Liebe Gisèle Pelicot,
was Sie erleben mussten, dafür gibt es keine Worte. Es ist unfassbar, dass Ihr Ehemann Sie neun Jahre lang vergewaltigt haben soll, während Sie unter Schlafmitteln standen. Und nicht nur das: 51 andere Männer sollen sich auf Einladung Ihres Ehemanns an Ihnen vergangen haben. Ihr Mann, den Sie einmal geheiratet hatten, wahrscheinlich, weil Sie ihn liebten und ihm vertrauten. 50 Jahre waren Sie verheiratet, haben gemeinsam drei Kinder und sechs Enkelkinder.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Sie sich gefühlt haben müssen, als dieses Verbrechen zufällig aufgedeckt wurde. Können Sie denn jemals wieder einem Mann vertrauen? Ich kann mir auch kaum vorstellen, wie es Ihnen jetzt gerade geht. Vor Gericht in die Augen derer blicken zu müssen, die Ihnen Schreckliches angetan haben, muss ein beklemmendes Gefühl sein.
Die ganze Welt kennt ihren Namen
Trotzdem haben Sie sich dazu entschlossen, diesen Prozess öffentlich auszutragen. Sie sagten, dass Sie diesen Kampf allen Frauen und Männern widmen würden, die Opfer sexualisierter Gewalt sind. Nicht nur in ganz Frankreich kennt man daher Ihren Namen und Ihr Gesicht, das Sie stets hinter einer großen Sonnenbrille verdecken. Weltweit sind die Menschen bestürzt über das, was Ihnen widerfahren ist.
An jedem Prozesstag müssen Sie an einer riesigen Traube Journalisten vorbeilaufen, die mit ihren Kameras und Mikrofonen auf Sie warten. Ihr Name wird wahrscheinlich für immer mit einem der schlimmsten Vergewaltigungsfälle Frankreichs verbunden sein. Ich weiß nicht, wie Sie das schaffen. Ich bewundere Sie für Ihre Stärke und den Mut, den Sie haben.
Den Opfern Glauben schenken
In Frankreich hat der Prozess eine Welle der Solidarität ausgelöst. In vielen französischen Städten gibt es Kundgebungen, auf den Plakaten steht „Wir sind alle Gisèle„. Ihr Prozess hat zu einer Debatte über den Umgang mit sexualisierter Gewalt ausgelöst. Sie sind eine Heldin. Ihre Unterstützerinnen wünschen sich, dass man den Opfern Glauben schenkt. Und dass die Opfer nicht zu Tätern gemacht werden.
Selbst während Ihres Prozesses versuchte die Verteidigung Ihres Ex-Mannes, Ihnen eine Mitschuld zu unterstellen. Sie seien exhibitionistisch veranlagt, da Sie nackt im Pool geschwommen seien. Dass Sie sich diesen Vorwurf anhören mussten, nach alldem, was Ihnen angetan wurde, das hat sie erniedrigt, haben Sie gesagt. Und doch haben Sie wieder Stärke bewiesen, als Sie diese Täter-Opfer-Umkehr vor Gericht kritisierten.
Der Beifall reicht nicht
Ich denke, Sie wünschen sich, dass es nicht bei dem Beifall bleibt, den Sie gerade erhalten. Sondern, dass man Missbrauchsopfer endlich ernst nimmt und ihnen zuhört. Ihr Mut kann dazu vielleicht beitragen.
Liebe Frau Pelicot, ich wünsche Ihnen ganz persönlich, dass Sie Ihren Frieden finden, wenn der Prozess vorbei ist und das Medieninteresse abgenommen hat. Sie hätten es verdient.
Mes meilleurs vœux!