Sehr geehrte Melis Sekmen,
da sind Sie Ihrer Partei einfach davongelaufen, was fast schon ein kleiner Skandal ist. Es kommt ja nicht alle Tage vor, dass grüne Abgeordnete zur CDU wechseln. Um genau zu sein, liegt der letzte Fall 28 Jahre zurück.
So ein Austritt, noch dazu, wenn er so medienwirksam war wie der Ihre, ist für jede Partei eine unangenehme Sache. Es werden Fragen gestellt, es wird nach Gründen gesucht. Den Grünen, die gerade erst bei der Europawahl eine Schelle kassiert haben, kommt Ihr Wechsel ziemlich ungelegen. Da ist es irgendwie verständlich, dass einige Politiker der Grünen-Fraktion versuchen, Ihren Schritt kleinzureden.

„Kein guter Stil“, meinte Cindy Holmberg aus dem baden-württembergischen Landtag. Es sei unfair den Wählern gegenüber, die Grün wollten und jetzt Schwarz bekommen. Kann man so sehen. Andere gehen noch weiter. Fordern, dass Sie Ihr Mandat zurückgeben sollen, wie es etwa aus Ihrem früheren Grünen-Kreisverband in Mannheim tönt. Daran denken Sie natürlich nicht. Und ich finde, dass Sie das auch gar nicht sollten.
Ihre Entscheidung sei das Ergebnis eines langen Prozesses gewesen, schreiben Sie in einem Brief an die Grünen. Das hört sich legitim an. Ihre Vorstellung, wie und in welchem Stil Politik gemacht werde, habe sich weiterentwickelt. Liest man diese Zeilen, klingt es fast so, als sei Ihnen der Diskursraum bei den Grünen zu eng geworden. Ob der bei der Union weitläufiger ist? Das lassen wir an dieser Stelle lieber offen. Doch man vernimmt, dass Sie mit der Ausrichtung Ihrer Partei schon länger unzufrieden waren. Das gilt offenbar aber auch umgekehrt.
Mitarbeiter sollen an Sekmen verzweifelt sein
Es gibt so einige ehemalige Mitstreiter, die an Ihnen verzweifelt sein sollen, heißt es, nachdem sie 2021 auf Listenplatz 16 den Einzug in den Bundestag geschafft hatten: Sie standen im Ruf, sehr auf sich zentriert Politik zu machen, inhaltlich aber nicht hart genug zu arbeiten. Vorwürfe, die aus Ihrem Wechsel eher eine Flucht machen könnten... Dabei hatten vor allem die grünen Realos Sie anfänglich so unterstützt. Cem Özdemir und Danyal Bayaz bemühten sich immer wieder, erfolglos.
Geradezu entzückt zeigt sich nun die Union. Man wolle „nicht triumphierend“ auftreten. Obwohl es eine „große Sache“ sei, mache man „kein großes Ding“ daraus. Natürlich nicht. Schaden, das steht fest, dürfte Ihnen der Trubel nicht. Zuvor hatte Sie ja kaum jemand gekannt: Melis Sekmen, 30, Kind türkischer Eltern, abgebrochenes BWL-Studium. War das also alles ein strategischer Schachzug?
Das meinen zumindest viele, die in Ihnen eine mäßig erfolgreiche Politikerin sehen, die mit dem Übertritt ihren Verbleib im Parlament absichern wolle. Im Streit wollen Sie trotzdem nicht gehen. In Ihrem Brief hoffen Sie, dass die Kontakte zu Ihrer früheren Partei nicht abreißen. „Lasst uns im Gespräch bleiben.“ Und das, Frau Sekmen, wünsche ich Ihnen.