Als im vergangenen September die Zurückweisung von Migranten an der deutschen Grenze diskutiert worden ist, war schnell klar, dass eine solche Entscheidung Konfrontationen mit den Nachbarländern bedeuten würde. „Österreich wird keine Personen entgegennehmen“, hieß es damals aus Wien. Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) interessierte das nicht: Wenn Deutschland einem Migranten die Einreise verweigere, gehe es nicht darum, ob das Nachbarland ihn aufnehme – denn er sei ja bereits dort.
Da braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass daraus ein Zustand der organisierten Unzuständigkeit werden könnte, wenn der in Migrationsfragen ohnehin schwache Kooperationsgeist in Europa dann gänzlich schwindet. Aber was bedeutet das für den Fall, dass Deutschland seine Grenzen für Migranten und Schutzsuchende wirklich „dichtmacht“?
Union möchte grüne Grenze kontrollieren
Im Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion heißt es, „die deutschen Staatsgrenzen zu allen Nachbarstaaten müssen dauerhaft kontrolliert werden“ und „ausnahmslos alle Versuche illegaler Einreise“ sollen zurückgewiesen werden.
Auf Nachfrage des SÜDKURIER, ob das eine räumliche Ausweitung der ohnehin bestehenden Grenzkontrollen bedeute, sagt der innenpolitische Sprecher der Fraktion Alexander Throm: „Jede unerlaubte Einreise nach Deutschland muss verhindert werden. Deswegen brauchen wir Kontrollen sowohl an den Grenzübergängen als auch an der grünen Grenze. Und zwar auf unabsehbare Zeit.“ Die Frage, ob dazu auch wieder Grenzzäune errichtet werden könnten, ließ die CDU/CSU-Fraktion bis zum Erscheinen dieses Artikels unbeantwortet.
Die Freizügigkeit des Schengenabkommens gelte europarechtlich nicht für unerlaubt Eingereiste, so Throm. Es sei klar, dass der Bundespolizei keine lückenlose Kontrolle entlang der gesamten Grenze möglich ist, auch wenn mit technischer Unterstützung schon sehr viel erreicht werden könne.
Fragen nach wirtschaftlichen Auswirkungen, etwa durch Staus, entgegnete Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Montag, die Bundespolizei habe ein „sicheres Gespür dafür, wen sie rauswinken muss und wen nicht.“
Österreichische Polizei soll deutsche Zurückweisungen nicht akzeptieren
In den Nachbarländern stößt der Vorschlag auf Ablehnung. Die Regeln des Schengenraums müssten eingehalten werden, sagte am Montag der geschäftsführende Bundeskanzler und Außenminister Österreichs, Alexander Schallenberg von der ÖVP, die in Europa zur Parteienfamilie der CDU gehört. Aus dem Innenministerium in Wien heißt es, Österreich gehe grundsätzlich davon aus, dass sich EU-Mitgliedsstaaten an geltendes EU-Recht halten.
„Dies bedeutet, dass Personen, die einen Asylantrag stellen, nicht formlos an der Grenze zurückgewiesen werden dürfen“, so ein Sprecher und erneuert die Aussage von September, keine zurückgewiesenen Personen entgegenzunehmen. „Das Innenministerium hat deshalb die betroffenen Landespolizeidirektionen angewiesen, unionsrechtswidrige Einreiseverweigerungen seitens der deutschen Behörden nicht zu akzeptieren und über Wahrnehmungen unverzüglich Bericht zu erstatten.“
Die Schweiz wurde von den Vorgängen in Deutschland offenbar überrumpelt – das zuständige Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement war am Montag nicht sprechfähig in dieser Frage. Im September hatte es vom Staatssekretariat für Migration geheißen: „Wir teilen mit Deutschland das Ziel, irreguläre Sekundärmigration zu verhindern. Aus Sicht der Schweiz ist die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen allerdings kein geeignetes Mittel dazu.“
Europarecht geht vor
Die CDU wiederholte derweil, sie gehe in dieser Sache vom Vorrang nationalen Rechts aus. Allerdings treten sowohl Grund- als auch das Asylgesetz hinter europäisches Recht zurück, wie der Konstanzer Europarechtsexperte Daniel Thym schreibt. Anders lautende Argumente einiger weniger Kollegen bezeichnet er „bestenfalls als Mindermeinung“. Die aktuelle Rechtsprechung gibt ihm recht.
Auch das Argument, die anderen EU-Staaten kämen ihren Verpflichtungen bei der Registrierung Asylsuchender nicht nach, also bräuchte Deutschland sich auch nicht mehr daran halten, lässt er nicht gelten: „Die Dublin-Regeln verlieren nicht deshalb ihre rechtliche Bindungswirkung, weil sie praktisch schlecht funktionieren. Im Europarecht gilt nicht das völkerrechtliche Prinzip eines ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘, wonach ein Land eine Verpflichtung missachten darf, weil andere Länder dasselbe machen.“
Würden die Maßnahmen unrechtmäßig umgesetzt, dürfte das zu Problemen bei ihrer Umsetzung führen: Beamte haben eine sogenannte Remonstrationspflicht, sie müssen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen sofort melden – sonst trügen sie persönlich die Verantwortung dafür.