, man sollte eine Erbschaft nur ausschlagen, wenn man sich ganz sicher ist, denn man könne hinterher noch etwas tun, um die Risiken zu begrenzen. Welche Möglichkeiten gibt es da?
Wenn ich zu 100 Prozent sicher weiß, da sind nur Schulden da, dann kann ich das Erbe ausschlagen. Ich spare mir dann einfach Arbeit und Korrespondenz. Aber auch wenn ich die Erbschaft annehme, gehe ich nicht das Risiko ein, dass ich mit meinem eigenen Vermögen hafte. Ich kann eine Nachlassverwaltung oder eine Nachlassinsolvenz veranlassen, ich kann meine Haftung auf den Nachlass beschränken. Ich kann nachschauen, was da ist, und wenn sich rausstellt, dass das Vermögen nicht ausreicht, um die Gläubiger zu befriedigen, kann ich zum Nachlassgericht gehen und Nachlassinsolvenz beantragen. Das läuft dann wie ein normales Insolvenzverfahren mit einem Insolvenzverwalter ab. Verteilt wird dabei nur der Nachlass, aber nicht das Vermögen des Erben. Das ist die relativ großzügige gesetzliche Regelung, weil der Erbe eben nicht genau weiß, was ihn erwartet. Wenn man das Erbe ausschlägt, ist es in aller Regel vorbei. Wenn sich dann später herausstellt, dass da noch ein Grundstück ist oder ein Konto in der Schweiz, von dem ich nichts wusste, komme ich ganz schwer wieder ran. Ich bekomme dann ja auch keine Informationen mehr. Dann muss ich meine Ausschlagung anfechten. Deshalb ist es wichtig, bei der Ausschlagung nicht nur zu schreiben: "Ich schlage das Erbe aus", sondern dass man begründet, etwa "weil ich davon ausgehe, dass der Nachlass nicht ausreicht, um die Schulden zu decken." Mit einem Grund lässt sich die Ausschlagung leichter anfechten.
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Kann man sich irgendwo informieren, wenn man so gar keine Ahnung hat?
Nein, leider nicht. Die Nachlassgerichte beraten nicht. Die sind nur für das Erteilen des Erbscheins oder die Nachlassverwaltung zuständig. Das ist bei uns in Deutschland anders als in anderen Ländern. In Großbritannien, in den USA, aber auch in Österreich tritt ein Treuhänder auf den Plan. Der schaut, was da ist und erstellt Verzeichnisse, schaut, dass die Gläubiger bedient werden, bevor er den Nachlass an den Erben aushändigt. Bei uns ist der Erbe frei und auf sich gestellt, aber er muss Bescheid wissen. Wenn er nicht zum Anwalt geht, muss er sich selber kümmern. Bei uns wird eine Nachlassverwaltung nur gemacht, wenn das Vermögen nicht ausreicht. In den anderen Ländern – und das ist der Nachteil – wird das immer gemacht. Und das verursacht eben auch Kosten. Die Nachlassverwaltung kann man bei uns auch beantragen, wenn genug Geld da ist und man keine Lust hat, sich darum zu kümmern. Das übernimmt dann ein Dritter, dessen Arbeit aber auch Geld kostet. Bestellt wird er vom Nachlassgericht, in der Regel sind das Testamentsvollstrecker oder Betreuer.
Was sind denn die häufigsten Fehler, die Sie in Ihrer Kanzlei sehen?
Am häufigsten ist die voreilige Ausschlagung. Wenn die Leute erst danach zu mir kommen, ist meist nichts mehr zu machen. Ein weiterer Fehler: Vom extrem bescheidenen Lebenswandel des Erblassers sollte man nicht darauf schließen, dass er nichts hat. Im Gegenteil. Da gibt es Leute, die geradezu in verwahrlosten Zuständen hausen, aber dennoch ist unglaublich viel Geld da. Wenn das Vermögen nicht reicht, ist das eigentlich unproblematischer, denn abgesehen von den Anwaltskosten kostet das Betroffenen ja nichts.
Von der Testamentseröffnung bis zum Erbschein – wie geht man da vor?
Zunächst einmal müssen Erben nicht mehr zum Notar gehen, sondern nach der Reform von Anfang des Jahres ist das Nachlassgericht zuständig. Die Testamentseröffnung läuft in aller Regel nicht so wie bei Agatha Christie ab. Da sitzen nicht alle an einem Tisch, sondern die Erben bekommen das Testament schriftlich. Als Erbe schaue ich mir an: Benötige ich denn einen Erbschein? Den braucht man nämlich nicht immer, und ein Erbschein kostet auch Gebühren, die sich am Wert dessen orientieren, was ich bekommen soll. Wenn kein Haus und kein Grundstück vorhanden sind, sondern nur Bankvermögen, und ich habe schon eine Bankvollmacht, dann brauche ich keinen Erbschein. Dann kann ich aufgrund der Vollmacht handeln. In vielen Fällen braucht man aber einen Erbschein, dann ruft man kurz beim Nachlassgericht an. Dann bekommt man von dort Formulare, die auszufüllen sind.
Kann man das als Otto Normalverbraucher oder braucht man einen Übersetzer?
