Das moralisch perfekte Weihnachten 2022 stelle ich mir so vor: Die Familie sitzt zusammen in der ungeheizten Stube, Raumtemperatur sieben Grad. Aber man kann ja die Jacke anlassen, ist doch urig. Und „Familie“ bedeutet natürlich nur die, die hinlaufen können. Anreisen aus dem ganzen Land sind in der Alles-ist-knapp-Lage wirklich nicht zu rechtfertigen.
Dunkel ist es auch, Weihnachtsbeleuchtung geht gar nicht, jede Wattsekunde zählt. Und ein Baum? Hallo, der Wald stirbt eh, da wollt ihr noch was abholzen? Unfassbar, ausgeschlossen. Esst lieber mal eure Steckrüben auf.
Dann wäre Deutschland ein einziger Ofen
Ich gestehe, ein überzogenes Szenario, so etwas fordert nun wirklich niemand. Aber im Kleinen eben doch. Würden die politischen Ratschläge zu Duschdauern und Raumtemperaturen uns wärmen, so wäre Deutschland ein einziger Ofen.
Es ist kein Wunder und erst einmal ein gutes Zeichen, wenn man sich deswegen selbst hinterfragt: Kann ich jetzt schon heizen? Und wenn ja, wie warm? Kann ich eigentlich noch guten Gewissens ein Vollbad nehmen? Oder gar in die Sauna gehen?

Darauf gibt es einerseits eine finanzielle Antwort – ist diese ein „Nein“, zeigt das unser soziales Problem. In vielen anderen Fällen aber sind die Energiepreise zwar eine Belastung, allerdings kein Bankrott-Grund. Man könnte es sich schon noch leisten, richtig zu heizen – aber darf man es auch?
Ja. Denn selbst wer in der absolut ungeheizten, dunklen Wohnung sitzt, wird den Krieg nicht beenden und Putin nicht stürzen, es ist moralischer Hochmut, das zu glauben. Es wird anderen auch nicht dadurch wärmer, dass ich friere, wir befinden uns nicht in einer absoluten Mangellage.
So siegt Putin wirklich
Wann gewinnt Putin denn seinen Energiekrieg? Natürlich wenn uns der Brennstoff ausgeht, danach sieht es aber nicht aus. Er gewinnt ihn jedoch auch, wenn er in unsere Köpfe reinkommt. Wenn er Verunsicherung sät, wenn Spalter die Oberhand gewinnen. Wenn der ewige deutsche Denunziant seine Nachbarn anschwärzt, weil die zu viele Lichterketten aufhängen. Wenn wir uns das Leben nehmen lassen, das Putin so hasst, weil es frei ist und glücklich.
Wir müssen doch zumindest eines aus Corona lernen: Es ist in dunkelsten Zeiten die dümmste Entscheidung, sich auf das reine Existieren zu verlegen, Spaß und Ablenkung zu verbannen, nur um auch noch den allerhöchsten moralischen Ansprüchen zu genügen.
Natürlich: Die Freiheit gewinnt genauso wenig dadurch, dass wir durchs offene Fenster rausheizen und dabei ‚Layla‘ grölen, auch das wird im Kreml nur für überschaubare Unruhe sorgen.
Wer Wärme braucht, soll sie haben
Aber wer in kalten Tagen ein warmes Bad benötigt, der soll es einfach nehmen und es genießen. Es geht dadurch niemandem schlechter, nur einem selbst besser. Wie es während Corona eine Wohltat gewesen sein kann, die Regeln großzügig auszulegen, kann auch so etwas Wunderdinge bewirken. Was nützt es, sich den ganzen Tag im Kalten den Kopf zu zerbrechen, zum Kriegszitterer im anderen Sinne zu werden?
Jeder kann den für sich passenden Mittelweg finden. Wer in seinem Vorgarten trotz allem ein wattstarkes Lichterwunderland aufbaut, wird mit kritischen Blicken leben müssen – gleichzeitig müssen Skeptiker einsehen, dass derjenige keine Straftat begeht und das schlichtweg so machen darf. Wer derweil gar nicht mehr heizt und damit glücklich ist, bitteschön.
Aber wir befinden uns nicht in einem moralischen Überbietungswettbewerb.
Am wenigsten übrigens Staat, Land und Kommunen, die sich alle vor Bevormundung hüten sollten, wozu etwa die Absage von Weihnachtsmärkten aus rein gesinnungspolitischen Motiven gehören würde.
Entscheidend ist, dass wir zusammenhalten. Nach den Mitmenschen schauen, für die es wirklich eng wird, denen das Geld ausgeht. Kriegsflüchtlingen helfen. Und bei all dem die Lebensfreude nicht verlieren.
Wir kommen da durch.