Das politische Berlin verabschiedet sich in die Sommerpause. Vor allem Union und SPD, die beiden Partner, wären lieber sanft in die sitzungsfreie Urlaubszeit geglitten. Aber es hat nicht sollen sein. Der Konflikt um die abgesagte Wahl dreier Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht dürfte den Koalitionären schwer wie eine XXL-Portion Kässpätzle im Magen liegen.

Kanzler Friedrich Merz redet die Sache klein und sieht keine „Kuh auf dem Eis“. Bei den Wählern stellt sich indes mal wieder die Frage: Gibt es in Deutschland keine wichtigeren Probleme?

Merz wurde zwar im jüngsten Sommerinterview nicht müde zu betonen, wie viele Gesetze Schwarz-Rot seit Anfang Mai bereits auf den Weg gebracht und abgehakt habe. Doch Züge, die pünktlich einlaufen, interessieren bekanntlich nicht. Die Verspätungen sind das, was hängenbleibt.

Die Enttäuschung mit der Stromsteuer

Vergleichbare politische Schwachleistungen haben sich in den Köpfen der Bürger festgesetzt. Die neueste war die Abkehr vom Wahlversprechen, die Stromsteuer für alle zu senken. Auch wenn der jährliche Sparbetrag für eine vierköpfige Familie klar unter 100 Euro liegt – der Bürger erwartet Glaubwürdigkeit. Sie ist und bleibt die härteste politische Währung.

Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind zu einem Lippenbekenntnis der politisch Verantwortlichen geworden, quasi zu einem Marketing-Zwillingspaar, das rhetorisch zwar gehätschelt, aber nicht gelebt wird. So kommt es, dass Fehler und Fehlentscheidungen zwar bußfertig eingeräumt werden. Das passiert aber meist zu spät, und zwar dann, wenn die schlechte Nachricht schon aufgedeckt und medial verbreitet worden ist, man also nur noch Schadensbegrenzung betreiben kann.

Missverständnis durch simple Vokabeln

Zwar fallen den Bürgern bereitete Enttäuschungen schnell der Vergesslichkeit der Leute anheim – wer redet noch von Merz‘ Wahlversprechen, nicht an der Schuldenbremse zu rütteln? – aber es erhärtet sich der Eindruck, dass man den Regierenden nicht richtig über den Weg trauen kann. Wer Politik und Parteien überdrüssig ist, hat wieder einen Beleg mehr gesammelt, um seiner Meinung treu zu bleiben.

Diese auf den ersten Blick schlüssige Sichtweise blendet indes die Tatsache aus, dass auch die Menschen selbst für Parteien- und Politikverdrossenheit verantwortlich sind und diese ständig befeuern. Daran sind die Medien nicht ganz unschuldig. So ist es zu einem Stereotyp geworden, dass die Politik „liefern“ müsse. Damit sind nicht nur die angekündigten Vorhaben der (Regierungs)Parteien gemeint, sondern auch die Wünsche und Forderungen der Bürger an Staat und Legislative.

Der Irrtum in der Wahlkabine

Viele Menschen betrachten die Politik als Serviceleistung. Sie soll ständig zur Verfügung stehen und das persönliche Lebensmodell nicht nur finanzieren, sondern auch absichern. Diese typisch deutsche Vollkaskomentalität verbindet sich mit der falschen Erwartung, das Setzen des Kreuzchens in der Wahlkabine bedeute die Realisierung eines Wunschkatalogs. Diese Hoffnung wecken indes viele Politiker ebenfalls, indem sie das Wort vom „liefern“ auch verwenden und sich damit beim Bürger unter Zugzwang setzen.

Regierung und Parteien sind weder der Nikolaus, der die Stiefel vor der Tür füllt, noch sind sie Osterhasen, die Nester in den Garten tragen. Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat ein etwas lebensnäheres Bild gewählt, als er kürzlich sagte, der Staat sei „kein Pizzaservice“. Er befriedigt keine Privatbedürfnisse und bemuttert nicht.

Die Pizza muss selbst gebacken werden

Was der Staat allerdings tun muss – etwa durch die Digitalisierung – ist, den Menschen die Grundlagen bereitzustellen, um Bedürfnisse und Ziele effizient und schnell verwirklichen zu können. Man nennt das etwas trocken: Rahmenbedingungen schaffen. Das heißt, dass der Staat den Teig und die Basiszutaten für die Pizza bereitstellt. Aber das Ding nach eigenen Wünschen belegen und backen müssen die Leute schon selbst.

Die liberale Demokratie hält kein privates Glücksversprechen bereit. Aber sie schafft die Chancen für die Verwirklichung von individuellem Wohlergehen. Dafür setzt die Demokratie den Willen zum Mitmachen voraus. Dieses Prinzip wird durch den Massenerfolg des Populismus, der den Wählern Problemlösungen im Schnellwaschgang vorgaukelt, einer Bewährungsprobe unterworfen.

Verdrossenheit kann auch etwas anstoßen

Trotz der Wahlerfolge der AfD muss man die Parteiendemokratie aber nicht in einer Krise sehen, die von Mahnern und Warnern gerne an die Wand gemalt wird. Man kann die Herausforderung durch die Vereinfacher auch nicht durch ein Parteienverbot aus der Welt schaffen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, selbst eine Dampfhammer-Lösung anzustreben.

Vielmehr kann die Tendenz zur Verdrossenheit mit etablierten Parteien eine Chance sein – nämlich ein Treibmittel für Veränderungen zum Besseren. Daran sollte sich Merz‘ Regierungskoalition nach dem Ende der Sommerpause erinnern.