Eure Majestät,
es ist schwer vorstellbar, dass es im Moment jemanden gibt, der Lust hätte, mit Ihnen die Rollen zu tauschen. Normalerweise ist es vermutlich ganz nett, eine Königin ohne Regierungsverantwortung zu sein. Sie haben zwar nicht wirklich etwas zu sagen, aber das hat durchaus auch Vorteile.
Winken, Lächeln, Smalltalk
Stattdessen reisen Sie – wenn nicht gerade eine Pandemie die Welt im Griff hat – durchs Land und rund um den Globus, winken, lächeln, machen Small Talk, schütteln auch mal Hände (aber nicht zu fest), nehmen Blumen und Geschenke entgegen und haben trotz all der repräsentativen Verpflichtungen, die Ihre Position mit sich bringt, noch genügend Zeit, sich um Ihre Pferde und die Hunde zu kümmern.
Vielleicht blieb da manchmal nicht genug Zeit für die Familie und dafür, Ihren Kindern ein paar wirklich wichtige Werte mitzugeben? Man könnte es zumindest vermuten, wenn man sich all das vor Augen führt, war Ihre Tochter und die drei Söhne Ihnen im Lauf der Jahrzehnte zugemutet haben. Möglicherweise wäre vieles von dem so oder ähnlich auch passiert, wenn in Ihrem Leben manches anders verlaufen wäre und Sie nicht Königin geworden wären. Aber darüber zu sinnieren, bringt nichts. Es ist nun mal, wie es ist.

Das gilt auch für die allem Anschein nach zerrüttete Beziehung zu Ihrem Enkel Prinz Harry und dessen Frau Meghan. Wenn Sie nichts weiter als eine Großmutter wären, hätten Sie den beiden in dieser Woche wahrscheinlich – und das völlig zu Recht – mal eben die Ohren langgezogen. Was ist das schließlich für eine Art, privateste Probleme in einem TV-Interview auszubreiten, wenn man doch unter dem öffentlichen Interesse angeblich so sehr leidet? Ich denke, wir sind da einer Meinung: So etwas macht man einfach nicht. Was kommt als Nächstes? Setzen sich die beiden in der britischen Ausgabe des Dschungelcamps ans Lagerfeuer und plaudern munter weiter?
Zwar wurden Sie von dem von Meghan erhobenen Rassismus-Vorwurf ausgenommen, aber das ist ein schwacher Trost. Als Oberhaupt der Windsors kann es Ihnen nicht egal sein, dass einer Ihrer Lieben sich vor der Geburt von Harrys Erstgeborenem ernsthaft Gedanken darüber gemacht hat, wie dunkel dessen Hautfarbe sein könnte. Umso bewundernswerter ist es, dass Sie sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Weder dass Sie prominent sind, noch dass Sie Steuergelder beziehen, rechtfertigt es, Ihnen anzukreiden, dass 61 mit Bedacht gewählte Worte als Reaktion auf das Interview und die ernst gemeinte Ankündigung, die Vorwürfe in der Familie aufzuarbeiten, zu wenig seien.
Dass Sie Harry und Meghan keinen Platzverweis erteilen, sondern sie immer noch als „sehr geliebte Familienmitglieder“ bezeichnen, ehrt Sie – selbst wenn Sie sich beim Aussprechen der Worte vielleicht lieber auf die Zunge beißen würden. Gerüchten zufolge planen Sie ein Friedensgespräch. Ich wünsche Ihnen, dass Harry und Meghan den Anstand haben, ans Telefon zu gehen – und dass Sie es schaffen, den Familienfrieden wieder herzustellen. Aber wer sollte das schaffen, wenn nicht Sie?
Nicole Rieß
Redakteurin Leute!