Es war der größte Prozess seit Jahren an einem der kleinsten Gerichte der Schweiz: Zahlreiche Journalisten und Prozessbeteiligte drängten sich im engen Treppenhaus des Bezirksgerichtes im 3500-Einwohner-Ort Andelfingen – rund 15 Autominuten vom Landkreis Waldshut entfernt. Besucher waren aufgrund eines richterlichen Ausschlusses der Öffentlichkeit keine zugelassen. Zudem gab es Auflagen des Gerichts, keine Details zur Identität der Opfer zu nennen.

Täglich 15 Stunden im Käfig

Gustav Wohlenweber – wie er sich im Internet nannte – und seine philippinische Ehefrau mussten sich zwei Tage lang wegen Freiheitsberaubung sowie arbeits- und ausländerrechtlicher Delikte verantworten. Das Paar aus dem Zürcher Weinland soll zwei ausländische Frauen unter dem Vorwand, sie als Au-pairs oder Putzkräfte zu beschäftigen, als persönliche Haussklavinnen gehalten und täglich rund 15 Stunden in einen Käfig gesperrt haben. Dem Mittvierziger wird zudem Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft und Urkundenfälschung vorgeworfen.

Eines der Opfer, Linda S. (Namen der Opfer geändert), hatte an die Käfigwand mit roter Farbe ihre Zukunftsträume geschrieben, wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht, die dem  ‚Tages-Anzeiger‘ vorliegen: „Eine starke Frau sein, sicher, ohne Angst und Zweifel“. Und: „Die Liebe meines Lebens finden“.

Angeklagter gesteht die Taten

Rund einen Monat lang war die damals 30-jährige Südamerikanerin in dem Haus des Paares wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt in einem etwa zwei Quadratmeter kleinen Käfig eingesperrt. „Die erste Woche war Terror. (…) Am Schluss haben sie mich behandelt wie ein Tier“, sagte Linda S. vor Gericht.

Noch schlimmer erging es zuvor dem zweiten Opfer. Die damals 22-jährige Sofia R. wurde zehn Monate lang täglich in einen Käfig gesperrt, gefesselt und angekettet. „Die Ketten waren in Löchern im Holzboden des Käfigs verankert und so kurz, dass ich wie eine Tote daliegen musste“, sagte die Südostasiatin vor Gericht.

Im Gegensatz zu seiner um mehr als zehn Jahre jüngeren Ehefrau zeigte sich der Schweizer vor Gericht geständig. „Ich habe zu wenig auf das Befinden der beiden Frauen geachtet, Regeln verletzt und Missstände verursacht“, sagte er in seinem Schlusswort. Nun fielen in dem Aufsehen erregenden Prozess die mit Spannung erwarteten Urteile.

Etwas über 2000 Einwohner leben im idyllischen Andelfingen, das zum Kanton Zürich gehört.
Etwas über 2000 Einwohner leben im idyllischen Andelfingen, das zum Kanton Zürich gehört. | Bild: René Laglstorfer

27 Monate zur Bewährung ausgesetzt

Wohlenweber wurde wegen Freiheitsberaubung, Menschenhandel, Urkundenfälschung und mehrerer arbeits- und ausländerrechtlicher Delikte zu einer unbedingten Geldstrafe von 11.000 Franken und einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt. Davon werden 27 Monate für fünf Jahre bedingt zur Bewährung ausgesetzt. Lediglich neun Monate sind unbedingt, was einem Deal zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft für ein abgekürztes Verfahren geschuldet ist, der eine niedrigere Strafe für ein vollumfängliches Geständnis vorsieht.

Der Beschuldigte saß bereits fünf Monate in Untersuchungshaft. Da die U-Haft angerechnet wird, muss er noch rund vier Monate ins Gefängnis – deutlich kürzer, als die Frauen eingesperrt waren.