Ja, das bekommt man hin. Das Nachlassgericht will wissen, wer die Verwandten sind. Es will auch Nachweise sehen, also Geburts- und Sterbeurkunden. Das kann manchmal mühsam sein, aber das ist machbar. Das Gericht will auch wissen, wie hoch der Wert des Nachlasses ist. Das ist natürlich anfangs schwer zu sagen. Daher sollte man den geschätzten Wert anfangs eher am unteren Rand ansetzen, denn danach bemessen sich auch die Gebühren. Manchmal gibt es auch Streit darüber, wer Erbe ist. Dann gibt es eine Art Gerichtsverhandlung beim Nachlassgericht, und das Gericht entscheidet dann. So etwas kann alles sehr verzögern. Wem die Entscheidung nicht passt, der kann Beschwerde zum Oberlandesgericht einlegen. Zuständig ist immer das Nachlassgericht, an dem der Verstorbene zuletzt seinen Wohnsitz hatte. Zum Teil sind auch kleinere Amtsgerichte zuständig, die Gerichtsbezirke sind nicht immer den Landkreisen entsprechend. Wenn ich ein Erbe ausschlagen will, gehe ich entweder zum örtlichen Notar, der das ja beglaubigen muss, oder zum örtlichen Nachlassgericht direkt zur Niederschrift. Dann schickt man die Ausschlagungserklärung ans zuständige Nachlassgericht am Wohnort des Verstorbenen, oder das Gericht leitet sie weiter.
Kann man einen Erbschein auch teilen?
Ja, das ist sehr oft der Fall. Ein Beispiel: Die Witwe stirbt, hat zwei Kinder, sie hat kein Testament gemacht, dann lautet der Erbschein: gesetzliche Erbfolge, je zur Hälfte Kind A und Kind B. Das ist ein einfacher Fall, aber oft ist es sehr viel komplizierter. Der Erbschein ist die Lizenz, um über den Nachlass zu verfügen. Wie lange dauert es, bis ein Erbschein erstellt ist? Das hängt von den Umständen ab. Vor ein paar Jahren warb ein Nachlassgericht mal damit, den Erbschein in zwei oder drei Wochen auszustellen, vorausgesetzt, alles ist klar. Manchmal gibt es aber Probleme bei der Beschaffung von Dokumenten, etwa aus dem Ausland. Das führt zu Verzögerungen, auch wenn es Streit darüber gibt, wie das Testament auszulegen ist oder ob es überhaupt wirksam ist. Es kann auch Probleme geben, wenn das Testament mit Druckbuchstaben geschrieben wurde und die Betreuerin ebenfalls mit Druckbuchstaben schreibt. Dann kommt ein Sachverständigen-Gutachten, und dann vergeht schon mal ein halbes Jahr oder ein Dreivierteljahr. In dieser Zeit ist ja niemand da, der den Nachlass verwalten kann. Das kann Nachteile bringen, denn es müssen Verträge gekündigt und Fristen eingehalten werden. In diesem Fall muss man einen Nachlasspfleger bestellen, der sich bis zur Feststellung um den Nachlass kümmert.
Was würden Sie allen am Thema Interessierten raten?
Viele Menschen verteilen ihr Erbe nach Dingen. Der eine bekommt das Haus, der andere das Bankkonto. Wenn diese Dinge aber nicht gleich viel wert sind, beginnen die Probleme. Wenn man ein Testament macht, muss ein Erbe benannt werden. Der Erbe ist der Rechtsnachfolger, und Erbe ist man immer von allem. Gegenstände können Sie nur über Vermächtnisse zuweisen. Als möglicher Erbe sollten Sie als erstes eine Aufstellung von allem machen, was an Vermögen und Schulden da ist, also ein Nachlassverzeichnis. Es kann gefährlich sein, wenn Sie die ersten zwei oder drei Gläubiger bezahlen, die besonders drängeln, und nachher feststellen, dass das Vermögen nicht für alle reicht. Da haben Sie möglicherweise eine Gläubigerbegünstigung begangen.
Wann braucht man einen Anwalt?
Wenn ich meine Frau als Alleinerbin einsetze und die Kinder als Schlusserben, dann geht das noch so freihändig – vorausgesetzt, ich halte die Formvorschriften ein. Wenn man aber einen Nachlass hat, der sich im Bereich der Freibeträge bewegt, also 400 000 Euro pro Kind und 500 000 Euro pro Ehegatte, dann ist es unabdingbar, zum Anwalt oder zum Notar zu gehen. Aber es ist ein wenig wie in der Apotheke. Da gibt es frei verkäufliche Medikamente und welche, für die man ein Rezept braucht. Die schwierigeren Sachen beim Testament sind rezeptpflichtig, die sollte man vom Anwalt machen lassen. Wenn es um die Nachfolge in einem Unternehmen geht, brauche ich als Inhaber oder Gesellschafter immer die Hilfte mehrerer Experten. Wer erbt, sollte kühlen Kopf bewahren. Der Nachlass ist wie eine GmbH. Erst muss ich wissen, was ist da an Plus und Minus. Und erst dann, wenn ich diesen Überblick habe, entscheide ich, wie es weitergeht und lasse mich gegebenenfalls fachkundig beraten.
Also nicht gleich mal den Ferrari kaufen, weil die Erbtante gestorben ist?
Richtig.
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