Um es gleich zu sagen: Die deutsche Demokratie braucht starke Sozialdemokraten. Die SPD ist die älteste noch bestehende Partei der Republik und steht für Werte, die ein gesellschaftliches Gefüge stärken und tragen.

Allerdings reicht es schon lange nicht mehr, einfach nur zu existieren. Wenn die Welt um einen herum tobt, sind Stillstand, Bewahren und die Anbetung des Gestern keine Option. „Veränderung beginnt mit uns“ war deshalb das Motto des SPD-Parteitags am vergangenen Wochenende. Zu spüren war davon allerdings wenig.

Es trifft ausgerechnet Lars Klingbeil

Stattdessen zieht sich die Partei auf das zurück, was sie am besten kann: sich selbst zu zerlegen und mindestens einem Parteivorsitzenden vor einem Millionenpublikum einen Dolch in den Rücken zu treiben. Diesmal traf es Lars Klingbeil.

Ausgerechnet den Mann, dem das Kunststück gelungen ist, die Partei nach dem schlechtesten Wahlergebnis ihrer Geschichte in die Regierung zu führen und in den Koalitionsverhandlungen viel mehr rauszuholen als alle vermutet hatten. Wäre Klingbeil ein Teppichhändler, er wäre sicher schon ein reicher Mann.

Klingbeil gilt als machtversessen

Es gibt Kritik an Lars Klingbeil. Er sei machtversessen und umgebe sich mit Ja-Sagern. Auch seine klare Position zur Unterstützung der Ukraine ist umstritten. Doch nichts davon ist auf der Bühne des Parteitags zu hören, niemand, der sich das Mikro greift, findet den Mut, dem Chef die Kritik ins Gesicht zu sagen.

Stattdessen strafen ihn die Delegierten bei der Wiederwahl zum Vorsitzenden mit nur 64,9 Prozent Zustimmung ab, wohlgemerkt in geheimer Abstimmung. Das ist feige und schäbig. Und zeigt das ganze Dilemma der Partei im Umgang mit ihren Verantwortlichen.

In der Sekunde, wo die nämlich Kompromisse zimmern und Positionen einnehmen, die nicht nur Wünschen entsprechen, sondern auch zur Wirklichkeit passen, senkt sich der Daumen. Damit beginnt vieles, um das Parteitags-Motto noch einmal aufzugreifen, aber Veränderung sicher nicht.

Bärbel Bas fliegen die Herzen zu

Stattdessen fliegen der neuen Co-Vorsitzenden Bärbel Bas die Herzen zu, sie erhält fast 30 Prozentpunkte mehr Zustimmung als der ungeliebte Lars. Neues ist von der Arbeits- und Sozialministerin allerdings nicht zu hören. Einen sozialen Kahlschlag werde es mit ihr nicht geben – lässt allerdings offen, wer das überhaupt vorhat. Den Delegierten gefällt das trotzdem und sie applaudieren zahlreich.

Dass der Sozialstaat in seiner jetzigen Architektur über seine Verhältnisse lebt, unterschlägt Bärbel Bas. Und übersieht damit etwas, das die Abwärtsspirale der Sozialdemokratie begründet. Denn das Forsa-Institut analysierte vor Jahren schon: Wann immer die SPD vor Wahlen auf Umverteilung setzte, hat sie verloren. Und man darf davon ausgehen, dass Umverteilung auch nach den Wahlen kein Quotenbringer ist.

Wer trägt die Mitverantwortung?

Seit 1998 regieren die Sozialdemokraten im Bund mit, eine kurze Unterbrechung zwischen 2009 und 2013 mal abgezogen. Wenn es also so furchtbar ungerecht zugehen soll im Land, wer trägt dann ein gerüttelt Maß Mitverantwortung? Statt programmatisch umzuschwenken und neue Themen in den Vordergrund zu schieben, antwortet die Co-Vorsitzende: Es soll halt noch gerechter zugehen in der Republik. So wird das nichts werden.

Ein SPD-Kanzler war es übrigens, der einst unser Land vom kranken Mann Europas zum Wirtschaftsmotor des Kontinents entwickelt und den Wohlstand vorangetrieben hat. Wir erinnern uns an Gerhard Schröder und seine Agenda 2010. Dieses Erfolgsmodell könnte sich die Partei ja noch einmal ansehen.

Es grenzt an Realitätsverweigerung

Statt also um die Zukunft zu ringen und so etwas wie eine Neuerfindung anzustreben, konzentriert sich die SPD auf einen Nebenschauplatz, dem angestrebten Verbotsverfahren gegen die AfD.

Dass das Bundesverwaltungsgericht unlängst das von der damaligen SPD-Ministerin Nancy Faeser verhängte Verbot der rechtsextremen Zeitschrift Compact aufgehoben hat? Egal. Dass das einer der größten juristischen Erfolge der Rechtsaußen-Anhänger ist? Egal. Dass andere Parteien ein Verbotsverfahren der AfD skeptisch sehen? Auch egal. Die SPD ist sich einig darin, so ein Verfahren zu wollen. Und ignoriert damit, dass die gesellschaftlichen Strömungen, die die AfD haben erstarken lassen, damit nicht verschwinden.

Blickt man beispielsweise zum Rassenblement National nach Frankreich, stellt man fest: Die Zustimmung zu den Radikalen ist unverändert hoch, gleichwohl die charismatische Anführerin Marine Le Pen von der Präsidentschaftskandidatur ausgeschlossen ist.

Es ist, als ob man einem Kind erklären muss, dass es nicht verschwindet, nur weil es die Augen schließt. In dieser Verfassung grenzt das Motto „Veränderung beginnt mit uns“ an Realitätsverweigerung. Und so eine SPD braucht dann vielleicht doch niemand.