Gesundheitsminister Jens Spahn will die Organspende reformieren. Bislang besorgt man sich aus eigenem Antrieb einen Organspenderausweis. Das soll sich ändern. Geht es nach Spahn, wird die sogenannte Widerspruchslösung eingeführt. Die besagt: Jeder ist automatisch Spender. Will er dies nicht sein, muss er aktiv widersprechen. Am Donnerstag entscheidet der Bundestag über die Reform. Fünf Argumente gegen die Widerspruchslösung.
- Die Menschenwürde ist unantastbar. Was sich der Bundesgesundheitsminister da vorstellt, kollidiert mit unserem Grundgesetz – also mit dem Fundament unseres Rechtsverständnisses. Demnach hat der Staat die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen. Stattdessen soll die Zustimmung zur Organentnahme bei jedem vorausgesetzt werden, der dem nicht aktiv widersprochen hat. Das geht nicht zusammen. Im Zweifelsfall dürfte das Bundesverfassungsgericht die Regelung ganz schnell wieder kassieren.
- Der Mensch ist kein Ersatzteillager. Der Gedankengang hinter der angestrebten Reform geht in etwa so: Tausende von Menschen in Deutschland warten auf ein Spenderorgan – aber gespendet wird kaum. Also werden die Deutschen von nun an einfach zur Organspende verpflichtet. Der Zweck heiligt die Mittel. Nur, so einfach ist das nicht. Der menschliche Körper ist kein Ersatzteillager – er gehört sich selbst, auch nach dem Tod.
- Das Informationsproblem. Jens Spahns Vorschlag beruht auf der Annahme, dass sich die meisten Bürger zu Lebzeiten ungern mit dem Thema auseinandersetzen und letztlich aus Trägheit keine Entscheidung treffen. Umfragen scheinen das zu belegen: Da spricht sich nämlich regelmäßig eine Mehrheit für die Organspende aus, die tatsächliche Spenderrate liegt aber bei 11,2 Spendern pro einer Million Einwohner. So weit, so verständlich sind Spahns Überlegungen. Das Problem ist nur: Wer garantiert eigentlich, dass alle davon wissen, dass sie selbst widersprechen müssen, wenn sie nicht Organspender werden wollen? Keiner. Nicht alle lesen Zeitungen oder schauen Nachrichten. Bei dieser Frage aber ist das Wissen unerlässlich.
- Das Vertrauen dürfte weiter schwinden. Das große Problem der Organspende ist heute schon mangelndes Vertrauen der Patienten in die Entnahmepraxis. Sprich: Bin ich wirklich tot, wenn mir irgendwann Herz, Nieren oder Darm entnommen werden? Voraussetzung ist in Deutschland der Hirntod, also der irreversible Ausfall aller Hirnfunktionen. Der Kreislauf wird nur durch Maschinen in Gang gehalten, denn nur so sind Organe noch verwendbar. Das löst Bedenken aus, auch wenn zwei Fachärzte unabhängig den Hirntod bescheinigen müssen. Die Bedenken dürften jedenfalls nicht weniger werden, wenn die Organspende künftig verordnet wird. Tatsächlich könnte die angedachte Reform das Gegenteil bewirken – für mehr statt für weniger Ablehnung sorgen.
- Die Widerspruchslösung bedeutet nicht automatisch höhere Spenderzahlen. Als Positivbeispiel ziehen die Widerspruchslösungsverfechter gerne Spanien heran, das mit einer Quote von 46,9 Spendern auf eine Million Einwohner die meisten Organspender weltweit hat. Stark gestiegen ist dort die Zahl der Spender allerdings nicht durch die Einführung der Widerspruchslösung (1979), sondern erst nach der Neuorganisation der Transplantationsmedizin in den 1990er-Jahren.