598 Mitglieder soll der Deutsche Bundestag haben – eigentlich. Die Hälfte, 299 Abgeordnete, wird direkt gewählt, vor Ort in den Wahlkreisen. Die andere Hälfte soll über die Landeslisten der Parteien ins Parlament einziehen. Doch dieses System gerät an seine Grenzen, wenn sechs Parteien im Bundestag sitzen und sich einige davon ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Rein rechnerisch ist diesmal sogar ein Parlament mit bis zu 1000 Abgeordneten möglich.

CSU als Reformbremser

„Nach der Wahl droht ein XXL-Bundestag“, warnte der Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, gegenüber unserer Redaktion. „Das macht das Parlament weniger arbeitsfähig, ist teuer und kostet die Politik Glaubwürdigkeit. Denn wie sollen wir die Menschen von Reformen überzeugen, wenn sich das Parlament nicht einmal selbst reformieren kann.“ Dabei trage die CSU die Hauptschuld: „Sie hat zu lange blockiert.“ Nach aktuellen Umfragen sei eine Größe des Bundestages von über 800 Sitzen wahrscheinlich, sagte Grünen-Geschäftsführerin Britta Haßelmann. „Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zahl der Sitze sogar noch weit darüber liegen könnte.“

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Es gibt immer mehr Ausgleichsmandate

Das hat, nicht nur, aber auch, mit der CSU zu tun, die in Bayern fast alle oder sogar alle Direktmandate holt – ähnlich wie in Baden-Württemberg die CDU. Je schlechter allerdings ihr Zweitstimmenergebnis ausfällt, umso mehr Überhang- und Ausgleichsmandate entstehen. Nach verschiedenen Hochrechnungen kann ein Überhangmandat der CSU 18 Ausgleichsmandate in den anderen Fraktionen nach sich ziehen.

Bild 1: Groß, größer, Bundestag: Warum das Parlament bald aus allen Nähten platzt
Bild: Bundeswahlleiter, SK

Das funktioniert so: Angenommen, eine Partei erhält ein Viertel der Zweitstimmen. Dann steht ihr auch ein Viertel der Mandate im Bundestag zu, gerundet sind das etwa 150. Gewinnt diese Partei aber in 180 Wahlkreisen, ziehen 180 Direktkandidaten ins Parlament ein – 30 zu viel also. Diese zusätzlichen Mandate nennt man Überhangmandate. Um die Kräfteverhältnisse im Parlament wieder anzugleichen, erhalten die anderen Parteien dann Ausgleichsmandate. Dieses System droht die Mitgliederzahl des Bundestags explodieren zu lassen. So hat er auch jetzt schon 709 Mitglieder statt der vorgesehenen 598.

Ein einzelner Stuhl liegt im Plenum im Bundestag vor den Fraktionsreihen der Union. Normaler sollen im deutschen Bundestag 598 ...
Ein einzelner Stuhl liegt im Plenum im Bundestag vor den Fraktionsreihen der Union. Normaler sollen im deutschen Bundestag 598 Abgeordnete sitzen. Zuletzt saßen aber 709 Abgeordnete im Parlament. Grund dafür sind neu entstehende Ausgleichsmandate. | Bild: Michael Kappeler, dpa

Vor etwa einem Jahr schienen die Verhandlungen für eine Wahlrechtsreform schon auf gutem Weg zu sein. Der Kompromiss sah vor, die Zahl der Wahlkreise 2021 von 299 auf 280 zu reduzieren und sieben Überhangmandate nicht mehr auszugleichen. Baden-Württemberg hätte bei der Reform wie Bayern je zwei Wahlkreise verloren, NRW vier, die Stadtstaaten dagegen gar keine. Letztlich aber fiel die Reform dann doch viel kleiner aus: Für diesmal soll die Zahl der Wahlkreise noch gleich bleiben, erst 2025 wird reduziert. Nur bis zu drei Überhangmandate werden nicht mehr ausgeglichen.

Gefahr für das Funktionieren der Demokratie?

Robert Vehrkamp, der Wahlrechtsexperte der Bertelsmann Stiftung hält allerdings nicht einmal die beschlossene Reduzierung ab 2025 für tauglich, um einen übergroßen Bundestag zu verhindern. Er hat auf Basis der aktuellen Umfragewerte und einer Datenbank zum bisherigen Wählerverhalten mehrere Szenarien durchgespielt. In einem von ihnen würde die Zahl der Abgeordneten auf 935 steigen – wenn ein Fünftel der Grünen-Wählerinnen und -Wähler und gut die Hälfte der FDP-Wähler ihre Erststimme der Union geben. Selbst ein Bundestag mit 1000 Mitgliedern ist danach nicht auszuschließen. Experte Vehrkamp sieht darin eine Gefahr für eine funktionierende Demokratie: „Viele Beobachter sagen schon jetzt, dass die aktuelle Größe mit 709 Abgeordneten der Funktionalität des Parlaments eher abträglich ist.“ Das deutsche Wahlrecht sei mit den Direkt- und Listenmandaten an sich ein sehr gutes Wahlsystem. Wegen der zunehmenden Pluralisierung des Parteiensystems sei es jedoch dringend reformbedürftig.

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