Rückfallrisiko ist hoch

Zudem ordnete das Gericht eine ambulante Therapie bei einem Sexualtherapeuten an, um Wohlenwebers paraphil-narzisstischen Störungskomplex zu behandeln. Darunter versteht man sexuelle Neigungen, anderen Menschen Leid zuzufügen, um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern und ein Überlegenheitsgefühl zu bekommen. Ein aktuelles Gutachten attestierte ihm neben einer sadomasochistischen Neigung eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Das Rückfallrisiko für ähnliche Taten bezeichnete der Psychiater als „hoch“.

In seiner Urteilsbegründung erklärte der vorsitzende Richter, Zweifel zu haben, ob Wohlenweber wirklich bewusst sei, warum er verurteilt wurde. „Sie sind nicht einfach nur zu weit gegangen. Der Handel von Menschen und der Freiheitsentzug von Frauen, die manipulativ dazu bewegt wurden, in Ihrem Setting mitzumachen, ist ein schwerer Missbrauch“, sagte der Richter.

Bei einer Wiederholung dürfe Wohlenweber nicht damit rechnen, mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe davonzukommen. Der Beschuldigte war bereits 2014 wegen Gefährdung des Lebens und Nötigung von jungen Frauen bei einem ähnlichen Vorgehen zu einer Bewährungsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden. Damals schätzte ein Gutachter das Rückfallrisiko Wohlenwebers als “gering“ ein.

Ehefrau als „verlängerter Arm“?

Ungewisser war die Entscheidung im Fall von Wohlenwebers Ehefrau. Ihr Verteidiger hatte einen vollen Freispruch gefordert. Seine Mandantin habe keineswegs eine Funktion als „Gefängniswärterin“ gehabt, wie es ihr die Anklage vorwirft. Sie habe zwar zugegeben, dass sie gelegentlich beim Anlegen der Fesseln und beim Schließen der Käfigtür geholfen habe. Aber nur wenn ihr Mann nicht da gewesen sei. „Sie tat, was ihr Göttergatte ihr befahl“, sagte der Verteidiger.

Die Staatsanwältin nahm ihr diese Darstellung nicht ab. „Die Beschuldigte war nicht bloß eine instrumentalisierte Marionette ihres Mannes“, sagte sie. „Sie war bereit, ihren Beitrag zu leisten, damit die Masche ihres Mannes funktionierte – sie war sein verlängerter Arm“, betonte die Staatsanwältin. Wegen mehrfacher Gehilfenschaft zur Freiheitsberaubung forderte die Anklage unter anderem eine bedingte Freiheitsstrafe von 10 Monaten und eine Landesverweisung von fünf Jahren.

Frau muss die Schweiz verlassen

Am Ende sahen die drei Richter am Bezirksgericht Andelfingen den Fall ähnlich und verurteilten die Beschuldigte – nicht rechtskräftig – zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren – sechs Monate länger, als die Staatsanwaltschaft beantragt hatte. Zudem erhielt die Ehefrau eine deutlich erhöhte bedingte Geldstrafe von 4500 Franken.

Am schwersten wiegt für die Beschuldigte aber die vom Gericht ausgesprochene Landesverweisung von fünf Jahren. In ihrem Schlusswort während der Verhandlung hatte die Beschuldigte an das Gericht appelliert: „Wenn Sie finden, meine Taten reichen für eine Verurteilung wegen eines Verbrechens, dann verurteilen Sie mich – aber bitte lassen Sie mir die Möglichkeit, in der Schweiz zu bleiben.“ Ihr Verteidiger kündigte denn auch an, Berufung einzulegen.

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„Die Beschuldigte hätte wissen müssen, dass die Einwilligungen der Opfer nicht rechtens sein können“, sagte der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung. Ein Geständnis oder Bedauern vermochte das Gericht nicht zu erkennen. Auch die von der Philippinin geltend gemachte Abhängigkeit von ihrem dominanten Ehemann akzeptierte das Gericht nicht. Da sie nicht in der Schweiz aufgewachsen sei und keine Kinder habe, liege auch kein Härtefall bei der Landesverweisung vor. „Wenigstens mitfühlende Empathie mit den Frauen hätte die Beschuldigte zeigen müssen, was nicht der Fall war“, befand der Richter.