Nach der turbulenten Woche im politischen Berlin und den knackigen Debatten im Parlament wissen wir, wo die Parteien beim Thema Migration stehen. Endlich kein Wischiwaschi mehr, sondern klare Kante. So hätten wir uns das schon viel früher gewünscht. Dass aus dem Entschließungsantrag der Union und der damit verbundenen Zustimmung der AfD der Untergang der Republik konstruiert wird, ist mehr Wahlkampf als Wahrheit. Gar nichts wird untergehen.

Mit Blick auf das beherrschende Thema Migration ist aber der Schwung in die Diskussion gekommen, den die Menschen lange schon für überfällig gehalten haben – denn die Mehrheit sagt, dass sich etwas ändern muss bei der Migrationspolitik, auch Anhänger von Grünen und SPD.

Scholz und Merz liegen beide richtig

Das Verblüffende ist, dass in der Sache die Hauptkontrahenten im Bundestag, Olaf Scholz und Friedrich Merz, beide richtig liegen. Scholz sagt, dass die Attentate von Solingen, Mannheim, Magdeburg und Aschaffenburg auf Grundlage der heutigen Regelungen hätten verhindert werden können.

Die Täter hätten weit vor den Anschlägen bereits in Haft sitzen bzw. abgeschoben sein müssen. Damit legt Scholz das strukturelle Versagen mancher Behörden, also des Staates, offen. Er bezieht seine Ausführungen damit auf alle Migranten, die bereits im Land sind.

Es geht ausschließlich um Schuldzuweisungen

Friedrich Merz, sein Fünf-Punkte-Plan und das Zustrombegrenzungsgesetz beziehen sich im Schwerpunkt auf diejenigen Menschen, die sich potenziell noch in Richtung Deutschland auf den Weg machen werden. Er sagt, dass der Zuzug straffer geregelt werden muss, damit unser Land die damit verbundenen Herausforderungen stemmen kann. Und dass das schnell umgesetzt werden muss, wenn wir bereits jetzt an die Grenzen unserer Belastbarkeit stoßen.

Anstatt sich in dieser Sache zu verhaken, inhaltlich zu fordern und möglichst eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, die die Mehrheit der Wahlbevölkerung seit Monaten fordert, geht‘s jetzt ausschließlich um Schuldzuweisungen und die Frage, ob die aus guten Gründen ausformulierte Brandmauer der CDU gegenüber den Rechtsnationalen der AfD gefallen ist.

Alice Weidel (rechts), Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, und Tino Chrupalla (Mitte) beraten sich in der Bundestagssitzung am ...
Alice Weidel (rechts), Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, und Tino Chrupalla (Mitte) beraten sich in der Bundestagssitzung am Freitag. | Bild: Michael Kappeler/dpa

AfD war manches Mal schon Mehrheitsbeschafferin

Wie immer lohnt sich an diesem Punkt eine Erinnerung an Kurt Schumacher, den großen Nachkriegsvorsitzenden der SPD. Er sagte: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Und die zeigt, dass schon heute in zahlreichen Landes- und Kommunalparlamenten in Deutschland die AfD Anträgen, Verordnungen oder Gesetzen anderer Parteien zugestimmt hat, manches Mal auch als Mehrheitsbeschafferin. Das kann man gut finden oder anklagen – aber nicht ignorieren.

Die Aufgabe ist also, damit einen Umgang zu finden. Und diese Aufgabe ist nun auch bei den Abgeordneten im Bundestag angekommen, so unbequem und schmerzvoll das ist. Hätten sie in der Vergangenheit ihren Blick von Berlin aus aufmerksamer in die Niederungen der Kommunalpolitik gerichtet, wären sie besser vorbereitet gewesen.

Moral ist wichtig – hilft aber nicht

Moral und erhobene Zeigefinger sind in diesem schwierigen Diskurs die emotionale Komponente und mit Blick auf die deutsche Geschichte wichtiger als in anderen Ländern, ohne jede Frage – aber sie helfen in der Sachfrage nicht. Und nur, weil man immer wieder zu Recht betont, dass die AfD in Teilen rechtsextremistisch ist, werden die Stimmenanteile für die Rechtsnationalen nicht kleiner.

Wenn die Demokraten in der Mitte die Zustimmung zur AfD halbieren wollen, müssen sie eine andere und vor allem bessere Politik machen, als das im Moment der Fall ist – weil es Bürger und Wähler so wollen.

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Wähler wollen andere Migrationspolitik

Ob die Welle der Empörung über die Union die Menschen in der Fläche genauso elektrisiert wie Politiker und Medienschaffende, da darf man Zweifel haben. Die Wähler wollen Fortschritte erkennen in der Migrationspolitik – zur Not eben auch mit der AfD, Umfragen zeigen das.

Nach einer Insa-Erhebung von dieser Woche stört es 69 Prozent der Befragten nicht, dass am Mittwoch ein Unions-Antrag mit den Stimmen der AfD verabschiedet worden ist. Auch das kann man nicht ignorieren.

Bemerkenswerte Klatsche

Vor diesem Hintergrund war das riskante Manöver von Friedrich Merz fast folgerichtig. Aber ein Wagnis, für das er nun eine bemerkenswerte Klatsche kassiert hat. Nicht nur, dass er den erwartbaren Gegenwind von Grünen und SPD aushalten musste, auch Altkanzlerin Angela Merkel grätschte ihn wegen seines Wortbruchs ab, niemals mit Stimmen der AfD Mehrheiten herbeiführen zu wollen. Ein Vorgang, der die CDU zerreißen kann.

Als letzten Stoß dann noch die Niederlage bei der Gesetzesabstimmung. Merz sagt, er gehe in der Migrationsfrage „all in“, wie beim Pokerspiel. Am 23. Februar wissen wir, ob er gewonnen hat. Oder verloren. Aber auch erst dann.