Die kleine Maschine surrt so harmlos wie ein Männerrasierer. Doch das Gerätchen hat es in sich: In jeder Minute stechen kleine Nadeln Tausende Male etliche Millimeter tief in die Haut, bringen Farbe ein, zeichnen Linien, schaffen Flächen. Tut das nicht weh? Doch, und ob. „Das brennt etwa so, wie wenn Sie in Brennnesseln fassen, manche spüren auch ein Zwicken oder Ziehen“, erklärt Svetislav „Sveti“ Petrovic, 35. „Aber nach zehn Minuten haben Sie sich dran gewöhnt.“
Petrovic ist Chef des Tätowierstudios „Little Fat Dog“ in Radolfzell, besitzt aber noch weitere Tattoo-Studios im Umkreis, so in Tübingen und Rottweil. Eine Tätowier-Sitzung kann schon einmal drei Stunden dauern. Auf dem Behandlungsstuhl bei Tätowierer Michael Schwarz, 23, liegt Chantal Sigloch aus Radolfzell, 36.
Sie rührt sich nicht, als Michael Schwarz an der Innenseite ihres schmalen Oberarms die Konturen für das nächste Tattoo sticht: Ein Kirschblütenzweig soll es werden. Die Maschine ist kaum zu hören, während der Tätowierer arbeitet. Immer wieder wischt er sanft über die tätowierte Haut. Die Konturen des Blütenzweigs schimmern blau-lila.
Tätowieren hat das negative Image früherer Zeiten längst abgelegt. Während sich früher allenfalls Seeleute oder Kriminelle Tattoos stechen ließen, gibt es inzwischen bei jüngeren Leuten kaum noch jemanden ohne diesen Körperschmuck. In der Rockabilly-Szene sind „Sleeve-Tattoos“ schick. Die Tattoos ziehen sich hierbei über den ganzen Arm, sehen also aus etwas Entfernung aus wie ein bunter Kleiderärmel. Bürgerliche Eltern oder die Erbtante kann so etwas ungemein erschrecken, vielleicht ist das auch einkalkuliert.
Die Körperbilder sind eine Wertanlage. 2000 bis 2500 Euro kann es kosten, bis der ganze Arm mit Mustern, Namen und Bildern verziert ist, sagt Petrovic, während gerade ein junger Mann mit sorgfältig bandagiertem Unterarm das Studio verlässt. Die Tätowierer bekommen für ihre Arbeit dreistellige Beträge pro Stunde. Manche verstehen sich auf realistische Bilder, andere eher auf Ornamentik, und in verschiedenen Ländern gibt es zudem unterschiedliche Stile, erzählt Petrovic.
Maori-Tattoos sind groß in Mode
Künstler mit entsprechender Reputation reisen als Gast-Tätowierer durch die Lande. Schwer angesagt seien derzeit Maori-Tattoos aus Neuseeland. Die Männer dort trügen Tattoos auch im Gesicht, erklärt Petrovic. Wer davon besonders viele habe, sei denn auch ein besonders harter Kerl.
Freilich geht all das nicht von heute auf morgen: Die einzelnen Tattoos müssen immer erst abheilen, bis das nächste an die Reihe kommt. „Ich habe eigentlich spät angefangen“, sagt Chantal Sigloch freundlich. Tattoos gefielen ihr schon sehr früh im Leben, doch sie fand es lange Zeit schwierig, ein Motiv zu finden, erzählt sie.

Bislang ziert nur eine Tätowierung ihre linke Schulter, ein schönes Frauengesicht, das aber auch ein bisschen unheimlich aussieht. La Catrina sei das, eine mexikanische Totengöttin, erklärt die junge Frau. Das Motiv gefiel ihr, weil es einen anderen Umgang mit dem Tod vermittle. Nun also die Kirschblüten.
Überhaupt sind Götter in Tattoo-Kreisen beliebt. Auf dem nächsten Tätowierplatz liegt Jannick, 24, der sich Odin, den skandinavischen Göttervater, auf den Unterarm stechen lässt. Über dem bärtigen Männergesicht schwebt ein heulender Wolf. Seine Konturen sind bereits gezogen. Aber Odins Bart wird noch eine Weile dauern.
Die eigene Haut, so viel ist wohl allen Tattoo-Fans gemein, wird nicht als Körperhülle betrachtet, die so ist, wie sie ist, sondern als Leinwand, die mit Farben und Bildern prächtig zu schmücken ist. Auch wenn Hautärzte vor allergischen Reaktionen warnen oder davor, dass die Hautkrebs-Früherkennung erschwert würde: Die Körperkunst, für die man einen langen Atem braucht, ist salon-fähig geworden.
Nicht immer geht es freilich um neue Schönheit, erklärt Petrovic. Manchmal werden auch Narben überdeckt, etwa bei jungen Frauen, die sich an den Handgelenken geritzt haben und nicht mehr an diese Lebensphase denken wollen. Oder jemand möchte ein verunglücktes oder nicht mehr passendes Motiv neu übertätowiert haben. Der Klassiker: Der Name des Verflossenen, dessen Name man sich in vermeintlich ewiger Liebe hat stechen lassen.
Während des Tätowierens haben Künstler und Kunde viel Zeit. Da wird auch geredet. „Wenn ein Mensch deprimiert zu uns kommt und dich danach umarmt, dann tun wir auch was Gutes“, sagt Petrovic. Freilich lehne man auch Tätowierungen ab, etwa wenn Jugendliche kommen, die noch keine 16 sind. „Es hat Gründe, dass das verboten ist“, sagt Petrovic. Denn in diesem Alter wachse der Mensch noch, das Tattoo könne ganz anders herauskommen als gewünscht.
Farb-Tattoos sind weiter möglich
Vor einigen Monaten kam kurz Unruhe in der Tattoo-Szene auf. „Tattoo-Farben werden verboten“, war mancherorts zu lesen. Ganz so schlimm kam es nicht: Wegen möglicher Allergiegefahren und eines möglichen Krebsrisikos wurden einige besonders bunte Farben verboten. Inzwischen kamen Nachfolger, die mit der EU-Regelung Reach konform sind. Sie sind geprüft und sollen eben keine Allergien mehr auslösen.
Farbige Tattoos wird es also weiterhin geben. Nur gegen den Schmerz ist weiterhin kein Kraut gewachsen, ihn heißt es auszuhalten. „Frauen, die bereits Kinder geboren haben, zucken nur mit den Achseln“, berichtet Svetislav Petrovic. Männer seien bisweilen schon deutlich empfindlicher. Aber, das schiebt er noch mit feinem Grinsen nach, es gebe auch manche, die wegen des Schmerzes kämen. Die Schmerzempfindlichkeit sei am Körper ganz unterschiedlich ausgeprägt: Am Rücken und außen an den Armen gehe es eher, sensibler seien die Innenseite der Arme oder auch die Haut unter den Rippen.
Ist das Tattoo fertig, ist die Arbeit für den Tätowierer oder die Tätowiererin vorbei. Für den Besitzer oder die Besitzerin aber noch lange nicht. Ein neues Tattoo muss aufwendig gepflegt werden, denn letztlich handelt es sich dabei um eine Wunde, wie Svetislav Petrovic erklärt. Dafür verwendet man spezielle Lotionen.
Ist alles abgeheilt, werden die neuen Bilder zu einem Teil des eigenen Körpers. Dann heißt es für viele: Nach neuen Motiven Ausschau halten. Denn nach dem Tattoo ist vor dem Tattoo. Oder man lässt Göttervater Odin und den Kirschblütenzweig für sich stehen.