Ein Blick zum Himmel zeigt: keine Wolke. Ein weiterer Blick auf den Gehweg verrät, dass es warm ist – die Anzugträger haben ihre Sakkos ausgezogen und tragen kurzärmelige Hemden. Es sind die besten Indizien dafür, dass es schon wieder brütend heiß ist. Die vergangenen Wochen ging es gerade noch, die japanische Hauptstadt kratzte an einem Wert von 30 Grad Celsius. Doch wenn in Tokio der Sommer durchbricht, wird es in der japanischen Hauptstadt fast unerträglich.
Im Juli und August, den heißesten Monaten des Jahres, liegt die Durchschnittstemperatur bei über 30 Grad. Was das Draußensein so unangenehm macht, ist die enorme Luftfeuchtigkeit von über 80 Prozent, Anfang August sind es sogar etwas mehr als 90 Prozent.
Man schwitzt vom Nichtstun. In weiter westlich gelegenen Großstädten wie Kyoto und Hiroshima ist es noch schweißtreibender, aber für Europäer reicht Tokio für eine Extremerfahrung aus.

Dabei wäre Tokio nicht Tokio, wenn sich die Regierung nicht schon Lösungen ausgedacht hätte. Man findet sie zum Beispiel an Bushaltestellen, die im Sommer kurzerhand zu Duschen werden. Feiner Sprühregen, beinahe Wasserstaub, fällt von Haltestellendächern herunter. Der Konzern Panasonic, einer der Hersteller solcher Anlagen, beschreibt das Bewässerungsergebnis als seidig-feinen Nebel. Tatsächlich: Durchnässt fühlt man sich dadurch nicht, abgekühlt dagegen schon.
Das für diese Maschinen verwendete Wasser kommt aus dem Kanalisationssystem, eingesetzt werden die Anlagen auch entlang von Gehwegen, an Bahnstationen und in Parks. Auch wenn der Wasserverbrauch dadurch steigt, verteidigt Panasonic das Konzept als grüne Klimaanlage.
Denn in einer Metropole, die im Juni eine große Regenzeit erlebt und auch sonst kaum unter Wassermangel leidet, sei es besser, mit Wasser zu kühlen als mit Strom. Und gekühlt werden muss hier dringend.
Wie problematisch die Kombination aus Hitze und Schwüle ist, zeigte sich 2021, als die Olympischen Spiele in Japan stattfanden. Die besten Athletinnen und Athleten der Welt waren angereist – und trotz ihrer Fitness stöhnten sie. Novak Djokovic, damals Weltranglisten-Erster im Tennis, nannte das Wetter in Tokio brutal. Er war nicht der Einzige. Wissenschaftler erklärten Tokio zu den „klimatisch schlimmsten Olympischen Spielen“, die es je gegeben habe.
Es war wohl kaum Zufall, dass 1964, als die Stadt schon einmal Ausrichter war, die Wettkämpfe im Oktober stattfanden. Denn auch wenn die Sommer inmitten des Klimawandels tendenziell heißer werden, leiden die Tokioter im Juli und August schon lange unter dem Wetter. Hitzetote werden hier jedes Jahr vermeldet.
„Bitte achten Sie auf Ihren Flüssigkeitshaushalt!“, heißt es auch deshalb in Durchsagen in der U-Bahn. Und die Menschen halten sich dran. An fast jeder Straßenecke steht ein Automat, in dem man für meist 150 Yen (umgerechnet rund ein Euro) Halbliter-Flaschen mit isotonischen Drinks, Wasser oder Eistee kaufen kann.
Und dann sind da noch die unterirdischen Gänge, die oft wie Kombinationen aus U-Bahn-Passagen und lang gezogenen Kaufhäusern wirken. Hier ist einem nach wenigen Momenten nicht mehr heiß, dafür oft kalt. Und man denkt sich, fast fröstelnd in Tokios Katakomben, aber mit wenig Lust auf die Hitze draußen: Der feuchte Nebel unter der nächsten Bushaltestelle ist vielleicht der angenehmste Ort.